Die Geschichte von Bildung und Wissenschaft im Mittelalter gehört sicher zu den dynamischsten Forschungsfeldern der vergangenen zwei Jahrzehnte. Ältere Paradigmen wurden infrage gestellt, neue kulturwissenschaftliche Ansätze erprobt. Der in der Reihe der »Brill’s Companions to the Christian Tradition« erschienene Sammelband zu den Schulen des 12. Jahrhunderts trägt dieser Entwicklung Rechnung. Der Herausgeber Cédric Giraud verortet den Band in den mit den Namen Charles Homer Haskins und Jacques Le Goff verbundenen Forschungstraditionen der »Renaissance des 12. Jahrhunderts« und der »Intellektuellen im Mittelalter« und kündigt ein »update« (S. 8) des Forschungsstands an. So müsse – ungeachtet des für das Jahrhundert gewählten Labels – konstatiert werden, dass das 12. Jahrhundert durch die Ausbreitung von Schulen und die Zunahme der Schriftlichkeit eine Zäsur darstelle, die es mit neuen Fragestellungen zu erforschen gelte, etwa indem man den Fokus auf die mündliche Wissensweitergabe richte oder das Verhältnis von Klöstern und städtischen Schulen mit frischem Blick untersuche. Auch versuche der Band, den Intellektuellen als sozialen Typ zu definieren und dessen Status in der Gesellschaft zu ergründen.

Zu diesem Zweck widmen sich die ersten drei Beiträge den Schulen als sozialem Phänomen in Frankreich, Italien, Spanien, im Reich und in England (Constant J. Mews), der Organisation der Kathedral- und städtischen Schulen sowie der Bildungspolitik der Reformpäpste (Thierry Kouamé) und dem Verhältnis von Kloster und Schule (Jacques Verger). Im zweiten Abschnitt sollen die immateriellen Aspekte der Welt der Intellektuellen dargestellt werden. So bespricht Sita Steckel die Lehrer-Schüler-Beziehung und deren Wandel im 12. Jahrhundert, Olga Weijers gibt einen Überblick zu den Lehrmethoden (lectio, quaestio, disputatio, Dialog) und Techniken (dialektische Operationen, Division, Distinktion u. a.), und Dominique Poirel geht auf die als bildungstheoretisch paradigmatisch verstandene Schrift »Didascalicon« des Hugo von St. Viktor ein. Im dritten Gliederungsteil folgt schließlich die Darstellung der einzelnen Disziplinen, beginnend bei Trivium (Frédéric Goubier und Irène Rosier-Catach) und Quadrivium (Irene Caiazzo), über Medizin (Danielle Jacquart) und die beiden Rechte (Ken Pennington) zur Theologie und deren Literaturgattungen (Cédric Giraud; Alexander Andrée).

Wie aus dieser Aufzählung bereits ersichtlich wird, handelt es sich bei den Beiträgern durchweg um Spezialistinnen und Spezialisten in dem jeweils behandelten Feld, die souverän und quellennah durch ihr Themengebiet führen. Ausnahmslos rezipieren sie Publikationen in mehreren Sprachen, Klassiker ebenso wie aktuelle Literatur. Allen Autorinnen und Autoren gelingt es, das vom Herausgeber Cédric Giraud angekündigte, dringend benötigte »Update« bereitzustellen. So zeigen etwa Jacques Verger, Sita Steckel und Cédric Giraud übereinstimmend, dass der in der älteren Forschung gerne am Beispiel von Abaelard und Bernhard von Clairvaux veranschaulichte vermeintlich starre Gegensatz von monastischer und scholastischer Bildung und Methodik als überwunden gelten kann, zugunsten einer Betrachtungsweise, die die Durchlässigkeit beider Lebenswelten in den Blick nimmt.

Auch im Beitrag von Thierry Kouamé spiegelt sich die Tendenz der modernen Forschung wider, Offenheit, Flexibilität und Uneinheitlichkeit anzuerkennen, anstatt den mannigfaltigen Schulorganisationstypen feste Systematiken aufzuzwingen. Noch weiter geht Alexander Andrée, der für einen Companion-Beitrag auffallend thesenfreudig dafür argumentiert, die Geschichte der Theologie als Wissenschaft ganz neu zu schreiben. Anstatt die Herausbildung der wissenschaftlichen Disziplin einer dialektisch arbeitenden theoretischen Theologie zuzuschreiben und dieser eine »fictious ›biblical-moral school‹« (S. 274) gegenüberzustellen (so das noch auf Martin Grabmann zurückgehende Konzept), sollte anerkannt werden, wie sehr Laoner Glossen, speziell die »Glossa Ordinaria«, und Bibelkommentare auf die Disziplin wirkten und zur Schulbildung in Paris beitrugen. Wie Irene Caiazzo zeigt auch Andrée auf, wie viel Grundlagenarbeit an originalen Handschriften noch zu leisten ist, um ein besseres Verständnis von den wissenschaftlichen Transformationsprozessen im 12. Jahrhundert zu erlangen.

Somit konsolidiert der Sammelband einerseits die jüngst erzielten Forschungsergebnisse zur Bildungs- und Wissenschaftsentwicklung im 12. Jahrhundert, weist aber auch auf noch zu führende Debatten hin. Das selbst gesteckte Ziel, den Typus des Intellektuellen zu definieren, erreicht der Band nur bedingt; dafür hätte es wohl einer Zusammenfassung der Einzelbeobachtungen bedurft. Für einen »Companion« hätte man sich teilweise etwas mehr Vereinheitlichung der Beiträge gewünscht, dergestalt, dass alle (und nicht nur einige) Beitragenden ihre Fragestellung und Vorgehensweise transparent machen, kurz auf die ältere Forschung eingehen und umreißen, in welcher Hinsicht diese nun als überholt gelten muss. Kleinere inhaltliche Korrekturen hätte man vielleicht durch eine gegenseitige Lektüre erreichen können, etwa um missverständliche Aussagen zur Regulierung des Medizinstudiums für Religiosen differenzierter darzustellen (vgl. Mews S. 18f. und Jacquart S. 205, die auf den diesbezüglich wichtigen Aufsatz von Admundsen verweist)1. Zudem hätte für die Anlage des Bandes geklärt werden müssen, in welchem Maße man sich entweder an ein Expertenpublikum oder an Nichtfachleute wenden möchte. Während vielen Beiträgern der Spagat durch einen didaktisch guten Aufbau und beigefügte Erklärungen hervorragend gelingt, könnten sich andere Artikel als schwerer zugänglich erweisen (Frédéric Goubier und Irène Rosier-Catach; auch Mews setzt in seinem Artikel viel Wissen voraus). Angesichts des aktuellen Interesses an Austauschprozessen und Verflechtungen vermisst man ein wenig ein eigenes Kapitel zu den Übersetzungstätigkeiten der Zeit, wie es der Sammelband »Renaissance and Renewal in the Twelfth Century« noch aus der Feder von Marie-Thérèse d’Alverny enthielt2. In diesem Zusammenhang hätte man in der Einleitung auch zumindest kurz begründen können, warum der Zuschnitt des Bandes nur auf die Schulen des lateinisch-christlichen Europas angelegt ist.

Zu bedauern ist, dass der Lesegenuss der hochwertigen Artikel durch sprachliche Fehler und teilweise etwas schiefe Übersetzungen aus dem Französischen ins Englische des Öfteren unterbrochen wird. Insgesamt ist jedoch festzuhalten, dass Herausgeber, Autorinnen und Autoren hier ein Band gelungen ist, der durch seine wissenschaftliche Gründlichkeit einerseits, durch seine anregende Neuperspektivierung älterer Themengebiete andererseits besticht und damit Lust auf folgende Debatten macht. Zudem wird dem »Companion« sicher das Verdienst zukommen, die überaus wichtigen Ergebnisse der nichtenglischsprachigen Forschung rein anglophonen scientific communities zu vermitteln.

1 Darrel W. Admundsen, Medieval canon law on medical and surgical practice by the clergy, in: Bulletin of the History of Medicine 52 (1978), S. 22–44.
2 Marie Thérèse d’Alverny, Translations and Translators, in: Robert Louis Benson, Giles Constable, Carol Dana Lanham (Hg.), Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, Oxford 1982, S. 421–462.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Anne Greule, Rezension von/compte rendu de: Cédric Giraud, A Companion to Twelfth-Century Schools, Leiden, Boston (Brill Academic Publishers) 2019, X–322 p. (Brill’s Companions to the Christian Tradition, 88), ISBN 978-90-04-32326-1, EUR 199,00., in: Francia-Recensio 2020/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71475