Eine runde Sache ist die Geschichte des »innere[n] Kreis[es] im Dritten Reich« nicht, die Heike B. Görtemaker mit »Hitlers Hofstaat« vorgelegt hat. Ihr fehlt ein analytischer Zugriff, den zum Beispiel die Instrumente der historischen Netzwerkanalyse geboten hätten. Obwohl die Autorin hinter den Möglichkeiten der Forschung zurückbleibt, liefert Görtemaker eine gut lesbare, mit neuen Quellen bereicherte Darstellung des persönlichen Umfeldes Hitlers.
Die mit einer Arbeit über die Journalistin Margret Boveri promovierte Historikerin ist seit ihrer Eva-Braun-Biografie einem breiteren Publikum bekannt. In dieser Lebensbeschreibung von »Frau Hitler« findet sich vieles angelegt, was die Autorin in »Hitlers Hofstaat« ausführt. Die Ausführungen leben von den privaten Nachlässen, die Nachkommen der dem »inner circle« Angehörenden der Autorin zur Verfügung gestellt haben. Sie hat zudem einen Großteil der bekannten Erinnerungsliteratur und die einschlägigen Archivbestände durchgesehen und zu einem Gesamtbild zusammengefasst.
Dass die Autorin einen Bogen um frankophone Quellen gemacht hat, springt natürlich dem Rezensenten ins Auge, der über den französischen Botschafter in Berlin gearbeitet hat. Aber auch aus den Akten der Münchener Gesandtschaft wäre – wie die einschlägige Untersuchung von Andrea Müller unterstreicht1 – aufschlussreiches zu holen gewesen. Methodisch problematischer ist, dass es Görtemaker versäumt hat, ihr analytisches Instrumentarium zu schärfen und den Umfang und Charakter des von Albert Speer als »Führerkreis«, von anderen als »inner circle« und von ihr als »Hofstaat« apostrophierten Umfelds um Adolf Hitler zu definieren. Wer ist dem inneren Kreis warum zuzurechnen? Erfolgt die Zurechnung aufgrund persönlicher Beziehungen, ausgeübter Funktionen oder nach anderen Kriterien?
Schließlich verwirrt das mit dem Begriff evozierte Bild, wenn schon bei der Formierung von »Hitlers Kreis«, also jener (Münchner) »Clique treuer Anhänger«, die »ihn zum ›Führer‹« machten, »ein enger Kreis der persönlichen Betreuer«, sprich Fahrer, Diener und Leibwächter (S. 50) auftaucht, den ein »einflussreicher Mäzenaten-Kreis« (S. 87) ergänzt. Wie sich diese Kreise zueinander verhielten, ob und wie sie sich mit dem »Kreis der Berater Hitlers« (S. 60) beziehungsweise dem »Machtzirkel um Hitler« (S. 66) deckten, bleibt auch deshalb unklar, weil zur Abwechslung von »Hitler-Vertrauten« (S. 12), seiner »Entourage« oder der »engsten Gefolgschaft« (S. 67) die Rede ist. Betrafen dann die Konflikte innerhalb des »Münchner Kreises« (S. 91) nur die so genannte Clique oder auch die Geldgeber? Die Verwirrung wird noch größer, wenn die Kreise in Bewegung geraten, sich ihre Zusammensetzung ändert und der Schwerpunkt sich von München nach Berlin verlagert. Mit der Verlagerung veränderte sich auch – und das ist ein Ergebnis der Untersuchung – ihre Funktion, aus dem »Kreis für Hitler« wurde ein »Kreis um Hitler«, wie das die Autorin formuliert.
Die sich aus den definitorischen und methodischen Schwächen ergebenden Fragen setzen sich bei der Schilderung der »Berghof-Gesellschaft« fort, die ab 1935/1936 eine »Art Hofstaat« (S. 170) bildete. Wieder bleiben der Begriff im Unklaren, die Zusammensetzung und die Zuordnung im Fluss, ist von einem »sozialen Zirkel« im Gegensatz zu dem »früheren privaten Umfeld« (S. 156) die Rede, spricht die Autorin von einem »inneren«, »vertrauten« und »privaten« Kreis, ohne das genaue Verhältnis zu dem wohl diese Kreise umfassenden »Berghof-Kreis« zu beschreiben.
Nicht zu bestreiten ist, dass »Hitlers ›Tafelrunde‹« auf dem Obersalzberg »einen Schutzraum um den ›Führer‹« (S. 215) bildete. Die Funktion des Berghof-Kreis(es) scheint »Hitlers Mittagstafel in der Berliner Reichskanzlei« (S. 219) nicht gehabt zu haben, auch wenn der »Führerclan« beziehungsweise »Kern des ›Hofstaates‹ auf dem Obersalzberg« (S. 196) nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges selbigen immer wieder verlassen hat. Dass im Kriegsverlauf die »engsten politischen Mitstreiter sowie die Männer und Frauen des inner circle (S. 309) »immer größere Bedeutung« (S. 312) gewannen, versteht sich fast von selbst. Warum die Autorin dem Kreis als einzigen Militär nur Hitlers Luftwaffen-Adjutant, Nicolaus Freiherr von Below, zurechnete, erläutert sie nicht. Die Alleinstellung ist wohl wie im Fall Wilhelm Nettersheim dem zur Verfügung gestellten Nachlass geschuldet. Letztendlich hält die Autorin drei Kreise fest, einen »kleinen, aber keineswegs homogenen Unterstützerkreis« von Parteifreunden und einen »festen Kreis von Mäzenen«, die nach der »Machtergreifung« von der sich bildenden Berghof-Gesellschaft abgelöst wurde. Schnittmengen scheint es nicht gegeben zu haben, jedenfalls werden Heinrich Hoffmann und Eva Braun von der Autorin allein letzteren zugeschlagen, obwohl sie schon bei der Formierung des Münchner Kreises – nicht der Clique – zu Adolf Hitler stießen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Claus W. Schäfer, Rezension von/compte rendu de: Heike B. Görtemaker, Hitlers Hofstaat. Der innere Kreis im Dritten Reich und danach, München (C. H. Beck) 2019, 528 S., 62 Abb., ISBN 978-3-406-73527-1, EUR 28,00., in: Francia-Recensio 2020/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71643