Dieser Band versammelt die Vorträge einer Tagung der Johannes- Althusius-Gesellschaft e. V., die vom 26.–29.5.2016 in Wittenberg stattfand.

Die umfassende Thematik wurde auf vier Aspekte konzentriert: 1) Religion und Konstitutionalisierung 2) die Bedeutung der Reformation für Rechts- und Staatslehren der frühen Neuzeit, 3) Völkerrecht, 4) Recht, Gehorsam und Religion. Dem folgt auch die Gliederung des Buches. Leider ist die Einleitung des Herausgebers sehr formal. Angesichts einiger sehr anregender neuer Forschungsthesen bzw. -ergebnisse wäre der inhaltliche Schwung der Tagung gleich als Eröffnung gut vermittelbar gewesen.

Zum vierten Aspekt skizziert mit Hilfe einer etwas gezwungenen Aktualisierung auf die Demokratiedebatte im gegenwärtigen Europa Dennis Schönbergerdie Elemente einer politischen Widerstandslehre bei J. Althusius. Zum Thema gibt es eine fast nicht mehr überschaubare Literatur, der Beitrag konzentriert sich deshalb auf die sozialpolitischen Kontexte der Debatte um ein ius resistendi und deren politiktheoretische Traditionen, in denen Althusius stand. Der Autor charakterisiert die reformierten Traditionen, denen der Jurist zugerechnet wird. Dass es aber seit den 1530iger Jahren auch im werdenden Luthertum des Alten Reich eine inhaltlich fast identische Debatte um das Recht und die Legitimationsstränge des Notwehrrechts, dessen Trägerschaft und die wesentlichen Elemente der Verzahnung von biblischer und juristischer Tradition gegeben hat, wird leider nicht erwähnt.

Dafür zeigt der sehr differenziert und genau argumentierende Beitrag von Angela De Benedictis – ebenfalls zum vierten Aspekt – neue Perspektiven auf den Umgang mit biblischen Modellen in der Notwehrdebatte, über die Althusius u. a. im Briefwechsel mit William Barcley stritt (1614ff.). Neben den juristischen Autoritäten, die er heranzog, wurden biblische Modelle wie die alttestamentliche Stadt Libna relevant, so dass von einer Analogie zwischen Altem Testament und öffentlichem Recht gesprochen werden kann. Jahrzehnte später wurde diese Strategie der Argumentation bei schottischen und englischen Autoren im Kontext der Debatte um das Recht des Self-Defense wieder aufgenommen; sie war allerdings auch bereits in den lutherischen Debatten der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bedeutsam gewesen.

Dem zweiten und dritten Aspekt widmet sich der Beitrag von Lucia Bianchin, in dem sie einem, wie sie betont, bislang zu wenig beachteten Aspekt bei Althusius nachgeht: dem Zusammenhang von bellum iustum und bellum civile. Dabei gelingt ihr eine einheitliche Rekonstruktion des Denkens sowohl zum zwischenstaatlichen als auch zum innerstaatlichen Krieg, letzterer als Bürgerkrieg von Bedeutung für die Staatslehre der Zeitgenossen. Im Zentrum der Ausführungen des Althusius steht das ius ad bellum, als Benennung der Kriterien zum Eintritt in einen Krieg ebenso wie das ius in bello, womit die Kriterien gerechter Kriegsführung charakterisiert werden. Unter den fünf Gründen für einen gerechten Krieg findet sich auch das Recht, einen Krieg zu führen, wenn die weltliche Obrigkeit ihr Treueversprechen bricht, also tyrannische Herrschaft entsteht (S. 87). Das bezieht sich sowohl auf den Fall des Krieges gegen andere Herrschaftsformen als auch auf den innerherrschaftlichen Konflikt – den Fall des Bürgerkrieges. Dieser Blickwinkel ist angesichts der gegenwärtigen Forschungen zum Charakter von Bürgerkriegen in der Frühneuzeit (Armitage, Agamben) ein bemerkenswertes Ergebnis.

Auch der Beitrag von Michael Becker,Stuttgart wendet sich einem Forschungsfeld zu, das angesichts dominanter Interpretationen vernachlässigt wurde: Gab es protestantische Beiträge zum Völkerrecht der Frühen Neuzeit? Der Verfasser wendet sich damit gegen die Mehrheitsmeinung, wonach konfessionelle Aspekte für die Entstehung des Völkerrechts keine Rolle gespielt hätten (S. 103). Dies sei durch frühe Beispiele eines säkularisierten Kriegsrechts bei Gentili und Grotius belegt, die den theologisch geprägten Kriegsrechtsdiskurs abgelöst hätten. Dagegen aber haben, so die Argumentation des Autors, protestantische Gelehrte die Genese des Völkerrechts in spezifischer also auch konfessioneller Weise durchaus mitgeprägt. Dies gelte für lutherische Gelehrte ebenso wie für reformierte, besonders intensiv habe die Verbindung von konfessioneller Irenik und politischen Überlegungen beim Abschluss interkonfessioneller Bundnisse gewirkt.

Zum dritten Aspekt der Gesamtthematik gehört die Untersuchung, die Gaëlle Demelemestrezur Charakterisierung der französischen Rechtstraditionen vorlegt, in denen u. a. auch Althusius stand. In dem Werk des Juristen Francis Connan (1508–1551) wird mit dem mos gallicus ein neues Verständnis des ius gentium deutlich. Die menschliche Gemeinschaft beruht auf rationalen Grundlagen, die durch die Juristen definiert werden. Deshalb können sie von allen noch so unterschiedlichen Nationen angewendet werden. Dies bezeichnet Connan als ius gentium. Zugleich fügt er das Ordnungsprinzip in historische Zusammenhänge ein, die Zeitbindung allen Rechts wird damit unterstrichen. Damit unterscheidet er sich von juristischen Zeitgenossen, die den naturrechtlichen Aspekt stärker betonten. Inhaltlich argumentiert er ähnlich wie Francisco de Vitoria, ohne dass beide das Werk des jeweils anderen gekannt hätten. Althusius sah sich explizit in diesem Traditionsgefüge, weil Connan den Unterschied zwischen »aequum naturale« und »legitimum aequum« festgeschrieben habe (S. 131).

Mit dem Beitrag von Mathias Schmoeckel wird der Befund einer konfessionell geprägten Rechtswissenschaft weiter geschrieben, diesmal bezogen auf den konfessionell unterschiedlichen Schutz des Privateigentums. Dass das Recht nicht per se neutral wirkte, wurde bereits im Beitrag Becker betont. Schmoeckel stärkt seine Kernthese von der Herausbildung konfessioneller Rechtslehren weiter, damit gehört dieser Text zum zweiten Aspekt des Bandes, verzahnt aber thematisch die Frage nach dem Recht der Enteignung und einem Recht zu widerstehen, sollte die Legitimation zur Wegnahme des Eigentums fehlen. Das Enteignungsrecht wurde in den Rechtslehren stets mit dem Verweis auf den alttestamentlichen Text 1. Sam. 8 und dem dort charakterisierten Recht der Obrigkeit verknüpft. Schmoeckels vergleichende Sichtung zahlreicher juristischer Argumentationen zu dieser Bibelstelle belegt, wie differenziert calvinistische, lutherische und römisch-katholische Debatten verlaufen sind. Zunächst fallen die nationalen Unterschiede (!) auf. Mit Blick auf eine konfessionsübergreifende Fragestellung wie dem des Eigentumsrechtes werden die Differenzierungen sehr gut sichtbar. Während die Calvinisten auf den Gesellschaftsvertrag bauten, betonten lutherische Juristen seit dem beginnenden 17. Jahrhundert, dass es eine Art Staatsnotstand geben könne, der die Enteignung durch den Landesherrn rechtfertigen könne. Für die katholische Argumentation spielte demgegenüber die päpstliche Kontrollinstanz häufig eine machtbegrenzende Rolle.

Der letzte Beitrag von Wolfgang E. J. Webergehört zum vierten Aspekt der Thematik. Es ist eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage, ob die in der jüngeren Forschung diskutierte (und belegte) Existenz von Obrigkeitskritik und Widerstandsdiskurs im werdenden Luthertum des 16. und frühen 17. Jahrhunderts tragfähig, d. h. bis ins 18. Jahrhundert hinein dauerhaft gewesen ist. Dazu betont Weber nachdrücklich, dass sich die Dinge seit der Mitte des 17. Jahrhundert geändert haben. Dies wurde von der genannten Forschung nie bestritten. Dass gerade die lutherischen Fürsten und deren Juristen die Chance seit 1648 gerne ergriffen haben, den Untertanengehorsam zu schärfen, trifft zu. Aber Weber selbst verweist z. B. auf S. 165 darauf, dass es zwischen Theologen und Juristen immer umstritten blieb, »wem die Formulierung und Fortentwicklung der christlichen Bewertungskategorien oblag« sprich, wer das ius circa in sacra auszuüben habe. Die pietistischen aber auch reformlutherischen Theologen (z. B. Joachim Lütkemann) etwa des 17. Jahrhunderts nahmen dieses Recht mit allen Konsequenzen stets weiter in Anspruch. Die kommende Forschung wird also darauf zu achten haben, die Differenzierungen zwischen juristischen und theologischen Diskursen zu charakterisieren.

Die anregende Lektüre zeigt, wie weiterführend Differenzierungen liebgewonnener Interpretationen sein können.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Luise Schorn-Schütte, Rezension von/compte rendu de: Heinrich de Wall (Hg.), Recht, Obrigkeit und Religion in der Frühen Neuzeit. Tagung der Johannes-Althusius-Gesellschaft e. V., Gesellschaft zur Erforschung der Naturrechtslehren und Verfassungsgeschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts vom 26.–29.05.2016 in Wittenberg, Berlin (Duncker & Humblot) 2019, 207 S. (Historische Forschungen, 118), ISBN 978-3-428-15604-7, EUR 89,90., in: Francia-Recensio 2020/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71811