Im Verlauf der letzten rund drei Jahrzehnte hat sich die Forschungslandschaft zu frühneuzeitlicher Staatsbildung und ökonomischer Entwicklung markant wie rapide verändert. Hierin sind drei größere Entwicklungstendenzen zu beobachten: erstens die Rückkehr »des Staates« (und staatlicher Perspektiven) in den Mainstream geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschungen; dies erfolgte, zweitens, in enger Anlehnung an die sich ebenso wandelnden konzeptionellen Annäherungen an wirtschaftliche Entwicklung, wobei deren jüngste Inkarnationen sich wieder vermehrt daran orientieren, was einst »politische« oder »Nationalökonomie« hieß. Die Verbindung dieser beiden Tendenzen wiederum führte, drittens, zu einem markanten Anstieg an Studien, die sich bewusst jenseits der dominierenden kulturhistorischen Zugriffe an den Schnittpunkten von Politischer, Wirtschafts- und Sozialgeschichte positionierten. Messinas Buch ist in dem letztgenannten Kontext zu verorten.
Nach einer knappen Einleitung (S. 1–6) folgen zwei große Teile, die jeweils zehn Kapitel unterschiedlicher Länge umfassen; Teil 1, »War, Finance and Mercantilism« (S. 9–116), widmet sich den eng miteinander verschränkten Themenfeldern kriegerischer Konflikte, deren steuerlichen und finanziellen Grundlagen sowie der Rolle des Staats für die ökonomische Entwicklung. Teil 2 (S. 117–206), wiederum versehen mit dem programmatischen Titel »Economic Policies of a Number of European States«, bietet knappe Überblicke über eine Reihe einzelner Staatswesen.
Der Inhalt von Messinas Synthese lässt sich kurz und bündig wie folgt zusammenfassen (und ist der Zusammenfassung, S. 207–212, hier S. 212, entnommen): »The economic policies [sic] of the European fiscal-military states, continually competing and often at war with each other, were not alone sufficient to create the conditions of European economic development, but were nonetheless necessary and played a crucial role in the development of capitalism.« Von der Bibliografie (S. 213–229) abgesehen, rundet ein hilfreicher Index (S. 231–238) die Publikation ab.
Alles in allem ist dies ein ambivalentes und (möglicherweise übermäßig) ambitioniertes Buch. Messina überblickt ein ausgesprochen großes Thema, und sie tut dies auf der Basis ausgesprochen großer und zum Teil sehr unterschiedlicher Forschungsliteratur, die allesamt die erwähnte Schlussfolgerung untermauern. Es ist höchste Zeit, dass sich Wirtschaftshistorikerinnen und -historiker (die außerhalb des deutschsprachigen Raumes oft in Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten beheimatet sind und entsprechenden fachlichen und/oder konzeptionellen Voreingenommenheiten unterworfen sind) erneut mit »dem Staat«, dessen ambivalenten Manifestationen und dessen Rolle für die ökonomische Entwicklung – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – befassen. Dies gilt allerdings auch für die Geisteswissenschaften, die allzu gerne ebenso die ihnen nicht allzu vertrauten und/oder bequemen Kenntnisse der benachbarten Sozialwissenschaften hintanstellen. Diejenigen also, die nach einer Einführung oder einem Überblick der erwähnten Themenbereiche zur europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit suchen, sei dieses Werk als Ausgangspunkt allemal empfohlen.
Wie in derartig großräumig konzipierten Publikationen üblich, so ist auch dieses Buch in mancherlei Hinsicht auffällig. Räumlich betrachtet beschreibt Messina eine eindrückliche Anzahl an Staaten und deren Entwicklungspfade, doch vermisst man sowohl kleinere Staatswesen wie etwa Dänemark oder die mittleren Fürstenstaaten des Heiligen Römischen Reiches (z. B. Bayern, Sachsen) als auch zweifelsfrei größere Machtfaktoren wie etwa Polen-Litauen und das Osmanische Reich1.
Hinzu kommt, dass die Autorin nicht immer auf die aktuell verfügbare und/oder umfangreichste Forschungsliteratur zurückgreift, wie dies beispielswiese im Kontext Mittel- und Osteuropas klar, im Kontext anderer Regionen aber ebenso, ersichtlich ist. So haben etwa im Kontext der Habsburgermonarchie weder die Synthesen Renate Piepers und Thomas Winkelbauers noch die Ergebnisse der relevanten Monografien von Shuichi Iwasaki und William D. Godsey Eingang in die Ausführungen (S. 200–206) gefunden2. Im Kontext des ludovizianischen Frankreich wiederum ist die Abwesenheit von sowohl James B. Collins’ Synthese als auch insbesondere der umfangreichen Arbeiten von Guy Rowlands zum französischen »fiscal-military state« als besonders problematisch zu erachten (S. 162–169)3. Und auch in der sehr ausführlichen Darstellung der Entwicklung der Apenninenhalbinsel (S. 119–139) kommt etwa die Bedeutung auswärtiger Dominanz kaum zur Sprache.
Davon abgesehen allerdings sind weitaus größere Vorbehalte konzeptioneller Natur zu erwähnen. Einerseits ist Messinas Buch in der Tradition der Neuen Institutionen-Ökonomie zu verorten, was wiederum zu interessanten, wenn auch anachronistischen Schlüssen führt, dass »kein Land die Industrialisierung ohne starke Unterstützung des Staates« vermocht hätte, wobei just der so harte geopolitische Wettstreit »kaum Spielraum für Freihandel gelassen [habe]« (S. 207).
Zudem kommen andere Ökonomen kaum zur Sprache: John Maynard Keynes taucht lediglich einmal auf (S. 85), David Ricardo und Karl Marx sucht man vergeblich und auch Adam Smith taucht außerhalb von Kapitel 8 (»Mercantilism«, S. 84–93) lediglich ein einziges Mal auf.
An dieser Stelle erwähnt Messina zudem die berühmt-berüchtigte »unsichtbare Hand«, wobei sie festhält, dass »[die Protagonisten des Merkantilismus] keinerlei Vorstellung von Harmonie oder der ›unsichtbaren Hand‹ des Marktes hatten, sondern ökonomische Beziehungen als Wettstreit erachteten«. Dem folgt im nächsten Satz der Hinweis, dass »dies nach vorherrschender Meinung […] allerdings ein Nullsummenspiel war« (S. 86). Dies ist jedoch sowohl irreführend als auch irritierend – und zugleich widersprüchlich –, nicht nur da dies eine fehlgeleitete Wiedergabe dessen ist, worüber Smith urteilte (»home bias«); sondern auch deswegen, da die Wechselbeziehung von Staatsgewalt, ökonomischer Entwicklung und organisierter Gewaltanwendung – und zwar von »The Wealth of Nations« angefangen über Messinas eigene Aussagen (etwa S. 115) bis hin zu Werken, auf die sich die Autorin selbst stützt wie etwa die Studien von John Brewer, Charles Tilly oder Ha-Joon Chang – ein Thema ist, worüber weitgehend Einigkeit besteht.
Dies wiederum tritt in Kapitel 1 über die »Große Divergenz« (S. 9–19, das folgende Zitat auf S. 13, Hervorhebung im Original) klar zu Tage, wo Messina ihre Arbeit im Kreis der California School positioniert, dem jedoch hinzufügt, dass „die Verfügbarkeit von Ressourcen nicht entscheidend für den Wohlstand der Nationen ist […] sondern, dass diese den Markt erreichen, effizient genutzt oder weiterverarbeitet werden aufgrund des Willens und der Möglichkeit dazu«. Diese und die damit verbundenen Aspekte, allem voran Fragen von Agency in den Staatsbildungsprozessen, finden sich nicht nur in den Arbeiten der zuvor erwähnten Forscher zuhauf, sondern auch noch weitaus expliziter in den – in Messinas Buch unerwähnt verbleibenden – Studien von u. a. Geoffrey Parker und Frederic C. Lane diskutiert4.
Kürzlich wies zudem Jack A. Goldstone darauf hin, dass die jüngeren Studien zur europäischen Wirtschaftsgeschichte es nahelegten, dass auch die »Kleine Divergenz« als heuristisches Modell kaum weiter tragbar sei; dies würde aber bedeuten, dass Mittel- und Osteuropa auf Augenhöhe zu Süd- und Westeuropa in Studien wie Messinas Buch aufscheinen müssten, was allerdings nicht der Fall ist5. Auch die zuletzt vorgelegte, revisionistische Arbeit zur »militärischen Revolution« von Frank Jacob und Gilmar Visoni-Alonzo fand keine Berücksichtigung, obwohl diese für die Argumentation des Buches eine große Rolle spielt6.
Dies ist ein ambitioniertes, wenn auch sehr ambivalentes Buch, das eine Reihe von möglichen Anknüpfungspunkten für fortgesetzte Beschäftigung beinhaltet, u. a. Fragen nach einer belastbaren analytischen Differenzierung von »starken« und »schwachen« Staaten, die über anachronistische und/oder teleologische Erklärungsmodellen weist. Auch sollten Werturteile vermieden werden, wie dies etwa unter Verweis auf Preußens Militarismus im Vergleich zu z. B. Großbritannien weiterhin geschieht7.
Naturräumliche Faktoren spielen ebenso kaum eine Rolle in dem Buch, was aufgrund deren Zentralität in der Argumentation der California School besonders fragwürdig erscheint. Des Weiteren sucht man vergeblich nach Antworten auf die Frage, wie das Ergebnis frühneuzeitlicher geopolitischen Wettstreits – wie »enden« oder »sterben« Staaten – analytisch-diskursiv bearbeitet werden könnte8. Dessen ungeachtet ist Messinas Buch – von abgehobenen und fragwürdigen Urteilen über die Folgen und Kosten frühneuzeitlicher Konflikte abgesehen9 – ein Zeichen, dass der Einfluss der Neuen Institutionen-Ökonomie möglicherweise seinen Höhepunkt überschritten hat.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Stephan Sander-Faes, Rezension von/compte rendu de: Silvia A. Conca Messina, A History of States and Economic Policies in Early Modern Europe, London, New York (Routledge – Taylor & Francis) 2019, VIII–238 p., 2 fig. (Perspectives in Economic and Social History, 57), ISBN 978-0-367-13510-2, GBP 92,00., in: Francia-Recensio 2020/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73290