Der Mittelalterhistoriker Johannes Helmrath hat bereits vor einigen Jahren auf einen durchaus interessanten Aspekt der historischen Forschung hingewiesen: »Jubiläen halten – in der Tat neohistorisch – die Historiker auf Trab, als erzwänge die Geschichte auf diese Weise gleichsam selbst ihre Erforschung«1. Dieser Tatsache ist auch die Publikation der ersten englischsprachigen Biografie Kurt Eisners (1867–1919) Ende 2018 zu verdanken, schließlich jährte sich dessen Ermordung am 21. Februar 2019 zum hundertsten Mal.

Der Biograf Albert Earle Gurganus, US-amerikanischer Germanistikprofessor, der bereits in den 1980er-Jahren eine englischsprachige Arbeit zu Eisner vorgelegt hatte2, weist direkt zu Beginn seiner Arbeit darauf hin, dass eine Betrachtung Eisners vor allem aufgrund seiner Rolle während der Bayerischen Revolution 1918/1919 und dem damit einhergehenden Ende der Dynastie der Wittelsbacher durchaus wichtig ist (S. 1). Die Biografie dieses »Außenseiters« der deutschen Sozialdemokratie (S. 2) solle deshalb vor dem Hintergrund der Zeit, in der der Schriftsteller, Journalist und Politiker lebte, verstanden werden (S. 4). Dabei richte sich diese in erster Linie an ein allgemein interessiertes, englischsprachiges Lesepublikum, das etwa Einsicht in die Geschichte des wilhelminischen Kaiserreiches und die Geschichte des deutschen Journalismus um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gewinnen möchte (S. 5).

Gurganus‘ Biografie ist strikt chronologisch organisiert, folgt dem Leben Eisners in 23 Kapiteln und schließt mit einem Kapitel zur posthumen Wahrnehmung des Politikers und ersten Ministerpräsidenten des bayerischen Freistaates (S. 425–441). Das Gros der Abhandlung widmet sich allerdings, wie so oft bei historischen Betrachtungen Kurt Eisners, seiner Zeit in München während des Ersten Weltkrieges, der Revolution und seiner Regierung (S. 303–324). Oftmals geht die Darstellung sehr ausführlich auf allgemeine historische Entwicklungen zwischen 1867 und 1919 ein, die Leserinnen und Lesern, die ein Interesse an Eisner haben, eigentlich geläufig sein dürften. Vermutlich sind diese Längen dem englischsprachigen Lesepublikum geschuldet; etwas mehr Fokus auf Eisner anstatt dieser ausführlichen Einführungen wäre jedoch wünschenswert gewesen. Doch genau darin offenbart sich die Schwäche des Buches. Wissenschaftlich betrachtet liefert Gurganus keine neuen Erkenntnisse, es macht geradezu den Eindruck, als wäre der Autor auf dem Forschungsstand der 1980er-Jahre stehen geblieben. Das Standardwerk zu Kurt Eisner, die Biografie von Bernhard Grau3, wird zwar kurz erwähnt, bleibt aber darüber hinaus oft unbeachtet, ebenso wie andere Arbeiten zum Thema, die in den letzten Jahren entstanden sind. Da der Darstellung des amerikanischen Historikers keine historiografische Besprechung vorangestellt ist, muss dieser Umstand den Leserinnen und Lesern allerdings verborgen bleiben.

Im Umgang mit archivalischen Quellen ist die Biografie ebenfalls oberflächlich, da Quellen zwar bisweilen zitiert bzw. erwähnt werden, diese jedoch selten wirklich intensive Betrachtung finden und zudem etwas »unorthodox« zitiert werden, d. h. Bestands-, Akten- und Seitennummern werden angegeben, das Dokument in den Endnoten aber nicht direkt bezeichnet – bisweilen passiert das nur im Text selbst. Mit Blick auf die Auswahl der Quellen bietet die Biografie gleichfalls kaum neue Erkenntnisse, sondern zitiert Texte, die bereits ausreichend erforscht und dem wissenschaftlichen Leserinnen- und Leserkreis entsprechend bekannt sind.

Oftmals entsteht ebenfalls der Eindruck einer rein chronologischen Beschreibung der Ereignisse, ohne Eisners Handlungen und Entscheidungen einzuordnen oder ausreichend zu problematisieren. (besonders S. 67–88, 138–159). Gurganus gelingt es aufgrund dieser Art der Darstellung ebenfalls nicht, klarere Strukturen herzustellen und oft werden Privates und Politisches im Leben Eisners derart vermengt, dass der Eindruck eines Springens von der einen in die andere Ebene entsteht, ohne dass dieses Springen verständlich und ergebnisorientiert erläutert würde (S. 243–258).

Die am Ende gelieferte Rezeptionsgeschichte Eisners (S. 425–441) ist wiederum zu oberflächlich und bietet einen eher schwachen Abschluss der doch recht umfangreichen Biografie. Stattdessen wären eine echte Schlussbetrachtung und eine historische Einordnung wesentlich besser gewesen, sie hätten die Arbeit resümierend abrunden können.

Insgesamt betrachtet bleibt die Bewertung dieser Eisner-Biografie schwierig. Zum einen ist es wichtig, dass nun eine englischsprachige Arbeit zum ersten bayerischen Ministerpräsidenten vorliegt, zum anderen hätte der Verlag besser daran getan, Graus Eisner-Biografie zu übersetzen. Denn diese ist und bleibt das Standardwerk, da Gurganus es versäumt, tatsächlich neue Ergebnisse zu liefern, und weit hinter dem zurückbleibt, was Grau bereits 2001 an Einsichten und Erkenntnissen vorgelegt hat.

So ist das Buch, mit Blick auf die Diskussion historischer Jubiläen, auf die eingangs hingewiesen wurde, eher ein Beleg dafür, dass die absatzorientierten Überlegungen von Verlagen schwerer wiegen als der zu erwartende Kenntnisgewinn geschichtswissenschaftlicher Forschung. Für Historikerinnen und Historiker bedeutet das demnach Vorsicht walten und sich nicht zu sehr von den Jubiläen als vom Wunsch nach echter Forschungsleistung antreiben zu lassen.

1 Johannes Helmrath, Das Reich: 962 – 1356 –1806. Zusammenfassende Überlegungen zur Tagung »Die Goldene Bulle«, in: Ulrike Hohensee et al. (Hg.), Die Goldene Bulle. Politik – Wahrnehmung – Rezension, Bd. 2, Berlin 2009, S. 1137–1151, hier S. 1138.
2 Albert E. Gurganus, The Art of Revolution. Kurt Eisner’s Agitprop, Columbia, OH 1986.
3 Bernhard Grau, Kurt Eisner. Eine Biographie 1867–1919, München 2001.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Frank Jacob, Rezension von/compte rendu de: Albert Earle Gurganus, Kurt Eisner. A Modern Life, Rochester, NY (Boydell & Brewer) 2018, X–576 p., 24 b/w ill. (German History in Context), ISBN 978-1-64014-015-8, GBP 45,00., in: Francia-Recensio 2020/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71646