Ein Doyen der Diplomatiegeschichte, Garrett Mattingly, interessierte sich in seinem vor gut sechzig Jahren erschienenen Standardwerk zur Renaissancediplomatie vor allem für die residenten Gesandten. Sie hätten sich – ausgehend von Italien – gerade im endenden 15. Jahrhundert bei den europäischen Mächten etabliert. Auch Kaiser Maximilian I. habe die Chancen des neuen Mediums durchaus erkannt und um 1496 mehrfach residente Gesandte installiert. Er sei aber bald davon abgekommen, seine »machinery« der Diplomatie sei bereits nach wenigen Jahren weggeschmolzen (»melted away«); sei es wegen Maximilians Konfliktsucht, Unbeständigkeit und Leichtsinn, sei es wegen dessen Unfähigkeit in finanziellen Dingen. Wie auch immer diese Wertungen zutreffen mögen – Maximilians ständige auswärtige Repräsentation sei zu einem peinlichen Fiasko geworden1. Somit interessierten Mattingly die Außenbeziehungen dieses Herrschers nicht weiter.
Genau diesem Forschungsdesiderat kam die Berliner Dissertation von Gregor M. Metzig nach. Zwar wurde im Umfeld der Regesta Imperii des römisch-deutschen Königs Maximilian dessen Gesandtschaftswesen erforscht: Hermann Wiesflecker hat es im fünften Band seiner biographischen Gesamtdarstellung auf rund 20 Seiten einbezogen. Dennoch weist der Verfasser sehr zu Recht darauf hin, dass erstmals er die »diplomatischen Praktiken« (S. 28) der mindestens 300 Gesandten-Akteure, die Maxmilian im Laufe gut dreier Jahrzehnte beauftragt hatte, systematisch und quellennah erforscht habe.
Mit dem Begriff des »Akteurs« nahm Metzig einen Ansatz Pierre Bourdieus, dessen Habitus-Konzept auf, das soziale Ordnungen und kulturelle Prägungen mitberücksichtigte und so das Subjekt und dessen Handlungsspielräume relativierte. Im Sinn einer »kulturwissenschaftlichen Öffnung« (S. 29) bezog der Verfasser gezielt auch die musik- und kunsthistorische Forschung, somit nonverbale und performative Kommunikation ein – obschon er pragmatisch relativierend betont: Im Mittelpunkt gesandtschaftlichen Handelns habe das (mündliche und verschriftlichte) Wort gestanden. Wie in der Kulturtransferforschung der letzten Jahre vermehrt hervorgehoben, erscheinen auch bei Metzig Diplomaten als wesentliche Träger von interkultureller Wahrnehmung, von Austausch und Aneignung. Dem Autor wichtig sind zudem »Interaktionen vor Ort«, Abläufe sowie Verfahren und somit Fallbeispiele. Darin sucht er Mikro- und Makrovorgänge zu verbinden. Vielmehr erfahre die klassische Diplomatiegeschichte erst durch den mikrohistorischen Ansatz eine solide Fundierung. Metzig deutet seine Gesandten nicht mehr oder weniger monadisch für sich, sondern mittels einer Netzwerk- oder Verflechtungsanalyse. Damit greift er einen mittlerweile kanonisch und attraktiv gewordenen Ansatz Wolfgang Reinhards der späten 1970er Jahre auf.
In einem ersten großen, eher systematischen Kapitel untersucht der Verfasser im Überblick die Außenbeziehungen Maximilians, sodann die Rekrutierung, Zusammensetzung und Qualifikation der Gesandten. Den Kern der Arbeit, so Metzig, bilden drei jeweils umfangreiche Fallstudien. Hierzu kommentiert er jeweils entsprechende Forschungstraditionen des 19. und 20. Jahrhunderts. Eingehend erörtert er den habsburgisch-französischen Gegensatz am Beispiel der Ausgleichsverhandlungen von 1504/1505, die erstrebte Vormachtstellung in Oberitalien (1512–1514) im Zusammenhang mit dem Krieg gegen Venedig und unter Einbezug der römischen Kurie, schließlich die Expansion im Donauraum, konkret das Pressburg-Wiener Treffen mit den Jagiellonenkönigen von 1515. Insofern mussten die Beziehungen zu Kastilien-Aragon und England ausgeblendet werden.
Bei der Analyse dieser Ereignisse und Agenden legte Metzig besonderen Wert zudem auf argumentative Strategien, wie sie eben – idealiter – in Instruktionen und Gesandtenberichten offenkundig werden. Bemerkenswert im Sinn einer neueren Fragestellung ist auch sein Interesse für vormoderne Korruption und deren zeitgenössisches Verständnis, wie finanzielles Mitschneiden der Hintermänner an einem großen Deal, – »Bratenschneiden« genannt –, wofür die Quellen zu den Verhandlungen mit Frankreich von 1504/1505 tatsächlich eine gute Grundlage bieten; dies im Spannungsfeld zwischen Normen, den Reaktionen von Zeitgenossen und der Loyalität gegenüber dem Auftraggeber beziehungsweise dessen Duldung angesichts erwarteter fürstlicher Largesse. Im Anhang seines Buches erarbeitete Metzig zudem »Profile« von 14 beispielhaft ausgewählten Gesandten.
Gerade in der neuen Diplomatie- und in der Wahrnehmungsgeschichte sind anscheinend Berichte zu kulturell distanten Räumen, wenn nicht zu exotischen oder gar Gegenwelten, von »Anderem«, wie zum Osmanischen Reich besonders willkommen – vermutlich auch, da sich hier Wissenschaft, also Vergangenheit gut inszenieren lässt. Demnach hätten ein stärkerer Einbezug dieser Großmacht oder sogar ein Fallbeispiel dazu nahegelegen. Freilich ist die internationale Erschließung entsprechender Archivbestände, sofern es sie noch gibt, bislang recht lückenhaft. Wohl nicht zufällig beginnen Studien zu kulturellen Interaktionen Zentraleuropas mit dem Osmanischen Reich mittels Gesandten meist erst mit der Epoche König Ferdinands I. in den 1530er Jahren.
Seiner Fragestellung entsprechend relativiert der Verfasser die klassische Diplomatiegeschichte klar und deutlich. Damit steht Gregor Metzig in guter langer Tradition bereits der Annales-Gruppe um Lucien Febvre oder Marc Bloch, die bekanntlich ihre französischen »Ahnen« in der politischen Ereignisgeschichte des 19. Jahrhunderts energisch hinterfragten. Daraus sich ergebende Folgerungen für das eigene geschichtswissenschaftliche Tun liegen beim Verfasser, hier also seit den neunziger Jahren im Umfeld des Cultural Turn, verständlicherweise woanders. Dennoch ist der gewählte Ansatz wohl nicht ganz neu. Bereits Mattingly hat nicht nur »Ereignisse und Institutionen«, sondern auch Infrastrukturen sowie – in britisch-historiografischer Gewohnheit – viel Praktisches, »diplomatic practises« und entsprechende Rituale (vor allem S. 34–44) dargestellt. Jedoch vermittelte Mattingly letztlich eine stark normative Sichtweise, die mangels breiter archivalischer Fundierung (angesichts der damals fehlenden Möglichkeiten dazu) nicht zuletzt anhand von Traktaten Pflichten, Maximen und Idealbilder der Gesandten einbrachte und damit argumentierte. Insofern gibt Metzig sehr gekonnt, differenziert und überzeugend die Praxis und Praktiken diplomatischen Handelns wieder.
Die Arbeit belegt klar, dass besonders die maximilianeische Diplomatie noch vielfach improvisiert und anlassbezogen war. Dies hing nicht nur mit der Entstehungsphase residenter Botschafter, sondern auch mit der neuen, hektischen Politik, mit chronisch fehlenden Finanzen und dem nomadisierenden Herrschaftsstil Maximilians zusammen. Eine »corporate identity« (Bernhard Sterchi) seiner Leute in der Ferne bestand daher wohl nicht. So ist nebenbei auch ein politisch und kulturell differenzierteres Bild dieses Monarchen entstanden. Das Buch zeigt indirekt aber auch gut auf, dass über die systematisiertere Kommunikationsform der Diplomatie Politik deutlich beschleunigt und – im wörtlichen Sinn – »raffinierter« wurde, möglicherweise zu Lasten von langsamer entscheidenden Gemein- oder Staatswesen mit breiterer politischer Teilhabe, wie der Eidgenossen. Diesem neuen politischen Tempo monarchischer Mächte schlossen sich Maximilian und sein Hof an und bestimmten es mit.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Heinz Noflatscher, Rezension von/compte rendu de: Gregor M. Metzig, Kommunikation und Konfrontation. Diplomatie und Gesandtschaftswesen Kaiser Maximilians I. (1486–1519), Berlin, Boston (De Gruyter) 2016, X–451 S., 13 Abb. (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 130), ISBN 978-3-11-044789-7, EUR 109,95., in: Francia-Recensio 2020/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71787