Das von Gisa Schäffer-Huber herausgegebene Buch über den Künstler Wenzel Hollar reiht sich in die Jubiläumsveröffentlichungen aus dem Jahr 2018 zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges ein. Allerdings geht es hierbei nicht um eine Gesamtdarstellung des Krieges, sondern um eine personenfokussierte Darstellung aus dem Kriegsjahr 1636. In diesem Jahr reiste Hollar im Gefolge des englischen Sondergesandten Thomas Howard, Earl of Arundel and Surrey, zum Kaiserhof in Wien und zum Kurfürstentag in Regensburg. Die Reise entlang von Rhein und Donau durch das kriegsversehrte Heilige Römische Reich beschrieb ein Gesandtschaftsmitglied, der Engländer William Crowne, in einem Reisebericht, und der genannte Hollar lieferte in Folge der Reise zahlreiche Zeichnungen und Radierungen passierter Orte und Stätten. Diese beiden Quellen, Text und Bild, möchte das Buch gemeinsam und leicht zugänglich präsentieren, um damit einen spezifischen und zugleich anschaulichen Zugang zum Dreißigjährigen Krieg zu eröffnen. Initiales Anliegen der Herausgeberin ist vor allem, die bislang ungekannten Zeichnungen der Stadt Passau aus Hollars Hand zu veröffentlichen.
Das Buch gliedert sich in drei Teile: Einleitungstexte, verfasst von der Herausgeberin Gesa Schäffer-Huber, über den Hintergrund der Reise und der Personen (1); eine vollständige deutsche Übersetzung des englischen Reiseberichts (2); abschließend ein Abbildungsteil mit den Zeichnungen Hollars von der Reise (3).
(1) In fünf einführenden Texten legt die Herausgeberin den biografischen und ereignisgeschichtlichen Kontext der im Buch präsentierten Quellen dar. Der erste Kurztext befasst sich mit dem pfälzischen Kurfürstenpaar bzw. böhmischen Königspaar Friedrich V. und Elizabeth Stuart und schlägt von deren Biographien und der pfälzisch-englischen Verbindung einen kurzen Bogen zur englischen Politik im Dreißigjährigen Krieg und damit zu den Beweggründen, 1636 eine Gesandtschaft ins Reich zu senden. Hierbei bleiben allerdings die Entwicklungen der englischen (Außen)Politik unberücksichtigt, die das Bild von der englischen Sorge um das Vermächtnis des »Winterkönigs« Friedrich zurechtrücken. Der Überblick betrachtet die englische Politik vielmehr aus einer kurpfälzisch-böhmischen Perspektive.
Ähnlich verhält es sich beim folgenden biografischen Überblick zum Gesandten Thomas Howard, der als Earl Marshall of England eine zentrale Stellung am Hof Charles I. einnahm (die im Buch verwandte Schreibweise »Arundell« ist ungewöhnlich, der Grafen-Titel wird fälschlich als Herzogtum benannt (S. 21)). Der Überblick zum berühmten Grafen von Arundel und Surrey folgt im Wesentlichen der älteren Darstellung Francis Springells und bezieht sich nicht auf Arbeiten zur Hofpolitik der Stuarts. Seine Gesandtschaft zum Kaiser 1636 war zudem kaum »geheim«, wie es die Verfasserin an einigen Stellen andeutet, sondern wurde im Gegenteil sowohl in England als auch im Reich in publizistischen wie höfischen Öffentlichkeiten beobachtet.
Eines der zahlreichen Gesandtschaftsmitglieder unter dem hochrangigen Gesandten war dessen Bediensteter William Crowne, der Verfasser einer kurz nach der Rückkehr in England publizierten Reisebeschreibung. Seine Biographie wird in einem knappen Text gewürdigt, der die in der Literatur auffindbaren Informationen zu seiner Person bündelt. Doch nicht nur an dieser Stelle werden Leser*innen bedauern, dass die einleitenden Texte vollständig auf Anmerkungen und Nachweise verzichten. Verwundern kann auch die einleitende Bemerkung, Crownes Bericht finde selten Eingang in Darstellungen zum Dreißigjährigen Krieg (S. 13), gehört dieser doch im Gegenteil zu den standardmäßig zitierten Quellen in Überblickswerken1.
Von den ansonsten knappen Übersichten sticht der biographische Abriss über Wenzel Hollar mit über 25 Seiten im Umfang deutlich heraus. Der ansprechend bebilderte Überblick umfasst nicht nur die Biografie des Künstlers, sondern widmet sich auch seinem Werk und seinen Radier- und Zeichentechniken. Prominent herausgehoben werden in diesem Überblick die von der Herausgeberin über viele Jahre hinweg gesuchten Zeichnungen Hollars von der Stadt Passau von 1636. Anders als die übrigen Abbildungen von der Reise, sind sie nicht im abschließenden Abbildungsteil untergebracht, sondern in den Text integriert und beschrieben (S. 38–42). Aus dem viertägigen Aufenthalt in Passau werden zwei Stadtansichten und drei kleinere Zeichnungen präsentiert, darunter die »wohl poetischste Ansicht der Stadt, die jemals geschaffen wurde« (S. 39). Weil sie ein vermutlich sehr realitätsnahes Stadtbild vermitteln, schätzt die Herausgeberin ihren Quellenwert für die Stadtgeschichte sehr hoch, da das Stadtbild sich nach einem Brand 1662 stark veränderte. Einige der detailverliebten Abbildungen geraten hier etwas klein, um sie in ganzer Ansicht genießen zu können, jedoch finden Hollar-Liebhaberinnen und -Liebhaber in der Bebilderung des Beitrags zahlreiche Schätze.
Gewinnbringend ist der letzte der Einführungstexte, der eben solche Hollar-Liebhaberinnen und ‑Liebhaber sowie ‑Sammlerinnen und ‑Sammler der vergangenen drei Jahrhunderte vorstellt. Die annähernd 3000 Zeichnungen des Böhmen verteilen sich heute auf diverse Bestände, von denen die Sammlungen der Royal Collection, des Louvre und der Wiener Nationalbibliothek zu den größten gehören. Zwei Privatsammler aus dem 20. Jahrhundert werden besonders gewürdigt: Johannes Urizidil und Franz Sprinzel (später: Francis Springell), beide deutsche Emigranten in der NS-Diktatur und Hollar-Spezialisten mit wissenschaftlicher Relevanz bis heute.
Die einleitenden Texte sind ansprechend verfasst und führen in angemessener Kürze gut – wenn auch an einigen Stellen auf älterer Forschungsbasis – zu den beiden Quellen hin. Kleinere Unsachlichkeiten schleichen sich in die Texte ein, wenn »Elizabeth […] freundlich und gelassen wie immer« blieb (S. 16) oder ihr Sohn Friedrich Hendrik als »hochbegabte[r], schöne[r] junge[r] Mann« attribuiert wird (S. 18). Anzumerken ist außerdem die recht knappe Literaturangabe am Buchende, die zwar auf Bertold Brecht, Friedrich Schiller, Golo Mann und Daniel Defoe verweist, nicht aber auf einführende Werke zum Dreißigjährigen Krieg oder zur englischen Diplomatie unter den Stuarts.
(2) In der Mitte des Buches findet sich die von Paul Knight mit Karl Stutz erarbeitete Übersetzung des Crowne’schen Berichts. Sie gibt kleinschrittige, sinnvolle Zwischenüberschriften am Rand an und erlaubt so eine schnelle Orientierung im Quellentext. Anmerkungen wurden nur zur knappen Identifizierung von Personen und Orten, seltener von Ereignissen genutzt. Im Übersetzungstext selbst wurden die Originalschreibweisen Crownes wiedergegeben. Der Übersetzung ist sehr gut zu folgen. Zwar wird für den wissenschaftlichen Gebrauch das digitalisiert zugängliche englische Original entscheidend bleiben, allerdings bietet die vorliegende Übersetzung eine überzeugende Alternative zu der bisherigen von 20122.
(3) Mit der Zugänglichkeit des Textes korrespondiert die qualitätsvolle Darbietung zahlreicher Zeichnungen im dritten Teil des Buches. Aus Hollars Hand erheben sich den Leserinnen und Lesern schöne Stadtansichten auch kleinerer Ortschaften entlang der Route von Den Haag nach Wien und zurück, die zumeist per Schiff genommen wurde. Fluss und Wasser bilden dabei das markante zeichnerische Leistungszeugnis Hollars. Die Abbildungen werden nicht weiter beschrieben, das Abbildungsnachweise am Buchende ist sehr knapp gehalten.
Insgesamt erfüllt das Buch sein Ziel, die beiden außergewöhnlichen Quellen ansprechend und nahbar zu präsentieren. Die Zusammenstellung ist gelungen und bietet zwei wichtigen Quellentypen eine prominente Veröffentlichungsform. Dass dies in anschaulicher Gestaltung erscheint, ist bei Wenzel Hollar kaum eine Überraschung, fällt im vorliegenden Band aber besonders schnell ins Auge.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Jonas Bechtold, Rezension von/compte rendu de: Gisa Schäffer-Huber (Hg.), Wenzel Hollar, seine Zeichnungen – sein Leben. Eine gefahrvolle Reise im Dreißigjährigen Krieg, geschildert in der Chronik von William Crowne, Regensburg (Verlag Friedrich Pustet) 2018, 144 S., ISBN 978-3-7917-2884-1, EUR 24,95., in: Francia-Recensio 2020/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71800