»Renaissance« wird im vorliegenden Buch nicht als Epochenbezeichnung gebraucht, sondern eher als Begriff für ein Phänomen, das relevant gewesen sei für gelehrte, höfische und auch militärische Kulturen des 15. und 16. Jahrhunderts. In der Tat meinte ja »Renaissance« bis ins 19. Jahrhundert allein Wiedergeburt von Künsten, Literatur und Wissenschaften, bevor Jules Michelet und dann Jacob Burckhardt in der Rezeption von Gedanken und Formen der Antike eine Epochensignatur sahen. Wer die Auffassung vertritt, die kulturellen Ströme, die wir »europäische Renaissance« nennen, hätten Europa und die Welt tiefgreifend verändert, mit Folgen für breite Schichten der Bevölkerung, wird die Beschränkung, die der Herausgeber des vorliegenden Werkes seinen Autorinnen und Autoren auferlegt, nicht für sinnvoll halten.

Die gleich mit den ersten Sätzen der Einleitung gegebene Definition, die Essenz der Renaissance bestehe in einer Zurückweisung der im Niedergang befindlichen mittelalterlichen Welt zugunsten der antiken Kulturen Griechenlands und Roms, wird dem vielschichtigen Phänomen kaum gerecht. Mittelalterliche Modelle blieben vielfach höchst einflussreich; die Antike lieferte oft allein Anregungen. Die Unstimmigkeiten der alten Systeme veranlassten die Klügeren zu Widerspruch und Weiterdenken – was Paula Findlens Beitrag zur »Renaissance der Wissenschaften« auch anspricht (S. 414).

Tatsächlich lässt sich das Konzept, »Renaissance« als pures Elitephänomen zu behandeln, nicht durchhalten. Das Kapitel »Handwerk und Technologie in Renaissance-Europa« (S. 338–377, Pamela O. Long, Andrew Morrall) könnte sich in einem beliebigen Handbuch zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte finden. David Parrots Blicke auf »Krieg und Staat« (S. 45–81) gelten vielfach Zusammenhängen, die sich nicht unter die Überschrift eines eng gefassten Renaissance-Begriffs bringen lassen. Konsequent wäre es gewesen, den ja keineswegs unbeträchtlichen Einfluss der antiken Überlieferung auf die Kriegführung der Renaissance zum Thema zu machen. So aber wird von Feuerwaffen bis zu Schweizer Landsknechten alles dargestellt, was zu einem ordentlichen Renaissance-Krieg gehörte.

Nur wenig »Renaissance« hat sich auch in Stella Fletchers Beitrag über die Religion verirrt. Niemand wird heute mehr Etienne Gilsons Dictum zustimmen, die Renaissance sei das »Mittelalter minus Gott« oder, wie Fletcher diese Aussage variiert, minus Religion (S. 115). Es ist ja nahezu unmöglich, im 15. oder 16. Jahrhundert auch nur einen einzigen Atheisten dingfest zu machen. Nicht einmal Leonardo da Vinci, der kein Christ war, lässt sich als solcher bezeichnen, und der Fall Machiavellis ist alles andere als eindeutig. Fletcher schildert im Übrigen seitenlang religiöse Verhältnisse – etwa Heiligenverehrung, Seligsprechungen und die Observantenbewegung –, die nicht viel mit einer »Wiedergeburt der Antike« zu tun haben. Die Reformation kommt allerdings so gut wie nicht vor, ebenso wenig die dunkle Seite zeitgenössischer Religiosität, für die Stichworte wie Hexenglauben, Antijudaismus und Hetze gegen Homosexuelle, wie sie ein Bernardino von Siena betrieb, stehen könnten.

Während Fletchers Beitrag immerhin dem Renaissance-Platonismus etwas Aufmerksamkeit schenkt, bleibt selbst Erasmus von Rotterdam eine Nebenfigur. Der Starhumanist hat dafür einigen Raum in Peter Macks vorzüglichem Beitrag »Humanismus und die klassische Tradition« (S. 11–44) und François Quivigers Kapitel »Die Kultur der Renaissance« (S. 117–150). Letzteres bietet im Übrigen ein kulturgeschichtliches Sammelsurium, gleichsam eine knappe Paraphrase von Jacob Burckhardts Klassiker und damit ein Buch im Buch. Quiviger behandelt darin – so die Überschriften der einzelnen Abschnitte – »Identität und Individualismus«, »Die Welt«, »Mittelalterliche Religion«, »Neuplatonismus, Gender und Einbildungskraft«, »Frauen«, »Frühe Pornographie«, »Der Renaissancekünstler und die neuen Gattungen«, »Akademien und Impresen«, »Festmähler« – mit einem bemerkenswerten Exkurs über »Die Künste des Banketts« – und »Konversation«. Der Bühnenkunst wird dann noch ein eigenes Kapitel gewidmet (Margaret M. McGowan, S. 262–302). Eigene Kapitel über Geschichtsschreibung, Mode oder den Hof der Renaissance sucht man vergebens.

Unproblematisch ist naturgemäß die Darstellung von Künsten, Architektur und Literatur durch ausgewiesene Kenner (Francis Ames-Lewis, Paula Nuttall, Richard Williams, Warren Boutcher). »Renaissance« hat ja als Begriff für einen an antiken Mustern orientierten Stil seine Ursprünge. Zum Abschluss öffnen Peter Burke und Felipe Fernández-Armesto weite Horizonte. Ihr Kapitel »The Global Renaissance« (S. 426–461) führt die mannigfachen Transfers vor Augen, über die Europas einzigartige Renaissance Weltwirkung entfaltete. »Exotische« Einflüsse (etwa der mexikanischen Kulturen) auf die Kunst des Westens blieben unbedeutend.

Positiv zu Buche schlagen die Abbildungen. Bei der Bildauswahl wurde offensichtlich eher auf Originalität Wert gelegt, als dass man die Ikonen der Epoche – etwa Hauptwerke Leonardos oder Tizians – berücksichtigt hätte. Zeichnungen bleiben fast völlig unberücksichtigt; die wachsende Wertschätzung des »disegno« (als geistiges Konzept ebenso wie als materielles Objekt) wird indes durchaus vermerkt (S. 135f.). Die Vorgeschichte der Formierung des neuen Stils bleibt indes weitgehend ausgeblendet. Die »Entzünder« der ersten Lichter – so nannte Giorgio Vasari die Bahnbrecher Giotto und Cimabue – werden nur knapp erwähnt, Duccio di Buoninsegna, Giovanni und Niccolò Pisano zum Beispiel fehlen ganz.

Was dem Buch wirklich fehlt, ist eine historische Kontextualisierung der Renaissancekultur, die Frage nach den wirtschaftlichen, sozialen und geistesgeschichtlichen Zusammenhängen, die sie bedingt haben könnten. Die Renaissance findet einfach statt. Zum Beispiel ist nirgendwo vom Aufschwung der Städte und der Ausweitung des Handels unter der Sonne der mittelalterlichen Warmzeit die Rede. Wie Ronald Witt gezeigt hat, führten diese Entwicklungen zu einem exponentiell wachsenden Bedarf an gelehrten, also im römischen Recht geschulten Juristen; sie vor allem stellten die Gründergeneration des Humanismus, der ersten großen von Laien getragenen geistigen Bewegung Europas. Neben Albertino Mussato, Brunetto Latini, Petrarca und anderen entstammten Leonardo da Vinci, Machiavelli und Michelangelo Juristenfamilien.

Übrigens wäre für einen Essay, der mögliche Gründe für die Genese der Renaissancekultur diskutierte, genug Platz gewesen. Der Verlag leistet sich aus unerfindlichen Gründen den Luxus, am Ende des Buches ganze 14 Seiten vollkommen leer zu lassen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Bernd Roeck, Rezension von/compte rendu de: Gordon Campbell (ed.), The Oxford Illustrated History of the Renaissance, Oxford (Oxford University Press) 2019, VIII–506 p., 166 ill., ISBN 978-0-19-871615-0, GBP 30,00., in: Francia-Recensio 2020/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71735