Wie die Menschen zum modernen Kapitalismus erzogen wurden, wie sie einen »kapitalistischen Geist« (Sombart/Weber) ausbildeten und warum sich trotz erheblicher moralischer, theologischer und traditionaler Widerstände schließlich eine am ökonomischen Kalkül orientierte, rationale Lebensführung durchsetzte, das war um 1900 eine der großen Streitfragen der historisch orientierten Sozialwissenschaften. Die Debatten um die Arbeiten Sombarts, Gotheins und Brentanos, vor allem aber um Max Webers Aufsätze zur Protestantischen Ethik (1904/1905) sind bekannt und haben, obschon die historischen und methodologischen Vorbehalte gegen die sog. »Weber-These« Legion sind und die Texte selbst gerade noch Gegenstand von Klassikerseminaren, bis zuletzt offenbar nichts an Schärfe verloren1.

Um so erstaunlicher ist nun, dass die hier verhandelte Frage nach der »Erziehung« und Formung des kapitalistischen Menschen bislang ohne jene auszukommen schien, mit denen man üblicherweise die Habitualisierung von Verhaltensweisen und Wertesystemen in Zusammenhang bringen würde, nämlich mit Kindern und Jugendlichen und ihrer Sozialisation als zukünftige Wirtschaftssubjekte. Sandra Maß’ Bielefelder Habilitationsschrift von 2014 nimmt sich dieser eklatanten Lücke an und analysiert unter dem Titel »Kinderstube des Kapitalismus?« den Zusammenhang von Ökonomie, Wissen und Kindheit im 18. und 19. Jahrhundert. Und trotz ihres vernehmlichen Stoßseufzers am Ende, dass der Blick in die ökonomischen Kinderstuben oft doch kaum mehr als Rückschlüsse auf die dominanten elterlichen oder pädagogischen Vorstellungen und Diskurse zulässt, hat sie dabei doch eine vorzügliche und eine Vielzahl an unterschiedlichen Quellen souverän verarbeitende Studie verfasst, die die Präsenz des Geldes in den Dingen, Erzählungen und Erinnerungen der (meist, aber eben nicht nur bürgerlichen) Kindheiten lebendig werden und seine Funktion in der Temperierung der Leidenschaften und in der Erziehung zur Zukunft deutlich werden lässt.

In vier gleichermaßen thematisch wie chronologisch angelegten Kapiteln untersucht Maß die Entwicklung der monetären Erziehung in Deutschland und Großbritannien, wobei der transnationale Zugriff einen letztlich recht einheitlichen pädagogischen »Geldraum« rekonstruiert, in dem für Deutschland allenfalls die Abwesenheit der Politischen Ökonomie in den Schul- und Lehrbüchern sowie besonders die der Frauen auffällt, die in England prominent die Popularisierung ökonomischen Wissens vorangetrieben hatten.

Das erste Kapitel zeigt dabei das langsame Vordringen ökonomischer Themen in die Pädagogik des 18. Jahrhunderts, wobei Geld und Erziehung besonders über ihre temporale Struktur verknüpft waren und der Umgang mit Geld zudem als Feld der Affektregulation entdeckt wurde. Dies meinte nicht nur die Erziehung zu Sparsamkeit und Bedürfnisverschiebung, was gerade bei den deutschen Philanthropen zum Teil in barer Münze und mit Kassenbüchern und »Strafpfennigen« geschah, sondern zielte auch auf das Einüben adäquater Gefühle etwa mit Blick auf die bürgerliche Wohltätigkeit. Wie ausgeprägt dabei der konkrete Umgang der Kinder mit Geld war, lässt sich aufgrund der Quellenlage zwar nur schwer sagen, die Debatten um die Monetarisierung der Eltern-Kind-Beziehungen zeigen aber ebenso wie die Ratschläge zur kindlichen Buchführung, dass das kindliche Taschengeld am Ausgang des 18. Jahrhunderts längst etabliert war.

Das zweite Kapitel wechselt dann die Perspektive von den Pädagogen zu den Experten und (britischen) Expertinnen des Ökonomischen und fragt nach der Bedeutung der monetären Erziehung und ihrer Popularisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Maß untersucht hierbei insbesondere Schul- und Lehrbücher sowie populäre Ratgeber und zeigt dabei die nationalen Besonderheiten dieses an sich transnationalen, von Austausch und Übersetzung geprägten Feldes. Das bürgerliche Bestreben etwa der Ausweitung des ökonomischen Wissens auf Frauen, Arbeiter und Kinder war in Großbritannien sehr viel ausgeprägter, die Debatte um die weiblichen Adressaten war jedoch auch dort höchst kontrovers, weil, wie Maß sehr überzeugend zeigen kann, die Vermittlungsakte ökonomischen Wissens lange als mann-männliche Akte und gleichsam als Initiationsritus der Söhne konstruiert waren, in die sich in Deutschland, wo die Ökonomie weitgehend verbeamtet war, allenfalls noch der Staat einschalten durfte.

Das dritte Kapitel taucht sodann in die zunehmend kommerzialisierten (städtischen) Kinderwelten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein und fragt dort auch nach der dinglichen und fantastischen Präsenz (oder meist noch spürbarer: der Absenz) des Geldes. Während sich das Taschengeld samt Alters- und Ausgabenbeschränkungen etabliert und in den Spardosen seine moralische und die soziale Ordnung repräsentierende Instanz gefunden hatte, eröffneten sich mit der zunehmenden Verfügungsgewalt der Kinder über das Geld hier nicht nur neue Handlungsoptionen (Spielwaren!), sondern auch pädagogische Herausforderungen. Nicht mehr nur die wohltätige Gabe galt es nun zu üben, sondern auch die Ausgabe, es mussten also von Seiten der Erwachsenen Schulden perhorresziert und der verantwortliche Umgang mit Geld eingeschärft werden. Erst spät traten hierzu neben die moralischen Geschichten und Erzählungen auch die spielerischen Übungen des Kaufaktes, gehörten Kaufmannsläden und Spielgeld erst im letzten Drittel des Jahrhunderts zur (bürgerlichen) Kinderwelt, und zwar auch ohne, dass die Pädagogen dies empfohlen oder gefördert hätten.

Das vierte Kapitel widmet sich schließlich der Erziehung zur Sparsamkeit nach 1850 und zwei grundlegenden Veränderungen gegenüber dem traditionellen Diskurs. Anfangs ganz eingebettet in den bürgerlichen Tugendkanon entging auch das Sparen nämlich nicht der gesamteuropäischen Fundamentalpolitisierung; es könne, so Maß, gerade nicht von einer Privatisierung der Sparsamkeit und einer Abdrängung auf Fragen des »häuslichen Glücks« die Rede sein. Die hierzu untersuchten Erziehungs- und Sozialisationsratgeber, aber auch die Debatten und Initiativen zur Etablierung von Schulsparkassen verbanden die angestrebte Selbst- und Ausgabenkontrolle nämlich zunehmend mit Hinweisen auf die so zu verhindernden sozialen und politischen Unruhen – nach dem Motto »Wer spart, ist kein Socialdemokrat und Anarchist« (S. 256) –, verknüpften sie mit liberalen Männlichkeitsvorstellungen oder hoben auf die Stärkung der Volkswirtschaft in der Konkurrenz der Nationen ab. Die zweite Veränderung betraf sodann den semantischen Bezugsrahmen der Sparsamkeit, hielt hier doch der »Kapitalismus« als Begriff erstmals positiv Einzug in die Kinderwelten – Motto: »Spart und werdet Kapitalisten!« (S. 228). Zudem wurde über das System der Schulsparkassen europaweit versucht, dezidiert kapitalistische Verhaltensleitbilder zu institutionalisieren.

Inwiefern die Erziehung der »kleinen Kapitalisten« dabei als erfolgreich zu bezeichnen war, wie in der Schlussbetrachtung in Ansätzen diskutiert wird, lässt sich naturgemäß schwer beantworten, immerhin habe aber in Deutschland die Erfahrung der vergeblichen Sparanstrengungen des Weltkrieges und vor allem die Hyperinflation der frühen 1920er Jahre die kindliche »Unschuld und Lust am Geld« (S. 274) nachhaltig gestört. Ob der »Sparefroh« (ab 1956) oder das Sparkassen-Magazin »KNAX« (seit 1974) daran etwas geändert haben?

Sandra Maß hat, das ist schon verschiedentlich hervorgehoben worden, eine übergreifende kultur-, wirtschafts- und bildungsgeschichtliche Pionierstudie zum Verhältnis von Kindheit, Geld und monetärer Erziehung verfasst. Das Buch argumentiert plausibel und durchsichtig, allein die vielen Vor- und Rückblicke der Kapitel haben zuweilen etwas Redundantes. Die »Kinderstuben« und -welten des Kapitalismus hat sie, soweit es die Quellen zulassen, hervorragend ausgeleuchtet. Dem Doppelsinn des Titels, nämlich inwiefern diese auch die »Kinderstube des Kapitalismus« waren, ist sie dabei dann letztlich zwar ausgewichen, vielleicht aber sind diese ganz großen Fragen im Moment doch höchstens solche der Klassikerseminare.

1 Vgl. nur die Auseinandersetzung mit Heinz Steinert, Max Webers unwiderlegbare Fehlkonstruktion, Frankfurt a. M. 2010.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Richard Pohle, Rezension von/compte rendu de: Sandra Maß, Kinderstube des Kapitalismus? Monetäre Erziehung im 18. und 19. Jahrhundert, Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2017, VIII–321 S., 19 Abb. (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 75), ISBN 978-3-11-037439-1, EUR 59,95., in: Francia-Recensio 2020/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71652