Mit ihrer Dissertation wagt Maude Williams sich auf einen innerhalb der Geschichtswissenschaft selten beschrittenen Pfad: Sie möchte ein historisches Ereignis – die Evakuierungen der deutschen und französischen Grenzbevölkerung zu Beginn des Zweiten Weltkriegs – im Hinblick auf die Bandbreite seiner kommunikativen Erzeugnisse untersuchen: von der nationalen Propagandapolitik bis hin zum alltäglichen Gespräch. Dabei fragt die Autorin einerseits, wie sich die Entstehung einer »Kriegsgesellschaft« auf die Sphäre der Kommunikation auswirkte (S. 11). Anderseits bietet ihr die Fallstudie die Möglichkeit, einen Vergleich zwischen dem »demokratischen Kommunikationssystem« der Dritten Französischen Republik und dem »autoritären Kommunikationssystem« des »Dritten Reichs« anzustellen (S. 21f.).

Gleich in mehrfacher Hinsicht beinhaltet Williams Buch innovative Perspektiven auf die Kriegsgesellschaften in Frankreich und Deutschland: Zunächst überwindet die Autorin im Sinne einer transnationalen Verflechtungsgeschichte den herkömmlichen, nationalen Zugriff auf Kriegspropaganda, hebt sie doch hervor, wie sich die staatlichen Propagandaapparate gegenseitig beeinflussten. Darüber hinaus bemüht sie sich, Propaganda zu Kriegszeiten nicht als bloße Geschichte »von oben« zu schreiben, sondern einerseits auch deren lokale Implementierung und andererseits den informellen Austausch in der Zivilbevölkerung offenzulegen. Dadurch ergeben sich drei Kommunikationsebenen, denen die Untersuchung jeweils ein Hauptkapitel widmet.

Angesichts des nahenden Krieges evakuierten deutsche und französische Behörden Ende 1939 weit mehr als eine Million Menschen aus dem Grenzgebiet, um die Zivilbevölkerung vor möglichen Kriegshandlungen zu schützen und gleichzeitig Raum für militärische Manöver zu schaffen. Um die Kommunikationsgeschichte dieses Großereignisses zu schreiben, beginnt Williams mit der Untersuchung der offiziellen Reaktion des deutschen und französischen Propagandaapparats: Während das Deutsche Reich der Presse einen »Schweigebefehl« erteilte (S. 79), um die als Zeichen der Schwäche deutbare Maßnahme geheim zu halten, konnten die französischen Medien relativ freimütig über den Ablauf der Evakuierungen berichten (S. 107). Kritik an den konkreten Maßnahmen der Behörden wurde im Dienste des kriegsbedingten Konsenses der union nationale jedoch auch in Frankreich kaum geäußert (S. 113).

Deutlich arbeitet Williams heraus, wie sich Frankreich und Deutschland in ihren Propagandastrategien wechselseitig beeinflussten. So führte die Geheimhaltung des NS-Staats beispielsweise dazu, dass auch in Frankreich kaum über die deutschen Evakuierungen berichtet werden konnte, während Goebbels’ Propagandamaschine den Ablauf der französischen Evakuierungen für ihre Zwecke auszuschlachten versuchte (S. 133, 145). Etwas unscharf bleibt dagegen Williams’ Einschätzung der (politischen) Zensur in Frankreich, die ihr zufolge »weniger verbreitet« war als während des Ersten Weltkriegs (S. 66), »offiziell« gar nicht bestand (S. 107) und doch »einen Rahmen vor[gab], in dem die Berichterstattung stattfinden konnte« (S. 268).

In einem zweiten Kapitel wird die lokale Implementierung der staatlichen Kommunikationsstrategien untersucht, womit sowohl die Berichterstattung der Lokalzeitungen als auch die Kommunikation der Lokalbehörden mit der Bevölkerung gemeint sind. Während in Frankreich konkrete Pläne für den Fall der Evakuierung bestanden und im September 1939 sofort neuartige Institutionen zur Betreuung der betroffenen Familien geschaffen wurden, stellte die Räumung des Grenzgebiets im Deutschen Reich einen organisatorischen »Testlauf« dar (S. 188), den die bestehenden, teils konkurrierenden Behörden auf lokaler Ebene weitestgehend eigenständig bewältigen mussten. Dementsprechend entstand in Frankreich eine »klare Kommunikationskette« (S. 194), während in Deutschland das Ziel einer einheitlichen Propagandapolitik nicht realisiert werden konnte.

Ein Blick auf die Berichterstattung der nationalsozialistischen »Provinzpresse« offenbart dementsprechend »›Risse im Monolith‹ des NS-Regimes« (S. 253), da beispielsweise die saarländische Zeitung »NSZ-Rheinfront« trotz offizieller Schweigepflicht regelmäßig über die Evakuierungen berichtete und sich nicht an die sprachlichen Vorgaben Goebbels’ – die Evakuierten sollten »Rückgeführte« genannt werden – hielt (S. 264). In Frankreich hingegen erlaubte die weitgehend aufrechterhaltene Pressefreiheit den Redaktionen und Behörden, öffentlich mit der evakuierten Bevölkerung zu kommunizieren. Es wurden spezielle Sonderzeitungen und Radiosendungen für die Elsässer und Lothringer in Südfrankreich gegründet (S. 296–304), sodass ein Informationsdefizit unter den Evakuierten, wie es in Deutschland bestand, vermieden werden konnte.

Vergleichend stellt Williams fest, dass die Kommunikation der Behörden in beiden Staaten von Misstrauen gegenüber den evakuierten Grenzbewohnern durchsetzt war, die, häufig als »Saarfranzosen« oder »boches« tituliert, vielen Amtsträgern als unzuverlässig galten. Problematisch an der aufschlussreichen Untersuchung lokaler Informationspolitik, die gerade durch ihre transnationale Perspektive Konturen gewinnt, ist der von Williams eingeführte Begriff der »Kommunikation der Tat«: Das Konzept, das einleitend schlicht als »Handlung bestimmter Akteure« definiert wird (S. 11) und im Folgenden Aktionen wie die Schaffung von Aufenthaltsräumen oder die Organisation von Weihnachtsfeiern umfasst (S. 217–219), verwischt die analytisch notwendige, trennscharfe Unterscheidung zwischen Kommunikation und anderen Formen der politischen Handlung.

Im dritten Kapitel nimmt Williams die Sphäre der Alltagskommunikation in den Blick, indem sie anhand zahlloser Egodokumente und Stimmungsberichte Gerüchte über Plünderungen in der evakuierten Grenzzone untersucht. Da die zahlreichen Diebstähle und Beschädigungen, die in den verlassenen Häusern geschahen, medial bewusst nicht aufgegriffen wurden, blieb die Auseinandersetzung mit dem Thema in der Öffentlichkeit auf das ungesicherte Gerede der Bevölkerung beschränkt. Dabei kann Williams aufzeigen, wie sich die informellen Kommunikationsprozesse auf praktische Handlungen auswirkten: Die Soldaten, die für eine Vielzahl der Plünderungen verantwortlich waren, gingen ihren eigenen Aussagen zufolge davon aus, dass die grenznahen Siedlungen durch den Krieg bald ohnehin zerstört würden und das Eigentum deshalb nicht zu retten sei. Bei dem Teil der Bevölkerung des Elsass und Lothringens, der noch nicht evakuiert worden war, lösten Gerüchte über Plünderungen eine derartige kollektive Angst aus – Jean-Paul Sartre sprach zeitgenössisch von einer »Evakuierungs- und Plünderungspsychose« (S. 328) –, dass viele Zivilisten ihre Absicht bekundeten, einem weiteren Evakuierungsaufruf nicht Folge leisten zu wollen.

Der staatliche Umgang mit den Gerüchten war interessanterweise in beiden Ländern sehr ähnlich: Lange wurde zu Plünderungen offiziell geschwiegen, wobei die Verbreitung entsprechender Erzählungen häufig polizeiliche Ermittlungen nach sich zog. Überzeugend wirkt dieser letzte Abschnitt gerade deshalb, weil die Autorin die Erkenntnisse aus den Quellen regelmäßig mit sozialwissenschaftlichen Theorien zu Gerüchten konfrontiert. Es stellt sich jedoch die Frage, wieso einige der wenigen historischen Pionierstudien, die zu Gerüchten im besetzten Frankreich 1940-44 vorliegen, nicht vergleichend herangezogen wurden1.

In ihrer aufwendig recherchierten Studie präsentiert Maude Williams einen methodischen Zugriff, der die Untersuchung von Kommunikation auf nationaler, lokaler und zwischenmenschlicher Ebene in zwei Staaten nebeneinanderstellt und so neue Erkenntnisse über die transnationale Verflechtung und gesellschaftliche Rückkopplung von Propaganda ermöglicht. Insofern weist die Autorin einen neuen Pfad auf dem bereits gut erforschten Themenfeld der Kriegspropaganda auf und leistet einen wichtigen Beitrag über die Untersuchung der Evakuierungen des Jahres 1939 hinaus.

1 Sandra Ott, Good Tongues, Bad Tongues. Denunciation, Rumor and Revenge in the French Basque Country 1943–45, in: History and Anthropology 17 (2006) 1, S. 57–72; Jean-Marie Guillon, Talk which was not Idle. Rumours in Wartime France, in: Hanna Diamond, Simon Kitson (Hg.), Vichy, Resistance, Liberation. New Perspectives on War Time France, Oxford, New York 2005, S. 73–85; Jean-Marie Guillon, Sociabilité et rumeurs en temps de guerre. Bruits et contestations en Provence dans les années quarante, in: Provence historique 47 (1997), Nr. 187, S. 245–258.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Manuel Mork, Rezension von/compte rendu de: Maude Williams, »Ihre Häuser sind gut bewacht«. Kriegskommunikation und Evakuierung in Deutschland und Frankreich 1939/40, Berlin (Metropol Verlag) 2019, 470 S. (Evakuierungen im Zeitalter der Weltkriege/Évacuations à l’ère des guerres mondiales/Evacuations in the Age of World Wars, 3), ISBN 978-3-86331-476-7, EUR 29,00., in: Francia-Recensio 2020/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71659