Während die Familien- und Geschlechterpolitiken des Vichy-Regimes bereits Gegenstand von wissenschaftlichen Arbeiten geworden sind1, bildet die Analyse der Kontinuitäten zwischen Vichy-Frankreich und der Zeit nach der Befreiung ein Forschungsdesiderat. Dieses möchte Sarah Fishman schließen: sie stellt die Themenkomplexe »family life, gender, marriage, parenting, childhood, and adolescence« (S. XV) in den Fokus ihrer Arbeit und möchte so die Auswirkungen der konservativen Familien- und Geschlechterpolitik des Vichy-Regimes auf die französische Gesellschaft auch über den politischen Bruch von 1944 hinaus aufzeigen.

Ihre zentralen Fragen richten sich darauf, wie es Familien in der (wirtschaftlich) schwierigen Transformationsphase der unmittelbaren Nachkriegszeit erging und wie diese das einsetzende Wirtschaftswachstum der 1950er-Jahre erlebten (S. XV). Thematisch lassen sich in ihrem Buch dabei zwei Schwerpunktsetzungen finden: Neben der Ehe- und Familienthematik beleuchtet Fishman auch Aspekte der Jugendkultur der frühen 1960er-Jahre, die an dieser Stelle insofern eine sinnvolle Inklusion in das Buch sind, weil sie auch Aspekte von Partnerwahl, möglichen Lebensentwürfen und vorehelicher Sexualität thematisieren. Dabei konstatiert Fishman vollkommen zu Recht, dass die Themenkomplexe Familie und Sexualität in der unmittelbaren Nachkriegszeit nur in Zusammenhang mit den Diskursen und Lebenswirklichkeiten während des Vichy-Regimes in ihrer vollen Tiefe erfasst werden können.

Die bis dato vorliegende Forschung betrachte die angesprochenen Themenkomplexe vor allem aus einem »contemporary point of view« (S. XV), was dazu führe, so Fishman überzeugend, dass die im Frankreich der 1950er-Jahre vorherrschenden Geschlechterordnungen in erster Linie als traditionell und konservativ wahrgenommen würden und der sich in dieser Zeit allmählich abzeichnende Wandel leicht übersehen werden könne (S. XX). Dass es aber einen solchen Wandel der Geschlechterordnungen im Frankreich der 1950er-Jahre gab, ist Fishmans Grundthese, die sie in ihrem Buch auch überzeugend darlegen kann.

Die Quellengrundlage der Studie bilden zeitgenössische Zeitschriftenartikel der an ein weibliches Publikum adressierten Presse wie »Marie-Claire« und »Elle«, aber auch weniger bekannte Organe wie »Confidences« oder »Constellation«, die ebenso zahlreich gelesen wurden und ihre Leserinnen vor allem im ländlichen und im Arbeitermilieu fanden. Daneben hat Fishman zahlreiche Ratgeberliteratur für Jugendliche, werdende Mütter und Eltern ausgewertet. Eine ebenso zentrale wie besonders hervorzuhebende Quellengattung sind die Aktenbestände der Jugendgerichtbarkeit der Jahre 1945 bis 1965 aus vier unterschiedlichen Regionen Frankreichs, deren Auswahl ein repräsentativeres Bild der französischen Gesellschaft erlauben sollen. Sie bilden eine sinnvolle Ergänzung zu den öffentlich geführten Diskursen, da sie durch die Beschreibungen der Lebens- und Familienumstände von straffällig gewordenen Jugendlichen, die Sozialarbeiterinnen und -arbeiter verfassen mussten, einen (ausschnitthaften) Einblick in die tatsächlichen Lebenswirklichkeiten von Familien geben.

Mit aller gebührenden quellenkritischen Vorsicht kann Fishman so an zahlreichen Einzelfällen aufzeigen, welche Vorstellungen Sozialarbeiterinnen und -arbeiter von »normalen« Familien hatten. Neben dem Verhalten der straffällig gewordenen Jugendlichen selbst standen dabei auch das Verhalten und die Rolle von Mutter und Vater im Familienleben im Fokus und wurden zur besseren Einschätzung des abweichenden Verhaltens von Jugendlichen herangezogen. Da Sozialarbeiterinnen und -arbeiter in ein größeres staatliches System eingebunden waren, dessen Werte und Normen sie vertraten und mitkonstituierten, können die Aktenbestände der Jugendgerichtsbarkeit dabei helfen, die zum Teil theoretisch in den öffentlichen Diskursen ausgehandelten und verhandelten Familienideale zu kontextualisieren.

Obwohl diese hauptsächlich konservativen Vorstellungen folgten, bei denen beispielsweise Ehe und Mutterschaft als natürliche Bestimmung der Frau gehandelt wurden, zeigt Fishman auf, wie sich das Sagbare über Ehe, Geschlecht und Sexualität veränderte, indem diese Themen zunehmend auch in der (Frauen-)Presse kritisch reflektiert wurden. Als »forces of change« (S. 29) führt Fishman den Einfluss von Sigmund Freuds Psychoanalyse, die Studien von Alfred Kinsey (S. 52) sowie den Einfluss Simone de Beauvoirs an. Alle drei wurden, so Fishman, nicht von den breiten Massen gelesen; sie fanden jedoch Eingang in die öffentlichen Debatten, wodurch die dahinterstehenden Konzepte auch eine breite Rezeption fanden. Sie führten zu Debatten über die »modern women« (S. 47), die nicht nur die weibliche Erwerbstätigkeit außerhalb des Hauses thematisierten, sondern auch Fragen ihrer Sexualität aufgriffen (S. 48).

Diesen Veränderungen lässt sich besonders gut nachspüren im Genre des Leserbriefes, wenn Frauen um Rat fragend etwa von den Herausforderungen in ihrem (Liebes-)Leben berichteten, und wo sich im Verlauf der 1950er-Jahre in den Antworten der Redaktion ein allmählicher Wandel in der Bewertung der Geschlechterrollen ablesen lässt. So wurde etwa das während des Vichy-Regimes zelebrierte Verständnis vom Wesen der Ehe und Mutterschaft als Selbstaufopferung der Frau allmählich aufgelöst, wenn den Leserinnen an Beispielen aufgezeigt wurde, wie sie innerhalb eines gewissen Rahmens, ihre Ehe und das Familienleben aktiv mitbestimmen konnten; aber auch wenn etwa Hausarbeit zunehmend als ein Set von erlern- und optimierbaren Fähigkeiten verstanden wurde, was den gesellschaftlichen Status der Ehefrau aufwertete (S. 12). Auch die Rolle des Mannes als Vater begann sich zu wandeln, wie die Akten der Jugendgerichtsbarkeit aufzeigen. Vor und während des Krieges wurde Vaterschaft vor allem als Status angesehen, wobei im Sinne von funktionierenden Familienzusammenhängen lediglich wichtig zu sein schien, ob Väter an- oder abwesend waren. Nach Ende des Krieges rückte nun vermehrt die Qualität der Beziehung, die Väter zu ihren Kindern hatten, in den Fokus (S. 71).

Auch wenn so bis dato vorherrschende Bilder von Frauen langsam und in vielen kleinen Kontexten aufgebrochen wurden, wurden Ehe und Mutterschaft trotzdem weiterhin als »goal for nearly all women« angesehen, wobei ihnen im Falle von Kinderlosigkeit nicht nur »unfinished womanhood«, sondern auch Frigidität vorgeworfen wurde, was die Norm weiblicher Sexualität in den Kontext einer heteronormativen ehelichen Partnerschaft setzte (S. 57). Doppelmoral gegenüber sexueller Freizügigkeit war dabei der Standard: Das galt für eheliche Untreue, die Ehemännern unter bestimmten Umständen zugestanden wurde, ebenso wie für die voreheliche Sexualität von männlichen Jugendlichen (S. 100), während der einzig legitime Ort für weibliche Sexualität die Ehe blieb (S. 101, 105).

Anhand von Einblicken in die französische Jugendkultur der frühen 1960er-Jahre zeigt Fishman schließlich auf, wie ambivalent die Diskurse und Einstellungen zu Ehe und Sexualität in dieser Phase waren. Modeerscheinungen wie die minijupe, Françoise Sagans Buch »Bonjour tristesse« oder das Phänomen der »jeunes filles« forderten die vorherrschenden Geschlechterordnungen eindeutig heraus, da sie junge, unverheiratete Frauen sexualisierten. Fishman zeigt anhand der Ratgeberkolumnen aus Frauenzeitschriften, dass junge Frauen in der Tat auch kritisch über die Ehe reflektierten (S. 157). Gleichzeitig herrschten dennoch auch in dieser Zielgruppe konservative Überzeugungen vor, wie eine im Jahr 1960 durch die Zeitschrift »Elle« durchgeführte Studie zeigt, an der über 20 000 junge (überwiegend gebildete, aus der städtischen Mittelklasse stammende) Frauen teilgenommen hatten, die überwiegend Albert Camus Françoise Sagan vorzogen und etwa New-Wave-Filme ablehnten (S. 154).

Auch zu Beginn der 1960er Jahre schien der einzig legitime Ort für eine weibliche Sexualität weiterhin die Ehe zu sein, wie Ratschläge der ersten französischen Datingagentur aufzeigten, die junge Frauen ermahnten, sich in ihrem Verhalten an die »common morality« zu halten (S. 172). Dass unverheiratete Frauen dennoch schwanger wurden, zeigt, dass dies nicht immer der gelebte Alltag war. Bemerkenswert dabei ist, dass diesen Frauen nun nicht mehr pauschal empfohlen wurde, den Kindsvater zu heiraten. Scheinbar wurde der Status der alleinstehenden Mutter zu Beginn der 1960er-Jahre zu einer wenn auch nicht erstrebenswerten, so doch möglichen Option für weibliche Lebensentwürfe (S. 176); ein Aspekt, der auch durch die staatliche Familienpolitik unterstützt wurde, die alleinstehenden Müttern staatliche Zuwendungen zusicherte. Auch Scheidungen waren in den 1960er-Jahren schließlich weniger stark mit einem Stigma versehen, wenn sie auch trotzdem weiterhin zu Lasten der Frauen gingen (S. 189).

Mitte der 1960er-Jahre schienen sich also die in der französischen Gesellschaft vorherrschenden Geschlechterordnungen verschoben zu haben, ein Wandel, der bereits in den frühen 1950er Jahren eingesetzt hatte. Diese Entwicklungen aufzuzeigen ist Sarah Fishman in ihrem äußerst lesenswerten Buch gelungen. Ihre Quellenauswahl ermöglicht es ihr, die öffentlich geführten Diskurse mit Beispielen aus dem Lebensalltag zu kontrastieren und so auch Momentaufnahmen der innerhalb von Familien ausgehandelten und verhandelten Werte und Normen zu geben. Ihre thematischen Schwerpunktsetzungen geben Einblick in unterschiedliche Aspekte der Themenkomplexe Ehe, Familie, Kindheit und Geschlechterordnungen.

Insbesondere der Einbezug der Jugendkultur, den sie eng an die Ehe- und Familienthematik anlegt, erweist sich dabei als weitführend, kann er doch aufzeigen, wie in den frühen 1960er-Jahren konservative und »moderne« Vorstellungen unter Jugendlichen oftmals nebeneinander existierten. Insgesamt wäre ein noch tieferer Blick auf den Wandel der gesellschaftlichen Rollen von Männern als Ehemann und Vater und auf die in diesem Zusammenhang zirkulierenden Männlichkeitskonzepte wünschenswert gewesen. So bleibt die Frage danach, was das sich wandelnde Bild der Ehefrau und Mutter mit demjenigen der Ehemänner und Väter machte, weitestgehend unbeantwortet.

In diesem Kontext hätte man auch noch stärker nach den Kontinuitäten zwischen Vichy-Frankreich und Nachkriegszeit fragen können, etwa was Niederlage, deutsche Besatzung sowie die während des Krieges veränderten gesellschaftlichen Rollen von Ehefrauen auf Männlichkeitskonzepte im Kontext von Ehe und Versorgung der Familie wirkten. Zusammenfassend kann man festhalten, dass Sarah Fishman mit ihrem Buch »From Vichy to the Sexual Revolution« einen wichtigen Beitrag zur Historiografie der Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs auf die französische Gesellschaft leistet2. Wer sich in Zukunft für die gesellschaftlichen Auswirkungen des Krieges auf die französische Gesellschaft interessieren wird, wird um diese Studie nicht herumkommen.

1 Beispielhaft: Francine Muel-Dreyfus, Kathleen A. Johnson, Vichy and the Eternal Feminine. A Contribution to a Political Sociology of Gender, Durham, NH 2001; Luc Capdevila, The Quest for Masculinity in a Defeated France 1940–1945, in: Contemporary European History (2001), S. 421–445.
2 Cosima Flateau, Les sorties de guerre. Une introduction, Les Cahiers Sirice 2016/3 (N° 17), p. 5–14: https://www.cairn.info/revue-les-cahiers-sirice-2016-3.htm [25.02.2020].

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Agnes Laba, Rezension von/compte rendu de: Sarah Fishman, From Vichy to the Sexual Revolution. Gender and Family Life in Postwar France, Oxford (Oxford University Press) 2017, XXVI–263 p., ISBN 978-0-19-024862-8, GBP 26,49., in: Francia-Recensio 2020/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71636