Rudolf I. ist in der schweizerischen und österreichischen Forschung, die sich längst von patriotischen anti- oder prohabsburgischen Vorgaben gelöst haben, zweifellos präsent, aber da wie dort anscheinend nicht recht jubiläumsfähig. Sein Todesjahr gab Anlass zu einer Tagung in Passau1, während das im »Chronicon Colmariense« genannte Geburtsjahr 1218 eine solche in Speyer, wo er begraben liegt, zeitigte. Während der erste habsburgische König in Passau deutlich im Mittelpunkt stand, muss er diese Rolle im Speyrer Band einerseits mit dem Veranstaltungsort der Tagung, andererseits mit dem »Aufstieg des Hauses Habsburg« »auf dem Weg zur Weltmacht« teilen, wobei freilich die kräftigen Aussagen der Abschnittsüberschriften in den Beiträgen nüchtern relativiert werden. Diese folgen vielfach der verbreiteten Tagungslogik: Manche Autorinnen und Autoren werden eingeladen worden sein, um zu sagen, was sie bereits anderswo mit gutem Ergebnis gesagt hatten, andere hatten sich in ein für das Gesamtbild nötiges Thema einzulesen, was beides eher zur themenbezogenen Auswahl aus der vorliegenden Forschung als zu überraschenden neuen Ergebnissen führt, auch wenn solche nicht fehlen. Als kritische und mit einem Namenregister erschlossene Dokumentation des aktuellen Forschungsstands und durch die gut konzipierte Zusammenstellung verschiedener, teils doch auch ungewohnter Perspektiven verdient der Band jedenfalls seine zu erwartende Position als Schnittstelle zwischen bisherigen und künftigen Studien zu Rudolf und seiner Dynastie im gesamteuropäischen Kontext.
Der Herausgeber Bernd Schneidmüller nähert sich nach seiner knappen Einführung (S. 1–7) der Regierung des Königs über ihre Reflexe in der Historiografie und sein Auftreten in Geschichten und Anekdoten (S. 9–42). Martin Kaufhold stellt die nötige und weitgehend gelungene Konsensfindung mit den Fürsten im Reich in den Mittelpunkt von Regierung und Politik des Habsburgers (S. 43–56), während Martina Stercken das Instrumentarium der Herrschaftsausübung der Grafenfamilie vor Rudolfs Königswahl im territorial unübersichtlichen altschwäbischen Bereich präsentiert (S. 57–82). Andreas Büttner untersucht die Verwendung, Aufbewahrung und politische Bedeutung der Reichskleinodien unter Rudolf und seinen habsburgischen Nachfolgern, dem Sohn und dem Enkel, im Königtum (S. 83–114).
Auf die Ebene der Länder und Herrschaftsgebiete im Osten wie im Westen führen Christina Lutter, die nicht nur die Etablierung, sondern auch die Inszenierung der habsburgischen Herrschaft in den österreichischen Ländern und denen, die im Spätmittelalter zu solchen wurden, vorstellt (S. 115–140), und Dieter Speck, der anstelle einer Verlustgeschichte mit dem vorgegebenen Ziel der Entstehung der Schweiz die aktive habsburgische Politik in Vorderösterreich und die Verstetigung der Eidgenossenschaft parallel und auch als »Ringen um eine Koexistenz« betrachtet (S. 141–156). Julia Hörmann-Thurn und Taxis beschreibt »Heirat als politisches Instrument« der Habsburger im 13. und 14. Jahrhundert, geht der Frage der Handlungsmöglichkeiten der Frauen selbst einer-, der Päpste im Rahmen des kanonischen Rechts andererseits nach und gibt Tabellen der Eheschließungen in den drei Generationen nach Rudolf I. bei (S. 157–186). Christian Lackner analysiert die Rolle der Fürsten und der beherbergenden Städte bei den Gründungen der Universitäten in Wien und Freiburg im Breisgau und das Verhältnis der Letzteren zueinander (S. 187–201).
Die folgenden Aufsätze befassen sich mit dem Dom zu Speyer als, auch habsburgischer, Grablege. Matthias Müller verunsichert gezielt mit seiner Analyse von Überlieferung, Restaurierungen und Ikonografie der Grab- oder eher Memorialskulptur Rudolfs (S. 203–236), während Gabriele Köster das von Maximilian I. projektierte Kaiserdenkmal im Speyrer Dom diskutiert (S. 237–268). In Speyer bleibend, hinterfragt Manuel Kamenzin die etablierte Erzählung, dass Rudolf selbst den Dom als seinen Begräbnisort wählte, auch wenn die Zeitgenossen den Ort als angemessen erachteten (S. 269–293). Die Rivalitäten und Konflikte der adeligen Gruppen im Domkapitel, die in der Gefangennahme eines Bischofs eskalierten und König Rudolf zum Eingreifen veranlassten, und dessen nicht sehr intensive Beziehungen zur Stadt Speyer behandeln Gerhard Fouquet (S. 295–317) und Kurt Andermann (S. 319–330). Nur in lose Verbindung zu Rudolf lässt sich hingegen der Beitrag von Benjamin Müsegades setzen, der instruktiv zeigt, wie der hl. Stephan als Ko-Patron der Speyrer Kirche vom Protomärtyrer zum heiligen Papst gleichen Namens mutierte (S. 331–348). Auch Alexander Schubert, der »die Habsburger im Museum« oder eher im Ausstellungsbetrieb der letzten Jahrzehnte untersucht, kann nur wenig zu Rudolf beitragen, sondern muss den Vorrang auf diesem Gebiet durchaus passend – und noch dazu im eigenen Jubiläumsjahr 2019 – dem »Medienkaiser« Maximilian I. zugestehen (S. 349–362).
Die letzte Gruppe von Beiträgen ist der Rückkehr der Habsburger ins Königtum und der Zeit von Albrecht II. bis Ferdinand I. gewidmet, was den Autorinnen und Autoren Darstellungen von großflächiger Skizzenhaftigkeit abverlangt und für die eine oder andere Unschärfe verantwortlich sein dürfte. Martin Kintzinger überblickt den gesamten Zeitabschnitt im Reich, betont die Diskontinuität von der Zeit um 1300 ins zweite Drittel des 15. Jahrhunderts und vergleicht die habsburgische Geschichte mit jener der Luxemburger (S. 363–391). Julia Burkhardt umreißt die politischen und dynastischen Beziehungen zwischen Österreich, Ungarn und Böhmen im 15. Jahrhundert, die erst im anachronistischen Rückblick zur Präfiguration der neuzeitlichen Habsburgermonarchie erklärt werden konnten (S. 393–410). Klaus Oschema sieht mit gutem Grund den Weg zum »Aufstieg Habsburgs zu buchstäblichem Weltrang« über den Westen, also Burgund und die Iberische Halbinsel, führen und räumt den oft übersehenen Kindern Maximilians I., Philipp und Margarete, ihren Platz ein (S. 411–438).
Dass das Osmanische Reich in der habsburgischen Politik des 15. Jahrhunderts durchaus präsent war und im Reich argumentativ instrumentalisiert werden konnte, während umgekehrt Kreuzzugsträume den Kaiser in die Pflicht nahmen, ruft Claudia Märtl in Erinnerung, nachdem die wenig zur Heroisierung des habsburgischen Österreich als Bollwerk des christlichen Abendlandes geeignete Periode in der patriotischen Geschichtsschreibung keinen Platz gefunden hatte; dass schon Pius II. den Türken die trojanische Abstammung, die sie mit den Habsburgern geteilt hätten, absprach, wird eher nicht für das Wahrnehmungsdefizit verantwortlich sein (S. 439–458). Schließlich befasst sich Heinz-Dieter Heimann mit den Vorstellungen Karls V. und seiner Berater von einer Universalmonarchie und kann über einen bald nach 1530 entstandenen, mit Rudolf I. beginnenden Verwandtschaftsstammbaum des Kaisers und seines Bruders Ferdinand und die auf die Rudolf-Memoria ausgerichtete Renovierung und Ausstattung des Speyrer Doms unter dem nun österreichischen Kaiser Franz Joseph die Brücke zum Titelhelden des Bands schlagen (S. 459–485).
Angesichts der zumindest implizit noch virulenten rand- und außerwissenschaftlichen Inanspruchnahme Rudolfs I. als Begründer des habsburgischen König- und Kaisertums, das jedoch 1291 und lange danach keineswegs vorgezeichnet war, macht die Verlängerung des Untersuchungszeitraums vom 13. ins 16. Jahrhundert zweifellos Sinn. Die neuerliche Erlangung des Königtums durch die zeitweise auf prekärer territorialer und genealogischer Basis stehende Dynastie mit Albrecht II. beruhte mehr auf dessen Stellung als Schwiegersohn seines luxemburgischen Vorgängers als auf der Abstammung von Rudolf. Das Bewusstsein, einer königsfähigen Dynastie anzugehören, wird dieser den späteren Generationen allerdings mitgegeben haben; weniger freilich das politische Geschick, das ihm von jeher zugesprochen wurde und auch in diesem Band nicht abgesprochen wird.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Herwig Weigl, Rezension von/compte rendu de: Bernd Schneidmüller (Hg.), König Rudolf I. und der Aufstieg des Hauses Habsburg im Mittelalter, Darmstadt (wbg Adademic) 2019, XIV–512 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-534-27125-2, EUR 79,95., in: Francia-Recensio 2020/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71485