Nicht von ungefähr findet sich auf dem Cover der neuesten Monografie des Globalhistorikers und directeur d’études der Pariser EHESS, Alessandro Stanziani, eine Portolandkarte mit ihren feinem, über Kontinente hinweggehenden Liniennetz, denn eben diese »Verflechtungen der Welt« möchte Stanziani aufzeigen und in seinem Werk sowohl der Vergangenheit wie der Zukunft der Globalgeschichte nachspüren: Woher kommt sie, wo liegen ihre Wurzeln und wohin geht sie? Was kann die heutige Globalgeschichte aus früheren Herangehensweisen lernen, welche Unterschiede und Parallelen gibt es? Und nicht zuletzt die Gretchenfrage der Globalgeschichte: Welche Bedeutung kommt dem Eurozentrismus zu und wie kann er überwunden werden?

Den Zeitrahmen setzt Stanziani dabei zwischen Aufklärung und dem ausgehenden 20. Jahrhundert. Durch diesen weiten zeitlichen Horizont wirft das Buch Schlaglichter auf einzelne Aspekte der Globalgeschichte wie die europäische Expansion und die Gründung der Kolonialreiche, den Aufstieg der Moderne bis hin zur Dekolonialisierung und der heutigen Globalisierung und konzentriert sich auf Europa (hierbei liegt das Schwergewicht auf Frankreich, Großbritannien und Deutschland), Russland, China und Indien.

Das Buch ist dreigeteilt: Zunächst analysiert Stanziani die Rolle der Philosophie in der Globalgeschichte; anschließend geht er deren Zusammenwirken mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften nach und schließlich – in dem mit Abstand längsten Teil des Werkes – der Bedeutung der Philologie sowie des Archivwesens für Globalgeschichte.

In der Einleitung thematisiert Stanziani beispielweise die an die Globalgeschichte herangetragenen Vorwürfe wie Ungenauigkeiten der Methoden oder ungenügende Kenntnisse der behandelten Regionen. Zudem setzt er sich mit den wichtigsten Werken der Globalgeschichte von Bayly bis Osterhammel auseinander, nicht ohne diese Gründungsväter zu kritisieren, etwa bezüglich ihres unzureichenden Hinterfragens des Eurozentrismus. Kritisch bemerkt Stanziani die Lage der Globalgeschichte im französischen Schul- und Universitätssystem, wo sie weiterhin ein Orchideendasein im großen Schatten der Nationalgeschichte fristet.

Im ersten Teil der Monografie, »L’histoire globale comme philosophie de l’histoire« (Kap. 1–3), thematisiert Stanziani die Beziehung zwischen Geschichte, Globalität und Philosophie; beginnend mit der Aufklärung wird hier der Bogen über Hegel und Marx bis hin zu Spengler und schließlich Francis Fukuyama geschlagen. Dabei verteidigt Stanziani die Aufklärung gegen den Vorwurf der Subaltern Studies, bereits diese sei von eurozentrischen Sichtweisen durchdrungen mit Ausführungen darüber, dass zahlreiche Aufklärer etwa in China oder auch im Islam mögliche Vorbilder für Europa sahen. Eine Verankerung des Eurozentrismus in der historischen Philosophie sieht Stanziani erst im 19. Jahrhundert mit Karl Marx als Hauptschuldigen. Im Abschluss des Philosophieteils plädiert Stanziani für eine neue historische Philosophie, welche die skizzierten Probleme der bisherigen Herangehensweise nicht umschifft, sondern mit neuen Werkzeugen angeht.

Die Interaktion zwischen Globalgeschichte und den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bildet den zweiten Teil des Buches, »Histoire, globalité et sciences sociales«, (Kap. 4–6). Eine prominente Position in dieser Darstellung gibt Stanziani Max Weber; dieser habe wie Marx noch heute eine überraschend große Bedeutung für die Globalgeschichte, was etwa an Kenneth Pomeranz’ »The Great Divergence« (2000) deutlich wurde. Danach wendet Stanziani den Blick hauptsächlich nach Frankreich auf Émile Durkheims Konzepte, die Entstehung und Evolution der Annales-Schule bis hin zu Braudel und der Möglichkeit einer globalen Mikrogeschichte. Eine entscheidende Problematik sieht Stanziani wiederum im Eurozentrismus des sozioökonomischen Ansatzes.

Der abschließende und bei weitem längste Abschnitt des Buches »Philologie et archives des mondes globaux« (Kap. 7–11) widmet sich daher folgerichtig der Problematik, ob die Globalgeschichte nolens volens ein eurozentrischer Ansatz ist und fragt zudem, was der Eurozentrismus tatsächlich in den letzten Jahrhunderten für die anderen Kontinente bedeutete. Dabei muss der Eurozentrismus in seiner historischen Komplexität und Breite neu definiert werden, bevor er in Bezug auf eine globale Welt diskutiert wird. Hierbei geht Stanziani besonders auf die Bedeutung der Philologie als Wissenschaftsdisziplin und ihre politischen und globalen Dimensionen ein: Ist sie genauso eurozentrisch wie die Soziologie oder Ökonomie? Neben der Philologie und ihren Methoden sowie dem Aufkommen der Subaltern Studies behandelt der Autor hier auch den oftmals nur peripher behandelten Aspekt der Bedeutung der Archive für die (globale) Geschichtsschreibung, etwa anhand der neuen, revolutionären Systematik der Archive der UdSSR oder der Teilung und Neugründung von Archiven im Laufe der Dekolonialisierung und der entscheidenden Frage, inwieweit die Systematik eines Archives die Recherche und Ergebnisse von Historikerinnen und Historikern beeinflusst.

Nach diesem Blick auf die verschiedenen Äste der Genealogie der Globalgeschichte, stellt Stanziani sich und den Lesern im Fazit die Frage: Wie soll die Globalgeschichte in Zukunft arbeiten? Er appelliert, dass interdisziplinäres Arbeiten weiterhin bzw. wieder ein zentraler Bestandteil der Globalgeschichte sein solle; hierfür müssen diese und die (dezentralisierten) Sozial- und Wirtschaftswissenschaften wieder eine gemeinsame Basis finden, um in Zukunft wieder gewinnbringende Analysen hervorbringen zu können.

Des Weiteren skizziert Stanziani die Möglichkeiten und Chancen, die eine (breitere) Einbindung der globalen Geschichtsschreibung in Unterricht und Lehre an den Schulen und Universitäten in Frankreich bietet, und ruft dazu auf, dass gerade in einer Zeit des wiederaufkommenden Nationalismus in Europa und der Welt die Globalgeschichte auch in der öffentlichen Debatte eine prominentere Rolle einnehmen solle.

Stanziani bietet in diesem Werk eine dicht geschriebene und überzeugend argumentierte Übersicht über die Wurzeln der Globalgeschichte. Teilweise werden mehr Fragen gestellt als beantwortet – etwa in Bezug auf eine mögliche Überwindung des Eurozentrismus –, was jedoch als Anregung an andere Forschende verstanden werden sollte. Die Gliederung des Werkes erscheint in mancher Hinsicht etwas unausgewogen, der dritte Teil ist länger als die beiden ersten zusammen; zudem verzichtet der Autor aus unerwähnten Gründen auf Kapitel 10, auf 9 folgt 11. Auch der Verzicht auf eine Bibliografie ist bedauerlich und steht in einem gewissen Widerspruch zu Stanzianis Hoffnung, die Globalgeschichte werde in Zukunft eine bedeutendere Rolle einnehmen – hier wird es jedoch vor allem Studierenden erschwert, einen Überblick über die entscheidenden und innovativen Werke der Globalgeschichte zu bekommen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Aglaja Weindl, Rezension von/compte rendu de: Alessandro Stanziani, Les entrelacements du monde. Histoire globale, pensée globale. XVIe–XXIe siècles, Paris (CNRS Éditions) 2018, 280 p., ISBN 978-2-271-11507-2, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2020/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71656