Wie hielten es die Aufklärer mit der Religion? Diese Frage ist im wissenschaftlichen wie im populären Verständnis von Aufklärung nach wie vor umstritten. Kritik an Kirche und Religion galten lange als zentrales Merkmal der Epoche, die, wie es zwei einflussreiche ältere Darstellungen formulieren, einen »Prozess gegen das Christentum« (Paul Hazard) angestrengt und den Aufstieg eines »modernen Heidentums« (Peter Gay) eingeleitet habe. Die jüngere Forschung hat diese Sicht relativiert, die Verbindungslinien von Aufklärung und Religion stärker hervorgehoben und zuletzt sogar eine »religiöse Aufklärung« profiliert1. Dieser Tendenz stellt nun Margaret C. Jacob ihre Deutung einer »säkularen Aufklärung« entgegen.
Als ausgewiesene Kennerin der Epoche weiß Jacob natürlich, dass die meisten Aufklärer Vernunft und Glaube keineswegs als Widerspruch empfanden. Im Gegenteil: Ein »vernünftiger« Glaube bildete für sie den Mittelweg zwischen Orthodoxie, Aberglaube und Atheismus. Die fortschreitende Naturerkenntnis im Gefolge Galileis und Newtons wurde dabei in der Regel nicht als Bedrohung, sondern als Beleg für die Existenz eines Schöpfergottes betrachtet – ein Gedanke, der in der florierenden Physikotheologie der Zeit einen sichtbaren Ausdruck fand. Überdies zog auch die kirchen- und dogmenkritische Aufklärung selten den gesellschaftlichen Nutzen von Religion in Zweifel: Als soziales Bindemittel für die Akzeptanz von Moral und Recht schien sie unersetzlich. Nur in wenigen Ausnahmen ging die Religionskritik so weit, dass sie in ein atheistisches Bekenntnis mündete; die meisten Aufklärer hielten an einem – wie sehr auch immer rationalisierten – Gottesglauben fest.
All das wird in Margaret Jacobs Buch nicht bestritten. Auch wird darin (trotz des bisweilen emphatischen Tons) keine simple Koppelung von Aufklärung und Säkularisierung im Sinne der alten Meistererzählungen behauptet. Allerdings stellt ihr Kultur- und Ideengeschichte verbindendes Narrativ die säkularen Dimensionen der Aufklärung in den Vordergrund, die eben doch eine wesentlich diesseitsbezogene Bewegung gewesen sei und gerade durch ihre Konzentration auf weltliche Fragen einen Erneuerungsschub im Nachdenken über Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und viele weitere Bereiche des menschlichen Lebens bewirkt habe.
So wird in zwei einleitenden Kapiteln verdeutlicht, wie die Kategorien von Raum und Zeit in der frühen Neuzeit ihre christliche Prägung verloren haben – gleichsam als unbeabsichtigte Konsequenz geopolitischer und sozioökonomischer Strukturveränderungen. In einem dritten Kapitel (»Secular Lives«) erzählt Jacob dann, wie diese Lücke im Leben des Einzelnen neue Handlungsoptionen hinterließ, welche intellektuellen und praktischen Folgen die Abkehr von einem religiös bestimmten Alltag nach sich zog, kurz: wie Raum und Zeit der menschlichen Planungsgewalt unterworfen wurden und dies eine neue Kultur der Diesseitigkeit hervorbrachte.
Säkularität meint hier erst einmal nicht mehr als das – »being at ease in this world with little thought about any other« (S. 67). Jacobs Verständnis der neuzeitlichen Säkularisierung scheint also nicht mit der Vorstellung eines unilinearen und irreversiblen Prozesses oder einer ideell motivierten Absetzbewegung einherzugehen; eher sieht sie eine Akzentverschiebung im Verhältnis von Immanenz und Transzendenz am Werk, die in der graduellen Abkehr von einer religiös dominierten Lebenswelt ihren Ausdruck findet – und nicht in einem radikalen ideengeschichtlichen Bruch. Am Ende des 18. Jahrhunderts, so das Argument, seien der öffentliche Raum und das Leben der Einzelnen nicht mehr in demselben Maße von Himmel und Hölle, Sünde und Erlösung, Wundern und Heiligen bestimmt gewesen wie an seinem Anfang. Die Orientierungskraft der Theologie habe nachgelassen, das Nachdenken über politische, rechtliche und moralische Fragen werde zunehmend von säkularen Argumenten geleitet und weniger von religiösen.
Zu den Stärken des Buchs gehört die geografische und soziale Vielfalt der Darstellung. So unterstreicht die Autorin »the international character of the secular Enlightenment« (S. 165) schon dadurch, dass sie der französischen, schottischen, deutschen und italienischen Aufklärung jeweils ein eigenes Kapitel widmet. Auch die Bedeutung Englands und besonders der Niederlande für die Entstehung einer neuen Form von Öffentlichkeit wird berücksichtigt, ebenso der Ideentransfer zwischen Europa und Nordamerika. Innerhalb der unterschiedlichen nationalen Kontexte versucht Jacob, nicht nur den Höhenkamm der bekannten und bedeutenden philosophes abzuschreiten, sondern auch die »ordinary voices« (S. 88) zu Gehör zu bringen.
Zu ihren Protagonisten gehört deshalb neben Rousseau, Locke und Kant, auf die keine Epochendarstellung wird verzichten können, etwa auch die Witwe Stockdorff aus Straßburg, der der Handel mit atheistischen, materialistischen und pornografischen Büchern – also offiziell verbotener und nur klandestin zirkulierender Literatur – eine Gefängnisstrafe in der Bastille einbrachte. An ihrem und weiteren Beispielen, etwa den Schriften des britischen Reiseliteraten und Politikers Henry Wyndham oder der nur archivalisch überlieferten Autobiografie der niederländischen Freidenkerin Isabella de Moerloose, lassen sich die Alltagswirkung aufklärerischer Ideen plastischer erfassen als anhand mancher Gelehrtenstudie.
Diese Quellennähe ist immer dort überzeugend, wo sie dazu beiträgt, dem »enlightened everyman« (S. 70) auf die Spur zu kommen. Weniger überzeugt allerdings, dass die Darstellung auf diese Weise fast durchweg im Beispielhaften und Illustrativen verbleibt, der Schluss vom Exempel auf die übergreifende These hingegen dem Leser überlassen wird. So mag Jacobs Lieblingsbeispiel, Bernard Picarts und Jean Frederick Bernards »Ceremonies et coutumes religieuses de tous les peuples du monde« (Amsterdam 1723–1743), zwar darauf hindeuten, dass die im Zuge der europäischen Expansion entdeckte Vielfalt religiöser Gebräuche und Überzeugungen auf der Welt bei den Europäern nicht nur den missionarischen Eifer, sondern auch eine Relativierung der eigenen Absolutheitsansprüche angeregt hat. Inwiefern damit aber bereits ein Säkularisierungsvorgang vollzogen ist und wie das zu belegen wäre, wird bedauerlicherweise nicht weiter diskutiert.
Wenn hier die Zusammenhänge nur unausgeführt bleiben, sind sie andernorts teils gar nicht zu erkennen: So wissen wir am Ende einer ausgesprochen kurzen Passage über Kant zwar, dass postmoderne Denker ihn für einen Rassisten halten, aber leider nicht, worin sein Beitrag zum Säkularisierungsprozess besteht oder was ihn zum »greatest philosopher of the eighteenth century« (S. 202) macht. Über das Kapitel zur deutschen Aufklärung wäre überhaupt noch manches zu sagen – kopfschüttelnd lässt einen jedenfalls zurück, dass Jacob die Mär von den unpolitischen deutschen Aufklärern fortschreibt und erklärt, die Demokratie sei überhaupt erst 1945 mit den Alliierten nach Deutschland gebracht worden.
Jacobs Buch bleibt als Versuch einer Antwort auf die Frage nach der Genealogie der säkularen Moderne also in mancher Hinsicht unbefriedigend. Wenn man ihre Deutung dennoch mit Gewinn liest, dann deshalb, weil sie der zuletzt viel diskutierten, hauptsächlich von Jonathan Israel vertretenen strikten binären Trennung der »radikalen« von einer »moderaten« Aufklärung ein ideengeschichtliches Spektrum entgegenstellt, dessen säkulare Dimension über die kleine Gruppe der Radikalen hinausreicht. In diesem Sinne darf man Jacobs Begriffsbildung »säkulare Aufklärung« als begrüßenswerten Versuch betrachten, die von ihr einst selbst stark gemachte Unterscheidung Israels zugunsten einer weniger schematischen Differenzierung zu überwinden2.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Kai Gräf, Rezension von/compte rendu de: Margaret C. Jacob, The Secular Enlightenment, Princeton, Oxford (Princeton University Press) 2019, XII–339 p., 13 s/w fig., ISBN 978-0-691-16132-7, GBP 24,00., in: Francia-Recensio 2020/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.1.71824