Was der Übergang von der mittelalterlichen Feudalwirtschaft zur neuzeitlichen Marktwirtschaft für den weiblichen Teil der europäischen Bevölkerung bedeutete, zählt zweifellos zu den Grundfragen der Frauen- und Geschlechterforschung seit jeher. Verschaffte die Herausbildung einer individualistischen Marktlogik den Frauen gegenüber den patriarchalen Strukturen der vormodernen Ständegesellschaft mehr Handlungsraum, oder unterbanden die neuen Rechtsinstitutionen staatlicher Obrigkeit vielmehr die informelle Nutzbarmachung persönlicher Netzwerke und Beziehungen – gerade für die Frauen?

Der Band »Women and Credit in Pre-Industrial Europe« geht dieser Frage am Beispiel der Funktionsweise vorindustrieller Kreditmärkte nach. In dreizehn Fallstudien werden die verschiedenen Rollen und Erfahrungen von Frauen nicht nur als Gläubigerinnen, sondern auch als Schuldnerinnen und Mittlerinnen von Kreditgeschäften beleuchtet.

Während sich die traditionelle Forschung zu Frauen und Kredit aufgrund der besseren Verfügbarkeit von Quellen schwerpunktmäßig mit verwitweten und adligen oder großbürgerlichen Frauen aus dem städtischen Kontext beschäftigt hatte, wartet dieses Buch mit einer Reihe von Beiträgen auf, die explizit das Kredithandeln von jungen, ledigen Frauen (z. B. bei Judith Spicksley) beziehungsweise von Ehefrauen (etwa bei Maria Ågren) zum Thema machen oder Überlieferungen zu den unteren Schichten (Montserrat Carbonell-Esteller) beziehungsweise aus dem ländlichen Raum (Juliet Gayton und Elise Dermineur) in den Fokus stellen. Neben dem Kredithandeln aus Profitstreben stehen dabei vor allem auch Kreditaktivitäten zur Diskussion, die aus sozialer Verpflichtung (James E. Shaw) oder zur persönlichen Vorsorge und Risikominimierung (Jaco Zuijderduijn) getätigt wurden.

Der Band schließt damit unmittelbar an das viel beachtete Buch der französischen Wirtschaftshistorikerin Laurence Fontaine zur »Moral Economy« an1. Auch ihr, die in dem von Elise Dermineur herausgegebenen Band das Schlusswort hat, geht es am Beispiel des Kredit- und Schuldengeschäfts um eine Verkomplizierung der von Thompson, Polanyi und Marx vertretenen Sichtweise, dass die kapitalistische Marktlogik Armut und soziale Ungleichheit vergrößerte. Am Beginn steht hier wie dort die Beobachtung eines erklärungsbedürftigen Paradoxons. Während die Rechte von Frauen ab dem 16. Jahrhundert immer stärker reglementiert und eingeschränkt wurden, nahmen der Anteil von Frauen, der Umfang und die Bedeutung ihrer Aktivitäten am Kreditmarkt im Verlauf der Frühen Neuzeit kontinuierlich zu. Trotz der zunehmenden Institutionalisierung von Recht und Gesetz fanden Frauen vielfältige Möglichkeiten, die Regeln des Gesetzes zu umgehen und patriarchale Logiken zu unterlaufen.

Während Laurence Fontaine mit ihrem Buch jedoch gerade gegen eine Romantisierung der vormodernen »gift economy« anschreiben möchte, fällt Dermineurs Darstellung der großen Rahmenhandlung häufig fast ungewollt in ein verklärendes Vormoderne-Bild zurück. Auch ist es bedauerlich, dass die Herausgeberin das Format eines Sammelbandes nicht dazu genutzt hat, die starke Fokussierung der bisherigen Forschung auf Westeuropa (insbesondere auf England) durch Untersuchungen zu Zentral- und Osteuropa zu ergänzen. Sechs der dreizehn Fallstudien beschäftigen sich mit England, zwei mit spanischen Überlieferungen und je eine mit französischen, holländischen, deutschen, schwedischen und italienischen Dokumenten.

Dafür aber ist das Anliegen der Herausgeberin, die Wirtschafts- und die Sozialgeschichte der Vormoderne wieder stärker in einen Dialog zu bringen, überaus gut gelungen. Quantifizierende Auswertungen und qualitative Analysen von Rentenzahlungen und staatlichen Schuldscheinregistern, von Pfand-, Leih- und Eheverträgen oder von Briefen bieten ein breites Panorama an Zugangsweisen zum Thema. Dabei kreisen viele Beiträge um die Frage, wie sich die Rolle von persönlicher Solidarität, Kooperation und Vertrauen für die Funktionsweise von Kreditbeziehungen in ihrer ökonomischen Bedeutung berechnen und in ihrer sozialen und emotionalen Dimension erfassen und interpretieren lässt.

Zwei Beobachtungen seien hier exemplarisch hervorgehoben: Wenn die Kreditaktivitäten von Frauen insgesamt weniger risikoaffin und profitorientiert gewesen zu sein scheinen als die von Männern, so lässt sich dies weder mit den vermeintlich »weiblichen« Tugenden von Solidarität und Kooperation noch mit einer mutmaßlich marktfernen Tauschökonomie der Vormoderne erklären. Vielmehr steht hier das erhöhte Bedürfnis von Frauen nach Sicherheit und Vorsorge im Vordergrund, das wiederum auf deren rechtlich und praktisch schwächere Position zurückverweist. So wurden in der spätmittelalterlichen Stadt Haarlem etwa die profitableren Ein-Personen-Leibrenten überwiegend von 30- bis 40-jährigen Männern abgeschlossen, während sich Frauen mehrheitlich für die Zwei-Personen-Leibrente entschieden, die im Sterbefall die eigene Tochter oder eine andere weibliche Verwandte versorgen sollte (Jaco Zuijderduijn). Im frühneuzeitlichen Venedig investierten Frauen ihre Mitgift häufig als Pfandleihe in obrigkeitliche Kreditinstitute, die ihnen dafür nicht nur hohe Zinsen oder Renten versprachen, sondern damit auch die Möglichkeit boten, ihr Vermögen vor dem Zugriff des Ehemanns und dessen Familie zu schützen (James E. Shaw).

Zweitens erweist sich die Interpretation von informellen, nicht institutionalisierten Kreditgeschäften als einer auf persönlichem Vertrauen basierenden Interaktion als unzureichend. Die Gewährung eines privaten Kredits geschah keineswegs immer, weil die Kreditgeberinnen und -geber annahmen, d. h. vertrauten, dass die Kreditnehmerinnen und -nehmer ihre Schulden zahlen würden. Vielmehr konnte die Kreditvergabe – im persönlichen Nahverhältnis ebenso wie im Kontakt mit obrigkeitlichen Institutionen – auf vielfache Weise erzwungen sein. So zeigen die Sicherheitsarrangements für Kredite im frühneuzeitlichen Schweden, wie insbesondere Frauen (die nach geltendem Erb- und Eherecht weitgehend vom Bodenbesitz ausgenommen waren) häufig gezwungen waren, ihre beweglichen Güter oder auch ihren persönlichen Ruf für die Kreditgeschäfte anderer zu verpfänden (Maria Ågren).

Vielleicht wäre es einmal an der Zeit, die Geschichte des Kredits nicht vom Konzept des Vertrauens aus, sondern von den Logiken des Zwangs her zu denken und zu schreiben. Dabei wäre es sicherlich lohnend, den gut erforschten »Ausnahmefall« England durch breit angelegte empirische Studien zu anderen Teilen Europas oder der Welt zu dezentrieren und nach regions- und zeitspezifischen Mustern der Kreditbeziehungen zu fragen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Juliane Schiel, Rezension von/compte rendu de: Elise M. Dermineur (ed.), Women and Credit in Pre-Industrial Europe, Turnhout (Brepols) 2018, XII–364 p., 14 b/w fig., 32 tabl. (Early European Research, 12), ISBN 978-2-503-57052-5, EUR 100,00., in: Francia-Recensio 2020/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71634