Das vorliegende Buch versammelt eine Reihe vergleichender Studien, die der Autor in Verbindung mit dem Münchner Teilprojekt der interdisziplinären DFG-Forschungsgruppe »Natur in politischen Ordnungsentwürfen« zu Verkörperungen von Herrschaft um 1500 erarbeitet hat. Im Zentrum steht die Frage, wie Macht und Herrschaft über die Körper von Herrschaftsträgern begründet und legitimiert werden. Gegenstand ist die diskursive Konstruktion von Machtentwürfen mittels historisch-genealogischer Repräsentationen in unterschiedlichen Medien. Politisch-gesellschaftliche Umbrüche und neue mediale Möglichkeiten (allen voran der Buchdruck), wie sie die Jahrzehnte vor und nach der Jahrhundertwende kennzeichneten, sind ein besonders günstiges Untersuchungsfeld für Fragen nach den Bausteinen und Begründungsfiguren symbolischer Ordnung, als die Machtsysteme hier im Sinn einer Kulturgeschichte des Politischen aufgefasst werden. Um 1500 wurde Herrschaftslegitimation neu und intensiviert verhandelt, traditionelle Modelle wurden brüchig, neue Möglichkeiten der militärischen und ökonomischen Expansion erforderten modifizierte Argumentationsgrundlagen, die Grenzen politischer Machbarkeit verstärktes symbolisches Gegengewicht.
All dies spiegelt sich in einem enormen Anstieg jener Überlieferung wider, welche die „Identitätspolitik“ unterschiedlicher, vielfach miteinander verflochtener Führungseliten – herrschender Dynastien, adeliger Familien und ökonomischer bzw. Funktionseliten – zum Ausdruck bringt. Ihren Legitimations- und Inszenierungsstrategien widmet sich Kagerers Buch anhand zweier prominenter Beispiele – der Habsburger und der Fugger. In einer Vielzahl von Studien diskutiert der Autor deren große zeitgenössische »Ehrenwerke« als multimediale Entwürfe der Repräsentation ihres Ruhmes.
Nach einem Forschungsüberblick über die einschlägige Forschungsliteratur zu Körper und Genealogie als vormoderne epistemische Kategorien stehen im Mittelpunkt der beiden zentralen Teile des Buches das umfassende gedechtnus-Werk Maximilians I. mit einigen weiterführenden Vergleichsbeispielen, etwa zum Innsbrucker »Goldenen Dachl« oder dem monumentalen gemalten Stammbaum auf Schloss Tratzberg (Kap. 2) und ebenso herausragende Entwürfe, die im Auftrag der Familie Fugger von der Lilie entstanden sind (Kap. 3). Ein besonderes Anliegen ist es Kagerer dabei, schriftliche, bildliche und materielle Überlieferung in ihren in diesen Werken meist verschränkten Wechselwirkungen ernst zu nehmen und Überlegungen zu Bedeutung und Wirkung dieser medialen Komplexität herauszuarbeiten.
Der so konzipierte Vergleich ist auf der Ebene des Materials sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der medialen Vielfalt der ausgewählten Überlieferung einleuchtend und lohnend. Das große Verdienst des Buches besteht in der Zusammenstellung der Fülle der einschlägigen Quellen, der Menge und Qualität des verwendeten Bildmaterials und seiner eingehenden Diskussion in den jeweiligen Überlieferungskontexten. Während der Abschnitt zur maximilianischen Gedächtnis-Politik im Wesentlichen auf den bahnbrechenden Arbeiten Jan Dirk Müllers aufbaut und die bekannten Befunde mit weiteren Beispielen im Licht der aktuellen vorwiegend deutschsprachigen literaturwissenschaftlichen Fachliteratur diskutiert, bietet jener zu den Fugger’schen Ehrenwerken vielfach neue interessante Interpretationen in Disziplinen übergreifender Perspektive, die jeweils eng am Quellenmaterial erarbeitet sind.
In Hinblick auf eine strukturelle Systematik ist die Aufgabe des Vergleichs deutlich schwieriger. Denn wiewohl die Selbstdarstellung der Fugger durchaus „herrschaftsähnliche Züge“ erkennen lässt (S. 32), die dazu dienten, unterschiedliche Kapitalsorten (Ehre und Herkunft; ökonomisches und soziales Kapital) zu integrieren und zu steigern, war der Führungsanspruch der Habsburger besonders seit Maximilian I. an der Spitze einer europäisch gedachten Christenheit wesentlich einer anderen Logik verpflichtet. Dieses Problem wird in der Studie letztlich nicht benannt. Vielmehr bleiben zwei der zentralen Begriffe der Arbeit – Macht und Herrschaft – seltsam diffus. Ihre Bedeutung wird vielfach betont, ihr konkreter terminologischer Gebrauch aber nicht expliziert, ebenso wie der jeweilige politische und soziale Kontext und nicht zuletzt die zeitliche Dimension, in dem Statusrepräsentation zur Wirkung kommen sollte, nur am Rande interessieren.
Dementsprechend stehen trotz der Vielzahl auch inhaltlicher Bezugnahmen der Fugger’schen Werke auf die habsburgischen Entwürfe die beiden Hauptteile des Buches letztlich eher additiv neben einander, als dass sie konsequent synthetisch miteinander verbunden wären. Eine Ausnahme bildet etwa das vergleichende Kapitel zu genealogischen Mustern im Habsburgischen Ehrenwerk der Fugger und in der »Fürstlichen Chronik« Jakob Mennels für Maximilian I. Denn das verbindende Element der in diesem Buch vorgestellten Studien ist die genealogische Argumentation, die in allen untersuchten Werken als eine maßgebliche – wenn auch bei weitem nicht die einzige – Strategie der Begründung von Herrschaftsansprüchen vorgestellt wird. Die Fähigkeit, die vielfältigsten Rollen zu integrieren, ist etwa eine andere zentrale Begründungsfigur der Omnipotenz in Maximilians I. Ehrenwerken. Das Verhältnis dieser unterschiedlichen Argumentationsstrategien zueinander in ihren politischen Dimensionen systematischer zu erkunden, hätte vermutlich dazu beigetragen, auch das Feld von »Macht und Herrschaft« klarer zu konturieren.
Doch auch im engeren Feld der Genealogie kann Kagerer eine beeindruckende Fülle unterschiedlicher, oft widersprüchlicher Argumentationen und ein ebenso großes Arsenal an sprachlicher Metaphorik und bildlicher Visualisierung herausarbeiten. Die vielfach betonten kognatischen Beziehungen der Habsburger in ihrer tatsächlichen und imaginierten genealogischen Tiefe auf dem und über den europäischen Kontinent hinaus, die Paardarstellungen des Habsburger Stammbaumes auf Schloss Tratzberg ebenso wie die Ehepaare im Zentrum der Fugger’schen Selbstdarstellung (Ehrenbuch) stehen neben deutlich selteneren patrilinearen Entwürfen, wie etwa in der Grabkapelle der Fugger. Die Bedeutung physischer Körper kann gegenüber einem Amts- und Dynastieverständnis in den Hintergrund treten, ebenso wie mit Argumenten der Genealogie und Idoneität verschränkt und somit in ihrer Argumentationskraft verstärkt werden.
Spätmittelalterlich/frühneuzeitliche Genealogie erweist sich dabei mehrheitlich als gerade nicht »biologisch« argumentierend. Insofern erstaunt der Stellenwert, den »die Macht des Blutes« (z. B. S. 21, 454) für die Repräsentation beider Familien als zentrale Begründungsfigur in der Interpretation Kagerers erfährt. Tatsächlich spielt im überwiegenden Teil der gut belegten Quellenbespiele die Metapher des Blutes keine dominierende Rolle: Freuntschaften Sipschaften vnd Swagerschaften (S. 188) ebenso wie Geschlecht sind deutlich häufiger gebrauchte Begriffe; Baum- und Pflanzenmetaphorik mit Wurzeln, Blättern und Verzweigungen, Pfauen- und Lerchenspiegel dominieren die Sprachbilder und Visualisierungen genealogischer Zusammenhänge.
Die zumindest in Kagerers eigenen Beispielen zitierten Formulierungen, die mit »Blut« argumentieren, häufen sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Hier dürfte es künftig ergiebig sein, weiter und auf breiterer Basis nach Mustern und ihren Veränderungen entlang zeitlicher und räumlicher Achsen, in unterschiedlichen sozialen Milieus und quer zu ihnen sowie nach der politischen und sozialen Signifikanz dieser Befunde zu fragen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Christina Lutter, Rezension von/compte rendu de: Alexander Kagerer, Macht und Medien um 1500. Selbstinszenierungen und Legitimationsstrategien von Habsburgern und Fuggern, München (De Gruyter Oldenbourg) 2017, XI–526 S., zahlr. Abb. (Deutsche Literatur. Studien und Quellen, 23), ISBN 978-3-11-053911-0, EUR 99,95., in: Francia-Recensio 2020/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71746