Die umfängliche Studie von Fabian Schulze zu den Reichskreisen während des Dreißigjährigen Krieges wurde als Promotionsschrift an der Universität Augsburg vorgelegt. Ihr Entstehen wurde von Lothar Schilling und Johannes Burkhardt begleitet. Damit stößt sie in eine Forschungslücke vor, denn über die Arbeit und das tatsächliche Funktionieren oder Nichtfunktionieren von Reichsinstitutionen während des Dreißigjährigen Krieges ist bislang nicht intensiv genug gearbeitet worden, weil die ältere Forschung die Diskontinuität von Reichsverfassung und politischer Kultur des Alten Reiches während der drei Kriegsjahrzehnte unterstellte. Schulze kann aber auf den Ergebnissen der Forschungen aufbauen, die das seit nunmehr rund etwas mehr als drei Jahrzehnte gewachsene Interesse an den Reichskreisen hervorgebracht hat.
Die Analyse beginnt mit einem konzisen strukturgeschichtlichen Überblick über die Entwicklung der Reichskreise. In der Studie geht es dann vor allem um zwei zentrale Fragen: Wie die Reichskreise an der Kriegsfinanzierung beteiligt waren und wie groß ihre Bedeutung dafür einzuschätzen ist, wird zunächst untersucht. Außerdem wird in diesem Kontext die von Johannes Burkhardt aufgestellte These überprüft, nach der die Reichskreise Ersatzfunktionen in der Steuerbewilligung für den seit 1614 nicht mehr einberufenen Reichstag übernahmen (S. 17). Schließlich wird die Rolle der Reichskreise für und in den Bündnissystemen in der Zeit des Dreißigjähriges Krieges bestimmt. Am Ende steht ein Ausblick auf die Reichskreise im Prozess, der zum Westfälischen Frieden führte. Dazu wurden umfänglich gedruckte Materialien aus der Reichsjurisprudenz aus der Zeit vor dem Untergang des Alten Reiches und vor allem Quellen aus acht Archiven in Bamberg, Dresden, Ludwigsburg, München, Nürnberg, Stuttgart und Wien eingesehen.
Im Ergebnis dokumentiert die Studie von Schulze die Relevanz der Reichskreisverfassung für das Heilige Römische Reich während des Dreißigjährigen Krieges und kontextualisiert sie angemessen im politischen Geschehen der Kriegsjahre. Allerdings ist deutlich geworden, dass die Reichskreise hinsichtlich ihrer Aktivität in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden können. Hier fallen vor allem – von Nord nach Süd- der Niedersächsische, der Fränkische, der Schwäbische und der Bayerische Reichskreis auf. Wenn auch die Reichskreise in Hinblick auf die Kriegsfinanzierung mit dem Kaiser nicht auf gleicher Ebene verhandeln konnten, blieb ihnen doch die Möglichkeit, Interessen zu formulieren und vor allem die Rechtmäßigkeit kaiserlichen Handelns nach den Maßstäben der Reichsverfassung zu bewerten. Sie erfüllten so nicht nur legitimatorische Zwecke für die kriegführenden Parteien. Bündnispolitik auf der Ebene der Reichskreise oder durch Kreisstände – insbesondere im Sinne konfessioneller Zielsetzungen – waren vor 1618 und in der ersten Hälfte des Krieges ein durchaus beachtlicher Faktor der Reichspolitik – und blieben es zumindest als Option auch nach 1648. Nach dem Prager Frieden blieben sie indes aus, was den Weg zum Westfälischen Frieden erleichterte.
Es können selbstredend nicht alle Ergebnisse der Studie hier im Einzelnen angeführt und gewürdigt werden. Insgesamt gelangt der Autor zu wichtigen, von künftiger Forschung zu beachtenden Resultaten. Hervorgehoben seien zum Beispiel die Textpassagen zur Politik der Kreisstände in Franken, Schwaben und Niedersachsen nach der Besetzung durch die Schwedische Armee Anfang der 1630er Jahre (S. 404–423). Hier wird deutlich, wie der schwedische König Gustav Adolf die Reichskreise ohne Rücksicht auf die Reichsverfassung für den Unterhalt seines Militärs zu nutzen gedachte. Wenn von den beiden Grafen von Hohenlohe, die zur Umsetzung dieser Absicht als Generalstatthalter in den beiden südlichen Reichskreisen eingesetzt wurden, abgesehen wird, zeigen sich nicht nur das Fortleben des Leipziger Bundes, ein kontinuierlicher Einfluss Kursachsens auf die protestantischen Kreisstände, sondern auch ein bemerkenswertes Rechtmäßigkeitsdenken nicht nur bei den kreisausschreibenden Ständen. Dies zu erkennen, erscheint in Perspektive auf den Prager Frieden und das allmähliche Wiederfunktionieren der Reichsverfassung in der Folgezeit von großer Bedeutung. An Stellen wie diesen zeigt sich die reiche Ernte der Quellenarbeit des Autors und die breite Anschlussfähigkeit seiner Forschungen. Weitere Spezialstudien können daran anknüpfen; auf einige Forschungsdesiderate wird eigens verwiesen (S. 557ff.). Insgesamt ist also eine höchst verdienstvolle Arbeit zu würdigen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Frank Kleinehagenbrock, Rezension von/compte rendu de: Fabian Schulze, Die Reichskreise im Dreißigjährigen Krieg. Kriegsfinanzierung und Bündnispolitik im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, Berlin (De Gruyter Oldenbourg) 2018, XII–619 S., 2 Abb., 7 Tab. (bibliothek altes Reich, 23), ISBN 978-3-11-055619-3, EUR 89,95., in: Francia-Recensio 2020/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71802