Mit dieser Monografie legt die texanische Kanonistin bereits ihr viertes Buch zur Bedeutung des kanonischen Rechts für geistliche Frauen vor. Im Mittelpunkt stehen Nonnen, die ein ewiges Gelübde abgelegt hatten und ohne Erlaubnis ihrer Oberinnen bzw. päpstlichen Dispens ihre Klöster verließen. Das um 1300 systematisierte kanonische Recht war eindeutig: Eine Nonne, die ihren Entschluss durch Verlassen ihrer Gemeinschaft und das Ablegen ihres Habits kundtat, galt als Apostatin und war ipso facto exkommuniziert. Von der Exkommunikation konnten sie nur der Papst oder von ihm ermächtigte hohe Geistliche lösen, und das Kirchenrecht forderte mit aller Deutlichkeit die Rückkehr ins Kloster.
Die Darstellung beruht auf zahlreichen Einzelfällen, die vielfach im englischen Königreich angesiedelt sind. Dort ist die Quellenlage besonders günstig. Das Common Law forderte alle Prozesse, die Landbesitz betrafen (und somit auch geistliche Erbinnen) vor königliche Gerichte, wo eine reiche Überlieferung entstand. Zudem konnten Ortsbischöfe den weltlichen Arm veranlassen, writs (Klageschriften mit Haftbefehl) zur Verfolgung entlaufener Nonnen zu erlassen. Weitere wichtige Quellen bilden Gesetzeskommentare und Consilia gelehrter Juristen, bischöfliche Visitationsakten, Briefe und Dispense und – last but not least – die Überlieferung der zuständigen kurialen Behörde, der päpstlichen Pönitentiarie.
Einführend skizziert die Autorin die Prinzipien eines bindenden Gelübdes: Die Nonne durchlief ein Noviziat und legte die Profess ab, wenn sie das Mindestalter von 12 Jahren erreicht hatte; danach trug sie den Habit einer Professnonne. Wurde – warum auch immer – kein förmliches Gelübde abgelegt, galt das Tragen eines solchen Habits als Zeichen eines »stillschweigenden« Gelübdes. Doch was, wenn Novizen, Laienschwestern und Nonnen einer Gemeinschaft das gleiche Kleid trugen? Und was war mit den Gelübden der Kanonissen, Tertiarinnen und Windesheimer Chorfrauen, die in den Augen der Zeitgenossen geistliche Frauen waren, nach dem Buchstaben des Gesetzes jedoch nicht? So sehr sich die Päpste auch mühten: »legal solutions via systematic case-by-case lawmaking could never be intirely successful« (S. 34).
Der erste Hauptteil ist den Umständen und Ursachen des Entweichens aus dem Kloster gewidmet; »professed nuns became apostates for myriad of reasons«, S. 131), die in munterer Alliteration unter »Force and Fear«, »Land, Lust, and Love« sowie »Diversions and Disasters« subsumiert werden. Zum Erweis, dass ein Gelübde erzwungen und daher ungültig war, forderte das kanonische Recht »Gewalteinwirkung und Furcht, die selbst einen charakterfesten Mann zu Fall bringen könnten« (S. 47), sodass sich die Eingaben an die Kurie um Dispens in drastischen Schilderungen ergehen. Der Ortsbischof hatte den Wahrheitsgehalt zu überprüfen; aufgrund seiner Berichte wurde dann eine Entscheidung gefällt.
Häufig begründet wurde die Unwirksamkeit eines Gelübdes mit der Minderjährigkeit der Nonne oder mit einer bereits bestehenden Ehe – auch dies hatten die Ortsbischöfe zu untersuchen. Eine Eheschließung war wiederum unwirksam, wenn eine Nonne sie einging – zahlreich sind die Geschichten über Klosterfrauen, die mit einem Liebhaber dem ungeliebten Klosterleben entflohen. Ihre Partner lernten sie nicht selten im Kloster kennen, denn trotz der radikalen Klausurforderung der Dekretale »Periculoso« (1298) hatten Kleriker aller Weihegrade, Verwalter, Juristen, Künstler, Handwerker usw. Zugang zu den geistlichen Damen.
Manche Nonne geriet in Konflikt mit ihrer Berufung, wenn sie bemerkte, dass die Familie sie als Kind ins Kloster gegeben hatte, um sie um ein substanzielles Erbe zu prellen. Eigentlich hätte sie in diesem Fall Dispens vom Gelübde einholen müssen, bevor sie ihr Kloster verließ, doch beschwerten sich die englischen Bischöfe im Jahr 1300 beim Parlament, dass zahlreiche Nonnen in weltlicher Kleidung vor den Gerichten ihr Erbe einforderten. Auch gab es Fälle, bei denen sich ein Mann gewaltsam einer Nonne bemächtigte, um deren Erbschaft zu erlangen. Nicht selten veranlassten Notsituationen wie Seuchen und Hungersnöte, Fehden und Krieg ganze Konvente zur Flucht, und keineswegs alle Nonnen folgten der Aufforderung zur Rückkehr, wenn die Lage sich besserte.
Im zweiten Hauptteil befasst sich die Autorin mit mehr oder minder reuigen Rückkehrerinnen. Ordensobere, Synoden und Bischöfe schärften den Oberinnen immer wieder ein, Entlaufene zu melden – was wohl keineswegs immer geschah, wenn Unzufriedene als störende Elemente wahrgenommen wurden. Die Konvente wurden ermahnt, Rückkehrerinnen bereitwillig aufzunehmen. Die Reaktionen waren jedoch unterschiedlich, wie der Windesheimer Chorherr Johannes Busch Mitte des 15. Jahrhunderts anlässlich der Rückführung der Gertrude Gensen, Nonne aus Marienwerder bei Hannover, beschreibt. Nach einer Reise, die über mehrere Klöster führte, blieb Gertrude schließlich in Fischbeck bei Hameln. Ein genehmigter Wechsel des Konvents konnte eine von allen Beteiligten getragene Lösung sein, denn unbenommen der Forderungen des kanonischen Rechts mussten einsichtige Geistliche in der Regel Kompromisse finden.
Mit ihrem Credo »Nuns are people, too« (S. 105) entfaltet die Autorin einen Kosmos von Männern, die eine Rechts- und Gesellschaftsordnung wahren und durchsetzen wollten, und Frauen, die aus ganz unterschiedlichen Anlässen und Motivlagen diese Ordnungsvorstellungen durchbrachen. Sie vermeidet dabei das Auswalzen pikanter Affären ebenso wie das Denunzieren von Klerikern als gnadenlosen Verfolgern. Letztlich fand das Recht dort seine Grenzen, wo der Rechtsbruch gesellschaftlich akzeptiert war. Das gilt für ein berühmtes Paar von Apostaten, den Maler Fra Filippo Lippi (gest. 1469), Karmeliter und Priester, und Lucrezia de Francesco Buti, Nonne in Santa Margherita in Prato (S. 98ff.); Lucrezia soll dem malenden Geistlichen Modell für die Jungfrau Maria gestanden haben – ein beliebtes Motiv der Genremalerei des 19. Jahrhunderts (ein Beispiel auf dem Bucheinband). Sie verließ ihr Kloster und gebar dem Maler zwei Kinder, und die beiden lebten unbehelligt und im Wohlstand wie Eheleute zusammen – indes ist offen, ob sie jemals dispensiert wurden und heirateten!
Im Schlusswort geht die Autorin auf »gendered implications« (S. 195) ein. Sie wendet die Kategorie »Geschlecht« an, um die unterschiedliche Rollenerwartungen und Handlungsspielräume von Männern und Frauen zu akzentuieren. Die historische Wirklichkeit war vielschichtig und die Frauen »neither uniformly venal and lustful, nor categorically victimized« (S. 183). Bei formaler Gleichheit von Mönchen und Nonnen vor dem kanonischen Recht verengten sich die Spielräume der Nonnen im späten Mittelalter durch die immer rigoroseren Klausurvorschriften. Nonnen hatten keinen Zugang zu Universitäten und konnten nicht die Priesterweihe empfangen, die es unwilligen Mönchen ermöglichte, das Kloster zugunsten einer Stelle als Weltpriester zu verlassen; auf diese Weise war Fra Filippo nach Santa Margherita gelangt. Vor allem aber trugen die Frauen allein das Risiko einer Schwangerschaft mit der Folge der Aufdeckung einer Affäre. Sie mussten ihre Kinder zurücklassen, wenn sie ins Kloster zurückgeführt wurden.
Elizabeth Makowski betrachtet kirchliche Rechtsgeschichte im Kontext der Sozialgeschichte. Ihre Ausführungen zeugen von profunder Quellenkenntnis und zeichnen sich durch hohen Informationsgehalt und umsichtige Schilderungen aus; zudem kommt das Lesevergnügen angesichts der zuweilen bizarren Fälle nicht zu kurz.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Letha Böhringer, Rezension von/compte rendu de: Elizabeth Makowski, Apostate Nuns in the Later Middle Ages, Woodbridge (The Boydell Press) 219, XIV–227 p. (Studies in the History of Medieval Religion, 49), ISBN 978-1-78327-426-0, GBP 60,00., in: Francia-Recensio 2020/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73230