Die elf Beiträge des vorliegenden Bandes gehen zurück auf eine internationale Konferenz, die im Jahr 2016, im unmittelbaren Vorfeld des Reformationsjubiläums, am Trienter Istituto Storico Italo-Germanico stattfand. Ihr Anspruch war, die Reformation in einer globalen und vergleichenden Perspektive zu betrachten. Damit reiht sich diese Publikation ein in diverse andere Unternehmungen rund um das Jahr 2017, die im Unterschied zu früheren Jubiläen dezidiert eine nationale Perspektive verlassen und sich irgendwo zwischen der bereits von Gerhard Ritter formulierten »Weltwirkung« der Reformation und den Interessen der neueren Globalgeschichte anzusiedeln versucht haben. Angesichts der Tatsache, dass ein Jubiläum des Wittenberger Thesenanschlags von 1517 zwangsläufig von einem mitteldeutschen Ereignis ausgeht, dessen postulierte Reichweite insbesondere auf den Traditionen einer lutherisch geprägten deutschen Geschichtsschreibung beruht, bedeutet diese Globalisierung des Jahres 1517 gelegentlich eine Quadratur des Kreises. Für die im vorliegenden Band dokumentierte Tagung schien sich ein Rückgriff auf Max Weber anzubieten, an dessen Perspektiven des Religionsvergleichs sich die Tagung zu orientieren versprach (S. 7). Auch wenn Weber in den Einzelbeiträgen selbst nur gelegentlich zu Wort kommt, steht er doch in einigen Kapiteln gewissermaßen als Denkmal im Hintergrund – ein Denkmal mit gelegentlich kaum übersehbaren Rissen.

Auf die Einleitung in die Thematik, die weitgehend aus aneinandergefügten Zusammenfassungen der späteren Einzelbeiträge besteht, folgen drei Sektionen. Deren erste mit dem nur begrenzt aussagekräftigen Titel »Balances and Perspectives« vereint Einschätzungen aus der Perspektive bedeutender Forscherpersönlichkeiten zum christlichen Europa im Reformationsjahrhundert und darüber hinaus. Wolfgang Reinhard setzt sich kritisch mit Webers Protestantismusthese auseinander, um anschließend die Schwierigkeiten bei der Übertragung europäischer religiöser Begrifflichkeiten auf unterschiedliche Weltreligionen einer tatsächlichen, kreativen Anverwandlung protestantischer Kirchlichkeit in außereuropäischen Kontexten gegenüberzustellen. Der Beitrag des vor Drucklegung des Bandes verstorbenen Paolo Prodi beschreibt die »Osmose« (S. 55) konfessioneller und säkularer Strukturmerkmale bei der Entwicklung moderner Staatlichkeit. Thomas Kaufmann präsentiert konzise die Verquickungen von Theologie und Politik in der frühen Reformationszeit. Pierre-Antoine Fabre schließlich widmet sich dem sozialen Ort von Frömmigkeitspraktiken in Verbindung mit dem Konzil von Trient.

Die zweite Sektion nimmt in vergleichender Absicht außerprotestantische Religionsentwicklungen in den Blick: Martin Tamckes Beitrag behandelt Reformideen innerhalb der russischen Orthodoxie – darunter die Strigolniki des 14. und die sogenannten Altgläubigen des 17. und 18. Jahrhunderts. Roni Weinstein beschäftigt sich mit globalen Dynamiken eines überterritorial vernetzten frühneuzeitlichen Judentums und speziell mit der Bedeutung der galiläischen Stadt Safed als Innovationsort und Schmelztiegel jüdischer Gelehrtenkultur. Wie Gudrun Krämer in ihrem Beitrag zum Islam hervorhebt, wurden (nicht allein) unter sunnitisch-arabischen Muslimen keine grundsätzlichen Reformen bei der Heilserlangung diskutiert – Reformdiskussionen betrafen eher Rituale oder bestimmte Konsumpraktiken. Die Sektion wird beschlossen durch das Kapitel von Brian K. Pennington, der überzeugend für eine De-Essentialisierung und De-Europäisierung üblicher Konzepte von Hinduismus plädiert: Sie seien erst als kolonial-protestantische Konstrukte im 19. Jahrhundert an die indische Gesellschaft herangetragen worden, und dies gelte bereits für die Begrifflichkeit von »Reform«, die selbst aus dem Westen importiert worden sei (S. 155).

Die Beiträge der letzten Sektion fragen noch einmal nach der Bedeutung der Ereignisse von 1517 für die heutige Zeit: Silvana Seidel Menchi diskutiert Gemeinsamkeiten und Trennlinien in der Konzeptionalisierung von Martyrium unter den drei monotheistischen Großreligionen: Speziell im Christentum habe sich die Figur des Märtyrers in der Reformationsepoche (und beruhend auf einer von Erasmus verfassten angeblichen Schrift des Kirchenvaters Cyprian) von Blutzeugenschaft und Tod zur spirituellen Glaubenszeugenschaft im Leben verschoben (S. 180). Marco Venturas juristischer Beitrag begibt sich auf Spurensuche nach dem Protestantischen in aktuellen Debatten um Glaubens- und Religionsfreiheit in Europa und führt dabei sowohl das Konzept einer individuellen (»choice-based«) als auch das einer gruppenbasierten (»culture-based«) Glaubensfreiheit im Kern auf die Reformation zurück. In Form eines Schlusskommentars kontextualisiert (und relativiert) Heinz Schilling abschließend die vermeintliche Einzigartigkeit der Ereignisse von 1517, unter Zugrundelegung einer weltumspannenden Perspektive.

Ein gemeinsames Ergebnis des Bandes ist sicherlich, dass schon die Suche nach globalen Analogien zur Reformation Luthers selbst eine zutiefst protestantisch-eurozentrische Perspektive darstellt. Wird man in anderen Weltgegenden vermeintlich fündig, dann stößt man in der Regel auf Reformdiskurse, die entweder völlig anders gelagert sind oder die ihrerseits auf europäisch-protestantischen Einflüssen beruhen. Zur kritischen Kontextualisierung der Reformation Luthers in globaler Perspektive leistet der Band daher einen wertvollen Beitrag. Allerdings wäre ihm durchgehend ein besseres Lektorat und eine sprachliche Überarbeitung zu wünschen gewesen.

Die Texte dieses komplett englischsprachigen Bandes sind größtenteils von Nichtmuttersprachlern verfasst: Obgleich sie ausweislich der Anmerkungen teils eigens übersetzt wurden, schwankt ihre sprachliche Qualität stark und reicht von flüssiger Lesbarkeit bis hin zur schlichter Unverständlichkeit. Dies ist schade, handelt es sich bei diesem Band doch in der Summe um eine Stellungnahme zum Reformationsjubiläum, die ernsthafter als manch andere Stimmen im Umfeld der Lutherdekade bereit ist, die »Weltwirkung« der Reformation im Sinne Chakrabartys zu provinzialisieren. Gänzlich vom Sockel gestürzt wurde das Denkmal Max Webers dabei freilich nicht.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Alexander Schunka, Rezension von/compte rendu de: Heinz Schilling, Silvana Seidel Menchi (ed.), The Protestant Reformation in a Context of Global History. Religious Reforms and World Civilizations, Berlin, Bologna (Duncker & Humblot/Società editrice Il mulino) 2017, 225 p. (Annali dell’Instituto Storico Italo-Germanico in Trento/Contributi, 33), ISBN 978-88-15-27407-6, EUR 24,00., in: Francia-Recensio 2020/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71801