Mit den vorliegenden Werken ist die zahlenmäßig nicht gerade arme wissenschaftliche Buchlandschaft zur Geschichte der deutschen Besatzung Frankreichs während des Zweiten Weltkriegs um zwei Titel reicher. Bertram Gordon und Julia Torrie verfügen jeweils über große Expertise in der französischen Geschichte der Besatzungszeit, beide verbindet eine langjährige Beschäftigung mit der Materie und ihre vorliegenden Arbeiten weisen – trotz augenscheinlich sehr unterschiedlicher Ausrichtung – viele Schnittmengen auf, weshalb ein vergleichender Blick lohnt.
In »War Tourism«beleuchtet Bertram Gordon Zusammenhänge von Krieg und Tourismus in Frankreich. Anhand von sieben Kapiteln, die zeitlich zunächst mit der Zwischenkriegszeit einsetzen und dann bis weit in die Nachkriegszeit hineinreichen, untersucht Gordon die Paradigmenwechsel des Tourismus und kann aufzeigen, dass der Zweite Weltkrieg kein abruptes Ende von Tourismus bedeutete, sondern dieser lediglich andere Gestalt annahm.
Zunächst zeigt er die Entwicklung Frankreichs als touristische Destination und damit verbundene Topoi auf. Der Großteil des Buches, gewissermaßen dessen Herzstück, ist aber der Besatzungszeit gewidmet. Mit dem Einmarsch der deutschen Armee 1940 erlebte Frankreich tiefgreifende Transformationen, die auch den Tourismus miteinschlossen, der hier als Manifestation der Machtverhältnisse verstanden wird. Gordon beleuchtet, wie die Soldaten der Wehrmacht in Gruppen durch Paris geführt wurden, eigens für sie hergestellte Magazine ihren Konsumbedarf anregen sollten und erotische Verheißungen durch Bordelle bedient wurden.
Frankreich, zum deutschen Auffrischungs- und Ruheraum umfunktioniert, wurde regelrecht touristisch konsumiert. Reiseführer und andere Druckerzeugnisse, Sprachkurse und weitere Freizeitangebote luden zum gelenkten und kanalisierten Erleben ein. Diese Beförderung von Kriegstourismus im besetzten Frankreich war allerdings kein Selbstzweck, sondern diente laut Gordon dazu, das deutsche Volk in Gestalt seiner Soldaten als Kulturvolk zu inszenieren, welches in der Lage gewesen sei, den Wert französischer Kultur zu schätzen, allerdings nicht aus purer Bewunderung, sondern in Abgrenzung vom Eigenen. Tourismus, so einer der zentralen Befunde des Buches, diente in diesem Kontext der Selbstüberhöhung, die Gordon in den Ego-Dokumenten der deutschen Frankreichbesucher in Soldatenuniform gespiegelt sieht.
Ähnlich wie 1940 erlebte das Land mit der Befreiung einen erneuten Paradigmenwechsel, der gleichsam in engem Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen zu verstehen ist. Mit der alliierten Landung 1944 entstanden Erinnerungsorte, die durch ihre im Krieg erlangte Bedeutung Eingang in das nationale Erbe fanden und zugleich touristisch umgeformt wurden. Aus der Normandie, bis dato durch Badetourismus geprägt, wurde eine Region des Erinnerungstourismus (tourisme de mémoire) und des damit verbunden Kriegsgedenkens. Anhand der Entwicklung von Gedenkstätten und Feierlichkeiten zu Ehren der Landung zeigt Gordon die Veränderung der Orte auf, die geprägt waren vom Krieg und seinen Hinterlassenschaften. Ähnlich wie während des Kriegs geschah dies nicht zufällig, sondern Orte und Stätten wurden mit Bedeutung versehen und ihre Wirkmächtigkeit touristisch genutzt.
Im Rahmen der politischen Meistererzählungen der gaullistischen Ära wurden vor allem Stätten des Widerstands zur Stärkung nationaler Narrative inszeniert. Gordon konstatiert, dass der Krieg und die touristische Imagination während und nach dem Krieg wesentlichen Anteil an der Herausbildung und Transformation von touristisch bedeutsamen Orten hatten.
Julia S. Torries Buch verfolgt zunähst ein anderes Ziel. Ihr geht es um eine Alltagsgeschichte der Okkupanten, die sich stärker einer Bottom-up-Perspektive verpflichtet sieht. Torrie fragt nach dem Erleben und der Wahrnehmung der einfachen Soldaten als Besatzer und interessiert sich besonders für ihre Freizeit und Konsumverhalten. Analog zu Gordon, dessen frühere Arbeiten hier häufige Erwähnung finden1, zeigt sie zunächst auf, welches mentale Gepäck – also Vorstellungen und Imagination – die Soldaten auf ihrem Weg nach Frankreich mitbrachten und wie überdies auch von der Führung gezielt Neugier auf von ihr gesetzte Themen induziert wurde.
Referenzen an den Ersten Weltkrieg und propagandistisch-pseudowissenschaftliche Beiträge der sogenannten Westforschung sollten den Soldaten zunächst die Richtigkeit ihres Tuns sowie ihrer Präsenz im fremden Land vor Augen führen. Mittels narrativer Selbstentwürfe von »korrektem« Verhalten wurde das systematische wie individuelle ausbeuterische Konsumverhalten einerseits ausgeblendet und andererseits zugleich gerechtfertigt. Die touristisch-konsumistischen Bedürfnisse wurden von der Wehrmacht unter den Maßgaben Kanalisierung und Kontrolle erkannt, befeuert und bedient. Grundsätzlich findet Götz Alys These2 vom regimestützenden Effekt der Ausplünderung besetzter Gebiete bei Torrie ihre Bestätigung.
Tourismus wurde für die Soldaten zu einem dargebotenen und angenommenen Bezugsrahmen, der es ihnen ermöglichte von der Rolle des Kämpfers in jene des Besatzers zu wechseln, der als Besucher und Konsument seiner Anwesenheit neuen Sinn verlieh. Dies zeigte sich in der von Torrie untersuchten Praxis privater Fotografien. Darin entwarfen die Soldaten ihr eigenes geschöntes Frankreichbild, frei von störenden Effekten und der leidenden Bevölkerung. Privatfotografie und Propaganda befanden sich in einer gegenseitig verstärkenden Symbiose. Motive und Narrative wurden zu Echokammern eines gleichgeschalteten Blicks auf das besetzte Land3. Obgleich mit der Zeit sich die Sicherheitslage auch für die Soldaten im besetzten Frankreich verschlechterte, änderte sich ihr Verhalten bis zum Schluss kaum, auch weil die Wehrmacht das gesteuerte und gelenkte Erleben weiterhin aufrechterhielt. Damit geriet es zugleich in einen inneren Widerspruch, der Ausdruck im Topos vom »Etappengeist« fand, der durch Frankreich geweht habe. Den Besatzern in Frankreich haftete immer stärker der Ruch an, »westweich« geworden zu sein. In Anknüpfung an Peter Lieb4 argumentiert Torrie, dass die 1944 von der Ostfront nach Westen verlegten Truppen auch deswegen stärker zu rabiater Gewalt neigten, weil sie sich dieses Narrativ zu eigen gemacht hatten und mit Verweis auf die unnötige Rücksichtnahme der Besatzungsverwaltung gegenüber der Zivilbevölkerung zur Tat schritten.
Gründlich zeigt die Autorin auf, wie die Besatzung zwischen Erlauben und Kontrollieren balancierte, dabei zwar ein hohes Maß an Zufriedenheit in der Truppe stiftete und zugleich im Sinne des Regimes erwünschte Selbstentwürfe beförderte. Anderseits geriet nach Meinung Torries der Besatzungsapparat damit ins Hintertreffen, weil er sich den Vorwurf einer Verweichlichung und zu großer Milde gegenüber den Besetzten einhandelte und so zum Sündenbock für die im späteren Kriegsverlauf ausbleibenden Erfolge avancierte.
Beide Titel arbeiten sich zum Teil an denselben Quellen ab und kommen zu ähnlichen Feststellungen: Der Tourismus habe für die Besatzer als ein Mittel zur Normalisierung des Kriegs gedient. Mit dem touristischen Erleben fand ein Rollentausch vom Kämpfer zum Besatzer statt. Die Konsumierung der Angebote durch die Soldaten vor Ort passierte vor dem Hintergrund der Selbstvergewisserung eigener Überlegenheit. Während Gordon den Fokus an Orten und ihrer Transformation ausrichtet, argumentiert Torrie stärker entlang der Akteure.
Allerdings hätte beiden eine stärkere Differenzierung hinsichtlich der Herkunft der Angebote gutgetan. Nicht alle Freizeitangebote und Verhaltensgebote für die deutschen Soldaten waren in ein und derselben Amtsstube der Wehrmacht erdacht worden. Hier wirkten sehr unterschiedliche Dienststellen und Einrichtungen, teilweise in Konkurrenz zueinander und im Konflikt miteinander. Manches war überhaupt weniger von der Wehrmacht geplant als es den Anschein hatte.
Hinzu kommt, dass längst nicht jeder Soldat sich die gewünschten Wahrnehmungsfilter des Regimes zu eigen machte. Das Momentum der Selbstermächtigung von Soldaten, ihr Eigensinn, kommt etwas zu kurz. Kritikwürdig ist ebenfalls die Gewichtung beziehungsweise Zuspitzung. Bei Lesenden kann der Eindruck entstehen, für die Okkupanten hätte die Besatzung größtenteils aus Freizeit bestanden, was weder für Kampftruppen noch für die bodenständigen Besatzer zutreffend war. Zwar sprechen beide Autoren von Normalisierung, von Alltag hingegen, dienstlichem Alltag gar, sprechen sie leider zu wenig.
Torries Buch folgt klaren Linien, ist hervorragend strukturiert und sehr gut lesbar. Sie operiert mit klaren Begriffen und ihre Ausführungen zeugen von einer profunden Quellen- und Literaturkenntnis. Bei Gordon hingegen verschwimmen mitunter die Begrifflichkeiten. Was er unter Tourismus fasst, wirkt stellenweise diffus. Dem Buch fehlt es überdies an Stringenz und Kohärenz sowie einer letztlich klar formulierten Forschungsfrage. Ferner sind die Befunde der Kernkapitel bereits in seinen älteren Aufsätzen angezeigt5. Dennoch sind beide Titel der Lektüre wert, weil sie diskussionswürdige und quellensatte Neubewertungen zum Nahbereich der deutschen Besatzer in Frankreich vorlegen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Byron Schirbock, Rezension von/compte rendu de: Bertram M. Gordon, War Tourism. Second World War France from Defeat and Occupation to the Creation of Heritage, Ithaca, NY (Cornell University Press) 2018, XII–307 p., 21 fig., ISBN 978-1-5017-1587-7, GBP 36,00; Julia S. Torrie, German Soldiers and the Occupation of France, 1940–1944, Cambridge, New York (Cambridge University Press) 2018, XIII–276 p., 23 fig. (Studies in the Social and Cultural History of Modern Warfare), ISBN 978-1-108-47128-2, GBP 75,00., in: Francia-Recensio 2019/4, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68620