Der vorliegende schmale Band von Klaus Herbers geht auf einen im Juni 2017 vor der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz gehaltenen Vortrag zurück. Das zentrale Thema ist die Frage nach der Verortung prognostischer Methoden im lateinisch-christlichen Mittelalter. K. Herbers fragt, ob es sich nur um »Texte, nur Ansichten« handelt oder ob diese Praktiken »einen Sitz im Leben« hatten.

Einleitend erläutert der Autor anhand zweier Beispiele, dass bereits aus dem 9. Jahrhundert prognostische Praktiken überliefert sind. Die Methoden der Vorhersagen reichen dabei von der Prophetie, Wahrsagerei sowie astrologischen Methoden, zu denen er auch den sogenannten Toledobrief, vermutlich aus dem Jahr 1186, zählt. Ein kurzer Abriss über den Forschungsstand zur »Prognostik und Zukunft im Mittelalter« (Kapitel II) folgt, in dem der Autor klarstellt, dass die lateinisch-christliche Tradition die Person des Propheten in den Mittelpunkt rückte, was zur Folge hatte, dass der Diskurs sich auch zwischen falschen und richtigen Propheten und Prophetien bewegte. Den prognostischen Praktiken zur Berechnung zukünftiger Ereignisse selbst schenkte man im Westen eher wenig Beachtung oder stand ihnen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Auch die mediävistische Forschung tat sich lange Zeit mit der Untersuchung dieser Praktiken schwer. Deshalb war es an der Zeit, die aktive Nutzung dieser Praktiken anhand ihrer Erwähnung in verschiedenen Quellen zu sichten, um so ihren Ort im Geschehen näher zu beleuchten.

Dieser Aufgabe unterzieht sich K. Herbers im dritten Kapitel (»Praktiken und normative Texte«). Als Quellenbasis dienen ihm Erwähnungen solcher Praktiken in Konzilsbeschlüssen und Rechtssammlungen; denn in ihnen geht es immer wieder um die Nutzung prognostischer Methoden, ihre Unterbindung und Bestrafung. Dabei kann er sich auf die Ergebnisse des seit 2009 bestehenden Erlanger Internationalen Kollegs für Geisteswissenschaftliche Forschung (IKGF) »Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa« stützen. Dieses Kolleg, dessen stellvertretender Direktor K. Herbers ist, widmet sich seit seiner Gründung auch der Untersuchung mittelalterlicher prognostischer Diskurse. Es hat eine Datenbank erstellt, die mittels Verschlagwortung prognostischer Begriffsfelder in drei Untersuchungsbereichen, leges, concilia und collectiones canonicae, diese Nennungen und ihre Kontexte erschließt.

Anhand zweier Beispiele, der Hygromantie und der Pyromantie, zeigt K. Herbers, dass diese Begriffe sich nicht in den Konzilsakten, sondern in zwei kirchlichen Rechtssammlungen (Burchard von Worms und Gratian) finden. Er schließt daraus, dass diese Praktiken im Untersuchungszeitraum zwischen dem 7. und 12. Jahrhundert in der Praxis keine Rolle spielten. Die Erwähnung bei Burchard und Gratian erfolgte vielmehr aus Gründen der Systematik. Für den gesuchten »Sitz im Leben« dieser Texte besitzen andere Quellen mehr Aussagekraft. Der Autor führt hier zwei Beispiele an. Zunächst das Sendbuch des Regino von Prüm vom Beginn des 10. Jahrhunderts, das als Handbuch für den Erzbischof Hatto von Mainz gedacht war. Seine Struktur in Form von Fragen lässt einen Bezug zur praktischen Nutzung erkennen. Das gilt auch für die Gattung der »Responsa«, Antworten der Päpste auf spezielle Anfragen. Diese Bitten um Klärung belegen, dass man Rat zu aktuellen Missständen oder Unsicherheiten im Hinblick auf verbotene prognostische oder mantische Praktiken suchte.

Das letzte Kapitel des Buchs widmet sich der Rolle der Astrologie als prognostische Praktik, wie sie sich im sogenannten Toledobrief zeigt. K. Herbers betont mit guten Gründen die Rolle der arabischen Einflüsse und deren Rezeption im lateinischen Westen. Besonders hier lasse sich in den Quellen die tatsächliche Praxis fassen. Am Beispiel des Caesarius von Heisterbach sei allerdings zu erkennen, dass die Astrologie im Westen gern in die Nähe magischer Künste gerückt worden sei.

Dass der Band von K. Herbers das Spannungsfeld zwischen prognostischen Praktiken und ihrer Stellung im lateinisch-christlichen Mittelalter nicht umfassend behandeln kann, leuchtet ein. Dabei entfaltet der Autor durch die Nutzung verschiedener und zur Thematik sinnvoll gewählter Quellenbeispiele ein Spektrum, das künftigen Untersuchungen den Weg zu weisen vermag. Gleichwohl erscheint das Fazit am Ende etwas knapp. Es bezieht sich ausschließlich auf die Rechtsquellen und die Datenbank und geht auf den Toledobrief und die astrologische Ausrichtung in der Prognostik leider nicht mehr ein.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Studie, der über eine umfangreiche Bibliografie verfügt, einen erhellenden Einblick in die Vielfalt der Praktiken zur Zukunftsschau und der Frage ihrer Verortung im lateinisch-christlichen Westen bietet. Die vom IKGF in Erlangen aufgebaute Datenbank kann als Grundlage zur weiteren Forschung dienen. Gespannt sein darf man auch auf die vom Autor angekündigte im Druck befindliche größere Arbeit zum Thema.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Petra Waffner, Rezension von/compte rendu de: Klaus Herbers, Prognostik und Zukunft im Mittelalter. Praktiken – Kämpfe – Diskussionen, Stuttgart (Franz Steiner Verlag) 2019, 66 S., 3 Abb. (Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse. Jahrgang 2019, 2), ISBN 978-3-515-12416-4, EUR 14,00., in: Francia-Recensio 2020/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71477