Anfang des Jahrtausends geriet das regionalwissenschaftliche Wissen in Deutschland in den Fokus der Politik. Eine Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrates plädierte für einen energischen Ausbau, weil sich die Anzeichen mehrten, dass das bestehende und verfügbare Vorratswissen für eine neue Rolle in den laufenden Globalisierungsprozessen nicht ausreiche, während andere Länder hier einen Vorsprung hätten, der sich aus der Institutionalisierung von Area Studies ergäbe. Dass dabei der Begriff »Area Studies« selbst schillernd benutzt wurde und sowohl die in den USA anzutreffende Variante von interdisziplinären Zentren zur vorrangig sozialwissenschaftlich inspirierten Beobachtung von Gesellschaften in verschiedenen Weltregionen, als auch die in den Kolonialwissenschaften und Imperial Studies wurzelnden Einrichtungen in Großbritannien und Frankreich meinen konnte, tat der Euphorie keinen Abbruch und alsbald legte das zuständige Bundesministerium ein Förderprogramm zur Stärkung der Regionalwissenschaften auf, von dem sowohl an einem Ort konzentrierte Zentren als auch über mehrere Standorte dislozierte Netzwerke profitierten.

Die Bilanz ist vorwiegend positiv, ein schon lange vorhandenes hohes Niveau der Forschung wurde für abgestimmte Initiativen mobilisiert, der Nachwuchs mit befristeten Stellen versorgt und die Profilbildung an den Hochschulen in einer Weise beflügelt, dass nun auch Area Studies zu den Leuchttürmen gezählt werden konnten. Ironischerweise scheiterte das Förderprogramm in seiner zentralen Intention auf eine höchst produktive Weise. Statt der angestrebten Zentren, die sich für jeweils eine Weltregion zuständig fühlen würden, trieb die Förderinitiative ein Interesse an den transregionalen Verflechtungen voran und blieb keineswegs in einer Fokussierung auf containerhaft konzipierte Regionen stecken, wie man es anhand der ursprünglichen Ausschreibung hätte befürchten können. Insofern erfüllten die Zentren und Netzwerke ihre Aufgabe, indem sie den Wortlaut der ministerialen Aufforderung nicht allzu ernst nahmen: sie stellten zeitgemäßes Weltwissen bereit und scherten sich weniger um den nahegelegten Nachvollzug einer Entwicklung, die an anderen Orten viele Dekaden zuvor stattgefunden hatte.

Allerdings wird dieses positive Bild von einer parallelen Initiative irritiert, die sich um den Begriff der »Kleinen Fächer« gruppiert. Eine vom gleichen Ministerium finanzierte Arbeitsstelle erhebt – ebenfalls durchaus der eingangs erwähnten Analyse des Wissenschaftsrates verpflichtet – Daten zur Ausstattung der Regionalwissenschaften an den Universitäten. Hier geht es um Professuren und andere Dauerstellen, die für die Aufrechterhaltung des Lehrbetriebes benötigt werden. Und da sieht die Bilanz offensichtlich weniger ermutigend aus – die Klagemauer, an der der Orchideenstatus der vielen Kleinen Fächer bejammert wird, ist weiter in exzessiver Nutzung. Sie können ihre strategischen Interessen schwer durchsetzen, weil sie über zu wenige Stimmen in den Universitätsgremien verfügen. Was für die Forschung mit befristet eingestellten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern zu funktionieren scheint, erweist sich für die angestammten Institutionalisierungsprozesse als unbefriedigend.

Grund genug, sich einen kurzen Moment zurückzulehnen und auf das Gewordensein dieser widersprüchlichen Lage zurückzuschauen. Es nimmt deshalb nicht wunder, dass in den letzten Jahren eine ganze Phalanx von gründlichen Studien veröffentlicht wurde, die nach den Area Studies in den USA gefragt haben (um zu wissen, worauf sich eigentlich die deutsche Debatte beziehen sollte), oder die nach vergleichbaren Vorgängen im östlichen Europa oder im Ostblock, in China und Indien, im Subsaharischen Afrika und im Nahen Osten fahnden (um dem normativen Druck des einen Vorbildes entgegenzutreten).

Hier ordnet sich die vorliegende Habilitationsschrift von Anne Kwaschik ein, die inzwischen Professorin für Wissensgeschichte in Konstanz ist. Beabsichtigt ist, wie der Untertitel verrät, eine Genealogie der Area Studies und ihres dauerhaften Auftrags, Weltwissen zusammenzutragen und herzustellen. Diesen Titel sollte man nicht allzu wörtlich nehmen, denn die Abstammungsgeschichte begrenzt sich im vorliegenden Fall auf Großbritannien, Frankreich und die USA, also einen Ausschnitt der gesamten Story. Sie setzt mit den Kolonialwissenschaften des späten 19. Jahrhunderts ein (hier auch Deutschland und Belgien einbeziehend), woran man die Frage anschließen könnte, warum die Erbschaft der intellektuellen Begleitung der frühneuzeitlichen Vernetzungen damit wie selbstverständlich ausgeschlossen wird.

Dies hat für das Konzept des Buches einen durchaus problematischen Effekt: Weltwissen erscheint als dringend benötigtes Instrument des Wettbewerbs um Einfluss und vielleicht auch Erträge im kolonialen Raum im Zeitalter des modernen Imperialismus. Das wird selbstverständlich überzeugend dargelegt und hat auch schon andere Arbeiten zu den Kolonialwissenschaften angetrieben. Was allerdings damit aus dem Blick gerät, ist die Tatsache, dass eine solche Zurichtung des Weltwissens keineswegs alternativlos war und auch in den untersuchten Ländern (und zahlreichen weiteren europäischen Gebieten) schon einmal auf andere Weise ausprobiert worden war.

Die Tradition der Anthropologie des 18. Jahrhunderts musste erst partiell stillgestellt werden, um die Form der Regionalwissenschaften befördern zu können, die um 1900 so viele Kolonialenthusiasten beflügelte. Und dies geschah weder an allen Standorten gleichermaßen, noch ließen sich alle Vertreter der Regionalwissenschaften so bereitwillig darauf ein, wie es die Vorreiter der »Kolonialistik« taten. Man hätte sich gerade mit Blick auf die kritische Absicht dieses Buches also ein Kapitel vor dem ersten Teil vorstellen können, das deutlicher herausarbeitet, wie die Regionalwissenschaften erst zu einer nützlichen Grundlage für die Erzeugung eines kolonial brauchbaren Weltwissens gemacht wurden.

Der zweite Teil der Arbeit konzentriert sich auf die USA zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und den 1970er-Jahren und wertet die Archive von Ford und der Rockefeller Foundation aus, die auch der inzwischen breiten Literatur zum Entstehen der Area Studies in Nordamerika bereits zahlreiche Belege geliefert haben. Aufgrund der großen Zahl von Initiativen und ihrer oft kurzlebigen Karriere zwischen enthusiastischer Lancierung und rascher Beerdigung aufgrund unerfüllter Erwartungen ist hier reichlich Anschauungsmaterial zu heben für ein Wissensgebiet, das viele nordamerikanische Universitäten nicht wirklich in den Kern des Curriculums vordringen ließen, sondern in fragile und primär extern finanzierte Zentren auslagerten, denen man eher Sprachunterricht und landeskundliche Vorbereitung des wissenschaftlichen Nachwuchses zutraute als einen wirklichen Vormarsch in die Kernbereiche der Wissensordnung.

Dies sah an einigen Hochschulen anders aus und verdankte sich dort der Integrationsbereitschaft einzelner Persönlichkeiten, die die Herausforderung der Diversität area-spezifischer historischer Erfahrungen anzunehmen bereit waren, wie Katja Naumann im Detail für Chicago, Harvard und Columbia gezeigt hat1. Anne Kwaschik zieht die Parallelen zwischen westeuropäischen Kolonialwissenschaften und US-Area Studies – beide Konfigurationen produzierten Wissen für ein bestimmtes Globalisierungsprojekt und sie verloren ihre in Finanzierung ausgedrückte gesellschaftliche Anerkennung, wenn sie dafür an Bedeutung verloren. Sie sieht seit den 1970er-Jahren einen Niedergang der Area Studies in den USA – das Urteil würde vielleicht nicht so harsch ausfallen, wenn sie nicht in erster Linie auf die tatsächlich massiv nachlassende Finanzierung, sondern auf die Integration der regionalwissenschaftlichen Erträge in die Paradigmen der dominanten Fächer der Social Sciences und Humanities geschaut hätte. Immerhin wäre der Aufstieg der Globalgeschichte und einer postkolonial inspirierten Globalisierungsforschung nicht denkbar ohne das solide Fundament an regionalen Untersuchungen, das in den 1970er- und 1980er-Jahren gebaut wurde.

Schließlich folgt mit der Untersuchung der Area Studies als transatlantisches Kooperationsprojekt das archivgesättigte Kernstück des Buches, das uns tief in die Geschichte des Londoner Royal Institute of International Affairs und der SOAS sowie der Pariser École des hautes études en sciences sociales führt. Die massive Förderung durch die Rockefeller Foundation wird betont, aber gleichzeitig deutlich gemacht, dass dies nicht einfach eine US-Expansion in die westeuropäischen Wissenschaftssysteme darstellt, sondern eine Nutzung der Referenz auf die vorbildhafte nordamerikanische Entwicklung durch Akteure in Frankreich und im Vereinigten Königreich, die eigene Ambitionen, nationale Traditionen mit dem Dynamisierungsimpuls von außen verbanden. Auch hier spielten staatliche Koordination und philantropisches Stiftungsengagement zusammen, kamen aber erst durch akademische Entrepreneure (prototypisch das Wirken Clemens Hellers in der Maison des sciences de l’homme) zur Entfaltung, der den Boulevard Raspail zum Standort eines innovativen Projektes der Forschungsgruppenarbeit machte.

Anne Kwaschik ordnet diese Geschichte überzeugend in das Narrativ vom Aufstieg der Wissensgesellschaft und des Wissenschaftsstaates ein, der im Fall der USA in den 1960er-Jahren nicht nur nach den Sternen griff, sondern auch die Welt als Ganzes modernisierungstheoretisch in den Griff zu bekommen versuchte, worin ihm mindestens Großbritannien (sogar noch über die ersten Krisenzeichen in Nordamerika hinaus) folgte. Parallel zur Niederlage im Vietnamkrieg machten sich Zweifel an diesem Paradigma auch unter britischen Anthropologen breit, die die intellektuelle Herausforderung der Dekolonisierung erkannten. Von hier zieht sich eine Spur der wachsenden Selbstreflexion durch die Area Studies, die heute auf vielfältige Weise fortgesetzt wird.

Der Ausbau der Area Studies in Frankreich und Großbritannien kann als Teil der Durchsetzung einer Pax Americana gelesen werden, wofür der vorliegende Band reichlich Anschauungsmaterial bietet. Aber die Sache war zugleich komplexer, denn auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs gab es durchaus komplementäre Bemühungen, das Weltwissen nach den eigenen Kategorien zu ordnen. Zugleich verstehen wir heute immer besser, dass diese Welt nicht einfach ein Objekt ist, nach dem die Supermächte des Kalten Krieges greifen konnten. Für eine Geschichte der konkurrierenden Globalisierungsprojekte hat Anne Kwaschik wichtige Aufklärungsarbeit geleistet, indem sie die intellektuelle Grundierung eines dieser Projekte (wenn man denn von der Annahme eines einheitlichen Westens ausgeht) sorgfältig rekonstruiert hat.

1 Katja Naumann, Laboratorien der Weltgeschichtsschreibung. Lehre und Forschung an den Universitäten Chicago, Columbia und Harvard 1918 bis 1968, Göttingen 2018 (Transnationale Geschichte, 7).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Matthias Middell, Rezension von/compte rendu de: Anne Kwaschik, Der Griff nach dem Weltwissen. Zur Genealogie von Area Studies im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2018, 400 S., 6 Abb. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 229), ISBN 978-3-525-35596-1, EUR 70,00., in: Francia-Recensio 2020/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71651