Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ging 1919 aus drei älteren privaten Vereinen hervor, beging also 2019 sein hundertjähriges Jubiläum. Der Volksbund beauftragte dazu – so steht es auf seiner Webseite – vier Historiker mit der Erarbeitung dieser Geschichte: Christian Fuhrmeister, Architekturhistoriker, Wolfgang Kruse, u. a. Spezialist für den Ersten Weltkrieg, und Manfred Hettling, u. a. mit Arbeiten zur Erinnerungskultur hervorgetreten. Diese erarbeiteten ein Konzept, das primär vom erstgenannten Herausgeber Bernd Ulrich, ebenfalls breit ausgewiesen in der Forschung zu Erstem Weltkrieg und Erinnerungskultur, umgesetzt wurde. Wohl in Würdigung dieser Leistungen steht sein Name auch am Anfang.

Vier weitere Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter trugen offenbar ganze Kapitel bei. Herausgekommen ist eine in den Grundzügen hervorragende Studie, die trotz zahlreicher Arbeiten von Reinhart Koselleck bis Sabine Behrenbeck etwa zum deutschen Totenkult Neuland betritt. Denn es geht hier selbstverständlich auch und vorrangig um die Organisations- und Personengeschichte. Der Volksbund war ein privater Verein, der anders als in den meisten Nachbarländern zwar zu einem beträchtlichen Teil staatlich finanziert wurde, aber auf seine privatrechtliche Selbständigkeit pochte. Besonders dem führenden Personal, so v. a . dem langjährigen Vorsitzenden Siegbert Immo Eulen (bis 1945) sowie führenden Architekten und Gestaltern werden einsichtige kritische Beobachtungen gewidmet. Darüber hinaus ist die Einbettung in die Forschungslandschaft erwünscht breit.

Die Monografie folgt den gängigen Perioden deutscher Geschichte, in denen je andere Rahmenbedingungen für den Volksbund entstanden. Dankenswerterweise holt sie zum Umgang mit den toten Soldaten weit ins 19. Jahrhundert aus und gibt auch einen Überblick über die Vorentscheidungen des Umgangs mit toten Soldaten, vulgo: Helden während des Ersten Weltkrieges. Dieser einführende Abschnitt bildet in sich bereits einen aufschlussreichen Essay. Die Organisationsgeschichte ist eingebettet in eine Geschichte ihrer Aktivitäten. Festgeschrieben zunächst u. a. im Versailler Vertrag als Pflicht der Alliierten, wollte man diese Aufgabe durch zivilgesellschaftliches Engagement den Kriegsgegnern im Frieden nicht überlassen.

Auf die Zusammenarbeit mit dem staatlichen Zentralnachweisamt für Kriegerverluste und Kriegsgefangene blieb man angewiesen. Zugleich wurde die bisherige Trauer um die Toten durch eine Trauer (oder sollte man besser sagen: Wut?) über den Frieden abgelöst. Es war also eine Gründung aus dem »Geist der Niederlage« (S. 69); man verstand sich weiterhin als »Front«. Ab 1926 konnte sich der Volksbund vor allem im westlichen Ausland mit Grabanlagen, Umbettungen und Gestaltung von Friedhöfen beschäftigen, die nun als ein Stück Deutschland galten. Die Verfasser sprechen hier gar tentativ von einer »sepulkral aufgeladenen Eroberungsideologie« (S. 134). Innenpolitisch gab es eine breite Werbung um Patenschaften und Patronate und damit Massenmitgliedschaften.

In der NS-Zeit wuchsen die Mitgliedzahlen schnell an – von 1927 100 000 auf 465 000 im Jahr 1937, dazu gab es zahlreiche Kollektivmitgliedschaften. Der Volksbund wurde mit einem flächendeckenden Netz zu einer der zahlreichen mobilisierenden Massenorganisationen. Gegen die bisherige Hausgeschichtsschreibung ist hier von »Selbstgleichschaltung« die Rede; der autoritäre Staat habe die »eigentliche Erfüllung« (S. 185, vgl. S. 201) des Volksbundes gebildet, wie materialreich ausgeführt wird. Statt des bisherigen Volkstrauertages galt bis 1945 der Heldengedenktag, dessen symbolpolitisch wichtige Verankerung im Jahresablauf diskutiert wird. Totenburgen wurden geplant und gebaut; sie blieben jedoch in der Organisation und vor allem bei den dort tätigen Architekten umstritten. Seit 1934 (und bis 1960) wurde Otto Margraf eine zentral bedeutsame Persönlichkeit. Im Krieg nahmen bei guter Zusammenarbeit vor allem mit der Wehrmacht und dem Auswärtigen Amt die konkreten Aufgaben des Volksbundes ab.

In der Zusammenbruchgesellschaft nach 1945 brauchte es einige Zeit, bis der Volksbund wieder in Gang kam; er wurde dann durchaus als ehemalige NS-Organisation wahrgenommen. In der etablierten DDR übernahm die Evangelische Kirche, vom Volksbund finanziert, die Betreuung von Gräbern. Dort und im Westen bildete die Frage nach dem Opferbegriff seither ein zentrales Thema der Auseinandersetzung: Neben den sich opfernden Mann, jetzt nur noch mühsam »Held« genannt, trat das passive Opfer (offertum vs. victima wird dieser Unterschied andernorts auf Lateinisch genannt).

Hinzu kamen die zivilen Opfer etwa im Bombenkrieg. Die letztlich kaum auflösbare Debatte ging dann aber vor allem um die Opfer der NS-Herrschaft als solcher – in Deutschland wie im Ausland. Auch tote Kämpfer, etwa Angehörige der Waffen SS, konnten in diesem Rahmen Täter und Opfer sein. Die schließlich generalisierende Formel von den »Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft« in Widmungen deckte diese Probleme und Widersprüche eher zu. Jugendarbeit durch Schulmitgliedschaften etc. spielten eine große Rolle (vgl. dazu besonders schlüssig S. 487f.).

Kriegsgräber wurden im Inland wie im westlichen Ausland gepflegt. Hier hätte in dem Band die Rolle anderer, etwa kirchlicher, Versöhnungsarbeit in multinationalen Jugendlagern etc. sehr gut mitberücksichtigt werden können. Erst nach 1989 wurden Arbeiten in Ostmitteleuropa und Russland in größerem Maße möglich, wobei es dann pragmatisch zumeist um Massenfriedhöfe ging, nicht die eigentlich erwünschten Einzelgräber.

Was bleibt? Es ist eine dicht belegte, oft gut pointierte Darstellung zu einer Vielzahl von Themenfeldern entstanden; besonders hervorzuheben sind die eher kunsthistorischen Darlegungen zur Formensprache von Gräbern und Denkmalen. Die Darlegungen innerhalb der einzelnen Epochen sind bisweilen recht unübersichtlich und additiv – vermutlich der Arbeitsteilung der Bearbeiterinnen und Bearbeiter geschuldet. Deutlich wird, warum eine private Organisation »relativ konfliktarm eine grundlegende staatliche Aufgabe erfüllen konnte und kann« (S. 479). Der Volksbund war pluralistisch, hatte jedoch zumeist eine starke nationalkonservative bis reaktionäre Ausrichtung. Auch Skandale der inneren Organisation werden ausgebreitet. Das Konstrukt des unpolitischen Vereins wird überzeugend widerlegt. Für die Gegenwart halten sich die Autoren zurück, aber: »Der Frage der politischen Sinnhaftigkeit des Soldatentodes kann gerade auch eine politische Entscheidungen öffentlich rechtfertigende Demokratie nicht ausweichen« (S. 489).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Jost Dülffer, Rezension von/compte rendu de: Bernd Ulrich, Christian Fuhrmeister, Manfred Hettling, Wolfgang Kruse, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Entwicklungslinien und Probleme. Unter Mitarbeit von Jakob Böttcher, Sofie Eikenkötter, Claudia Scheel und Justus Vesting, Berlin (be.bra verlag) 2019, 519 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-95410-254-9, EUR 32,00., in: Francia-Recensio 2020/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71658