Ein derart prachtvolles Heer habe man nie gesehen! Mit diesen Worten kommentierte der Frankfurter Ratsgesandte Walter von Schwarzenberg d. J. in seinen hausbuchartigen Aufzeichnungen das Heeresaufgebot, das sich seit 1474 bei Neuss auf das Geheiß Kaiser Friedrichs III. versammelte, um die Truppen Karls des Kühnen zurückzudrängen, die die Stadt infolge der Kölner Stiftsfehde belagerten1. Die vorliegende, an der Universität Mainz entstandene voluminöse Doktorarbeit hat sich zum Ziel gesetzt, das große, europäisch relevante militärische Ereignis am Niederrhein neu zu beleuchten. Auf selektiver, aber ergiebiger Quellenarbeit in sieben Archiven fußend, geht die Studie hauptsächlich militärgeschichtlichen und ferner netzwerkanalytischen sowie kommunikativen Aspekten nach. An eine kurze methodische Einleitung sowie problematisierende Überlegungen zu Definition und Anwendung des Begriffs »Reichsheer« schließen sich zwei lange, insgesamt solide Hinführungen zum Kriegswesen im Europa des 15. Jahrhunderts und zum historischen Kontext des Neusser Konflikts im Spannungsfeld zwischen dem Reich und Burgund an.
Auf Seite 151 beginnt in Kapitel 5 die eigentliche Kernanalyse. Sie zeigt zunächst die fürstlichen und städtischen Reaktionen auf das kaiserliche Aufgebot, ferner ihre Stellung zum Kaiser nach dessen Eintreffen in Frankfurt. Minutiös werden die Sammlungen der fürstlichen und städtischen Aufgebote rekonstruiert und auch graphisch dargeboten. In Kapitel 6 werden die Motivationen der einzelnen Teilnehmer und Fernbleibenden dargelegt (Heerfolge, Reichsverantwortung, Territorialinteressen, Angst vor Karl dem Kühnen, höfisch-ritterliche Werte, Verwandtschaftsbeziehungen…). Kapitel 7 und 8 bieten dann äußerst detaillierte Schilderungen der Rekrutierungen und Aufmärsche zunächst der fürstlichen, dann der städtischen Kontingente, ferner ihrer Versorgung. Ihren Befehls- und Kommandostrukturen (mit Albrecht Achilles an der Spitze), den militärischen Operationen und dem Alltag der Truppe ist das neunte Kapitel gewidmet.
Erwähnt seien auch die Überlegungen zu symbolischen Aspekten: Nicht nur wird das Zusammenbringen des Heeres als gelungene militärische Konkretisierung der Ordnung des Reichs – mithin als erfolgreiche Verwirklichung der auf den Reichsversammlungen immer wieder geplanten Aufgebote – dargestellt, sondern selbst »die Wagenburg repräsentierte gleichfalls das hierarchische Gefüge der Lehnsgesellschaft« (S. 491).
Die Stärken dieser Arbeit liegen ohne Zweifel in der rigorosen Rekonstruktion der militärischen Aspekte unter Einbeziehung neuen Quellenmaterials, ferner in der nachvollziehbaren Struktur der Argumentation. Nicht immer gelungen ist aus Sicht des Rezensenten trotz der ausgreifenden Einleitung die Einordnung der Vorgänge in größere europäische und reichspolitische Zusammenhänge (z. B. wird m. E. die ausgebliebene Unterstützung des Aufgebots durch Friedrich den Siegreichen von der Pfalz vor dem Hintergrund der vorläufigen Klimax dieses geradezu existenziellen Konflikts mit Friedrich III. im Jahr 1474 unterschätzt2), ferner werden Personen nicht immer zugeordnet oder bibliografisch erfasst (dies gilt beispielsweise für diverse Räte des Albrecht Achilles von Brandenburg3), aber auch generell kommt der netzwerkanalytische Aspekt eher bei den acht qualitätsvollen farbigen Grafiken im Anhang zum Ausdruck als im Verlauf der Analyse. Zur Einordnung der Arbeit ist ferner darauf hinzuweisen, dass in ihr unter dem Stichwort Kommunikation eher der kommunikative Austausch zwischen den am Truppenaufgebot Beteiligten behandelt wird als die Kommunikation über das Ereignis. Als militärgeschichtliche Analyse des Neusser Krieges wird diese verdienstvolle Studie die Forschung zweifellos bereichern und befruchten.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Tobias Daniels, Rezension von/compte rendu de: Patrick Leuckel, »all welt will auf sein wider Burgundi«. Das Reichsheer im Neusser Krieg 1474/75, Paderborn, München, Wien, Zürich (Ferdinand Schöningh) 2019, X–594 S. (Krieg in der Geschichte, 110), ISBN 978-3-506-70914-1, EUR 148,00., in: Francia-Recensio 2020/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73224