In seiner mit dem Otto-Hintze-Preis ausgezeichneten Habilitationsschrift bietet Markus Payk eine Entstehungsgeschichte des internationalen Rechtssystems, wie es in der Zwischenkriegszeit bestand. Demgemäß behandelt er die Pariser Vorortverträge – schwerpunktmäßig den Versailler Vertrag – von 1919/1920, mit denen ein neues zwischenstaatliches Regelungswerk erstellt wurde, das das gescheiterte System der Vorkriegszeit vor 1914 ablösen sollte. Der Autor will diese Verträge aus ihrem historischen und ideellen Kontext heraus erklären, um so deren wichtigste Charakteristika herauszuarbeiten und dabei verdeutlichen, dass ihnen »trotz aller Defizite […] [eine] einzigartige Stellung in der Geschichte der modernen Staatenbeziehungen« (S. 661) zukomme.

Wollte man Payks Arbeit ein Etikett aufkleben, so könnte es dasjenige einer akteurszentrierten Rechtsgeschichte sein. Der Autor identifiziert viele Beziehungen und Querverbindungen zwischen den beteiligten Personen aus Politik, Wissenschaft, Verwaltung und Presse und untersucht, wie die in diesem Geflecht zirkulierenden Argumente und Entscheidungen den Rechtsdiskurs (zum Teil schon während der Kriegszeit) mitbestimmt haben. Dies ist eine der wesentlichen Stärken des Buchs, und man kann als Leser nur erahnen, wieviel minutiöse Arbeit die Aufarbeitung dieses komplexen Geflechts den Autor gekostet haben muss.

Gleich zu Beginn erinnert Markus Payk an das Problem der Wahrnehmung der Vorortverträge und namentlich des ersten, in Versailles geschlossenen: Während auf der Siegerseite, insbesondere in Frankreich, von einem »Rechtsfrieden« gesprochen wurde, so wurde er auf der Verliererseite – und hier besonders im Deutschen Reich – als »in schreiendem Widerspruch zur Rechtsidee« (S. 1) gebrandmarkt. Gerade die Berufung beider Seiten auf das Recht sei das, was im Vergleich zu anderen Friedensschlüssen so bemerkenswert sei und eine neue Untersuchung verdiene. Dies ist angesichts der Abertausenden von Seiten Forschungsliteratur zu den Friedensschlüssen nach dem Ersten Weltkrieg in der Tat begründungsbedürftig, und Payk hat hier einen interessanten Anknüpfungspunkt gefunden – der sogar Aktualitätswert besitzt, da der Autor damit einem tieferen Problem nachgeht, nämlich der so oft behaupteten Befriedungsfunktion einer immer weiter ausgedehnten Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. Die Arbeit setzt sich zum Ziel, »nach dem Wechselverhältnis von normativen Erwartungen, völkerrechtlichen Begründungen und politischen Zwängen [zu fragen] und auf dieser Grundlage die rechtsförmige Gestalt des Friedens [zu] erklären« (S. 4). Mit anderen Worten: Markus Payk geht der Frage »Warum ein Rechtsfrieden?« nach.

Hierfür zeichnet er in sechs Kapiteln den Zeitraum zwischen der ersten Haager Konferenz (1899) und dem Friedensvertrag von Sèvres (1920) nach. Das erste ist dem Völkerrecht als Fortschrittserzählung gewidmet, wobei der Autor offenbar im Manuskriptstadium einen Bogen bis zum Ende des Krimkrieges aufgemacht hatte, der wohl weggefallen ist, damit das gut 700-seitige Buch nicht noch umfangreicher werde. Daher bleibt es hier bei einem eher skizzenhaften Überblick; gleichwohl merkt man dem Buch an, dass es eine historische Tiefe besitzt, die bei weitem nicht auf zwei Jahrzehnte beschränkt bleibt. So bleiben indirekt die gelöschten Textteile doch ein Gewinn.

Im zweiten Kapitel geht der Autor auf den Ersten Weltkrieg als »Kampf um das Recht« ein, wobei hier besonders die Belgische Neutralität, die britische Seeblockade und der deutsche U-Boot-Krieg im Fokus stehen, bevor es um die amerikanische Intervention und die »regelgeleitete« Gleichstellung der Staaten (S. 99) – anstelle einer machtpolitischen Ungleichstellung im Sinne des europäischen Konzerts – geht. Hierfür geht Payk auch auf die »Mobilisierung« der Rechtslehre ein, und deren bündige Darstellung (S. 108–129) ist besonders lesenswert und lehrreich. An dieser Stelle beginnen sich allerdings die fremdsprachigen Zitate innerhalb der Sätze zu häufen, was im weiteren Verlauf der Darstellung leider beibehalten wird. Dem inhaltlichen Wert tut dies natürlich keinen Abbruch, der Lesefluss wird dadurch allerdings merklich gestört. Das ist umso unerfreulicher, als der Autor ansonsten einen sehr leserfreundlichen Stil pflegt, der eine gelungene Balance zwischen einem wissenschaftlichen (potenziell zähen) und einem eingängigen, eher erzählerischen Duktus herstellt.

Die Kapitel drei bis fünf beinhalten die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Zeitraum zwischen dem Ende der Kampfhandlungen und dem Unterzeichnen der Friedensverträge. Dabei dekliniert M. Payk verschiedene Aspekte durch, immer mit Bezug zum Ziel der rechtsförmigen Friedensherstellung. Hier stellte sich Ende 1918 zum Beispiel akut die Frage, wie mit dem alten Brauch der Großmächtepolitik gegenüber dem neuen Postulat der Staatengleichheit zu verfahren sei (S. 174–201). Von da an setzt sich der Autor intensiv mit dem »Zwang zur Formalisierung« auseinander, der den gesamten Friedensprozess von 1918/1920 beherrscht habe.

Der Autor deckt hierbei eine Reihe von Aspekten ab, darunter die »versuchte Neuordnung Mittel- und Südosteuropas« (S. 429-458) oder auch das Verhältnis des alten Konzepts vom europäischem Konzert zur neuen Institution Völkerbund (S. 543–561). Besonders spannend und bisweilen sogar detailverliebt sind die Darstellungen der Kommissionsarbeit während der Redaktion vor allem des Versailler Vertrags und die Erläuterung des neuen, auf Nationalstaaten zugeschnittenen internationalen Systems. In beiden Fällen zeigt sich exemplarisch die Stärke von Markus Payks Arbeit gerade in zweierlei Hinsicht: der umfangreichen Bearbeitung von Quellenbeständen in mehreren Ländern und der breiten Rezeption von Forschungsliteratur.

Die Darstellung ist scheinbar vor allem ein gelungenes Zusammentragen – und durch Archivalien noch festeres Untermauern – von Erkenntnissen, die die Forschung schon hervorgebracht hat, wenn auch verstreut. Allerdings bietet kaum ein Werk einen solchen Tour d’Horizon in nur einem Buch (ein Beispiel wäre Jörn Leonhards »Der überforderte Frieden« (2018)1, das allerdings auch gleich doppelt so umfangreich ist). Der akteurszentrierte rechtshistorische Blick scheint insofern zunächst weniger eine »Neubewertung« als eher eine Verarbeitung bestehender Bewertungen aus einem leicht anderen Blickwinkel zu bieten. Selbst, dass die Rechtsförmigkeit des Friedens gewissermaßen erzwungen worden sei, weil die alliierten Repräsentanten »sich den normativen und moralischen Prämissen ihres eigenen Weltbildes« nicht mehr entziehen konnten (S. 495), ist kein neues Postulat (Markus Payk beansprucht das auch nicht).

Die gewählte Herangehensweise bietet aber den Vorteil, viele Einzelthemen in der Darstellung sozusagen zu entmystifizieren, von dem Datum des 18. Januar als Konferenzbeginn (reisebedingt) über den Kriegsschuldartikel (einer technischen Klausel) hin zu der Vorstellung einer grundsätzlich friedensstiftenden Wirkung von Recht. Dem Autor gelingt dies durch seinen Fokus auf die Juristenarbeit. Und ohne eine Neubewertung durch eine (im Zweifelsfalle überzogene) Hypothese aufzustellen, bietet Markus Payk den Leserinnen und Lesern letztendlich in der Tat doch einen neuen Blick auf die Zusammenhänge von 1919/1920, da er – so der Eindruck des Rezensenten – tatsächlich keine einzige »Gewissheit« der historischen Narrative unhinterfragt übernommen hat. Umso fundierter und lesenswerter sind die vom Autor erreichten Ergebnisse.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Philipp Siegert, Rezension von/compte rendu de: Markus M. Payk, Frieden durch Recht? Der Aufstieg des modernen Völkerrechts und der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg, München (De Gruyter Oldenbourg) 2018, VIII–739 S. (Studien zur Internationalen Geschichte, 42), ISBN 978-3-11-057845-4, EUR 49,95., in: Francia-Recensio 2019/4, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68655