Der vorliegende Band ist eine Festschrift für Rosamond McKitterick, viele Jahre Professorin an der Universität Cambridge und eine der bedeutendsten Forscherinnen zum frühen Mittelalter in den vergangenen Jahrzehnten. Der Band entstand aus Beiträgen, die im Jahr 2016 anlässlich ihrer Pensionierung bei einem Kolloquium vorgetragen wurden. Er umfasst ausschließlich Schülerinnen und Schüler McKittericks. Trotz dieser Zuspitzung ist der Band heterogen – das ist aber auf eine positive Weise aufzufassen, denn dadurch bildet die Festschrift auf indirekte Weise auch die Breite der Interessen der Jubilarin ab. Zwar wird sie in der Fachwelt zumeist mit ihren wegweisenden Arbeiten zur Geschichte der Karolinger in Verbindung gebracht, doch ihr Wirken war wesentlich vielfältiger. Die Beiträge decken folgerichtig das gesamte frühe Mittelalter vor 1000 ab und erstrecken sich von den Britischen Inseln über Westeuropa und den gesamten westlichen Mittelmeerraum. McKitterick hat immer einen besonderen Fokus auf die Beschäftigung mit den überlieferten schriftlichen Quellen gelegt. Der Titel des Bandes, »Writing the Early Medieval West«, hätte also kaum treffender gewählt werden können.

Die Einleitung stammt von Marios Costambeys und Matthew Innes und befasst sich vor allem mit dem frühen Werdegang McKittericks, ihrer Dissertation bei Walter Ullmann und dem zweiten, bald folgenden Buch, das sie berühmt gemacht hat, »The Carolingians and the Written Word«. Die Autoren gehen besonders auf die Bedeutung der Handschriftenforschung McKittericks ein und geben dann einen Ausblick auf die Fülle von Material, die es in Zukunft noch zu bearbeiten gilt.

Der Band ist danach von den Herausgebern in drei Bereiche eingeteilt worden. Dankenswerterweise wurde jedem dieser Abschnitte auch eine kurze Einleitung von etwa zwei Druckseiten vorangestellt. Das hilft den Leserinnen und Lesern, die folgenden Beiträge einzuordnen und auch auf den Gesamtkontext der Sammlung zu beziehen.

Abschnitt 1 ist mit »Knowledge of the Past« betitelt. Die darin enthaltenen sechs Beiträge beschäftigen sich sämtlich mit der Verwendung älterer Texte und Informationen in frühmittelalterlichen Texten. Zunächst zeigt Richard Matthew Pollard, dass, im Gegensatz zur bisherigen Auffassung in Teilen der Forschungslandschaft, nicht die berühmten römischen Historiker Sallust oder Livius die am meisten zitierten Historiker der Antike waren, sondern mit deutlichem Abstand der römisch-jüdische Autor Flavius Josephus. Garniert ist der Beitrag mit nützlichen Statistiken zu den erhaltenen mittelalterlichen Handschriften. Paul Hilliard widmet sich danach dem Rom-Bild des Angelsachsen Beda und zeigt, wie sehr sich dieses veränderte, nachdem der Autor auf den »Liber Pontificalis« zurückgreifen konnte. Zuvor war es biblisch geprägt gewesen. Rom hatte also viele Gesichter, wie sich auch im Beitrag von Marios Costambeys zum langobardischen Historiker Paulus Diaconus erweist, der sehr schön vergleichbare Befunde liefert.

Ingrid Rembold beschäftigt sich dann mit Folcuins Buch über die Taten der Äbte von Lobbes. Sein Werk sieht sie vor allem als Versuch, durch eine Einordnung des Klosters in einen größeren historischen Kontext die gespaltene Gemeinschaft wieder zu versöhnen. Christina Pössel steuert einen Aufsatz zu Walahfrid Strabos »Über Entstehung und Entwicklung einiger Phänomene bei den kirchlichen Bräuchen« bei. In diesem kurzen Text definiert der berühmte Gelehrte des 9. Jahrhunderts die christlichen Riten als heilig, aber zugleich als in ihrer jeweiligen Zeit verhaftete Produkte menschlichen Handelns. Liturgie ist auch im Fokus des Beitrags von Graeme Ward, der sich mit dem Handbuch zur Erstellung von Antiphonaren des Amalarius von Metz beschäftigt. Die Herausforderung für diesen Autor lag darin, ältere liturgische Texte für den Gebrauch seiner Zeit nutzbar zu machen.

Abschnitt 2 ist dem Thema »The Written Word in Early Medieval Europe: The View from the Manuscripts« gewidmet. Nicholas Everett gibt zunächst einen Überblick über die handschriftliche Überlieferung medizinischen Wissens. Danach beschäftigt sich Sven Meeder anhand unserer Informationen über die Bibliothek von Montecassino mit der von dort aus erfolgten Verteilung von Wissen über ganz Italien. Er schafft es damit, einen Blick auf das »Netzwerk der Gelehrsamkeit« zu bieten, in welchem das Kloster des hl. Benedikt einen zentralen Knotenpunkt besetzt. Anna Dorofeeva befasst sich mit der Verwendung von Handschriften, die sie anhand der Glossen im Manuskript Clm 14388 der Bayerischen Staatsbibliothek identifizieren kann. Ihr Material präsentiert sie auch in einigen Abbildungen.

Zum Abschluss liefert Charles West eine Detailstudie zur Handschrift Pal. Lat. 576 der Vatikanischen Bibliothek, in dem die Akten des Konzils von Aachen 862 enthalten sind. Auf diesem Konzil begann der Episkopat Lotharingiens, sich in der Frage der Ehescheidung König Lothars II zu spalten – was West anhand des Originaltextes gut zeigen kann.

Der dritte und letzte Abschnitt ist »Texts and Early Medieval Rulers« benannt. Andy Merrills zeigt dort zunächst, dass die berberischen Herrscher im vorislamischen Nordafrika zwar stark auf Inschriften setzten, dennoch aber mit ihren Gemeinschaften sehr mobil waren. Yitzhak Hen widmet sich dem Scheitern der liturgischen Reformen Karls des Großen, der durch die Einführung des römischen Sakramentars (»Hadrianum«) vor allem für Verwirrung gesorgt habe. Im Gegensatz dazu betont Simon Coupland, der die Münzprägung Karls des Großen untersucht, die gesteigerte Leistungsfähigkeit der karolingischen Verwaltung.

Matthew Innes liefert eine Neuevaluation der Darstellung Fastradas, der dritten Frau Karls, und zeigt, dass das durchwegs negative Bild erst gegen Ende der Zeit Karls durch Einhard geprägt wurde. Als letzter Beitrag des Bandes beschäftigt sich Elina Screen mit der Veränderung des Bildes Kaiser Lothars I. im Laufe der Jahrzehnte nach seinem Tod. Seine Bedeutung wurde in zunehmendem Maß heruntergespielt, sogar in seiner Grablege Prüm, wohl auch, da sich seine Nachkommen letztlich nirgends im Karolingerreich durchsetzen konnten.

Auffallend ist, dass auf ein Werkverzeichnis McKittericks verzichtet wurde – doch nach der Lektüre der Beiträge ist das kaum notwendig, so sehr beziehen sich die Autoren aus verschiedenen Blickwinkeln auf ihrer Lehrerin. Außerdem ist deren Werk auch bei Weitem nicht abgeschlossen.

Insgesamt liegt eine sehr würdige und schön gestaltete Festschrift vor. Die durchwegs hochqualitativen Beiträge sind innovativ und werden für alle, die sich mit dem Frühmittelalter im lateinischen Westen beschäftigen wollen, wichtig sein.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Clemens Gantner, Rezension von/compte rendu de: Elina Screen, Charles West (ed.), Writing the Early Medieval West. Studies in Honour of Rosamond McKitterick, Cambridge (Cambridge University Press) 2018, XVI–316 p., 8 fig., 6 tab., ISBN 978-1-107-19839-5, EUR 75,00., in: Francia-Recensio 2020/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73239