Der vorliegende Sammelband widmet sich dem Thema der materiellen Kultur der Erziehung in Frankreich und Europa während einer Zeitspanne, die vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht. Er dokumentiert die Ergebnisse eines internationalen Kolloquiums, das im Jahr 2013 in Bordeaux stattgefunden und gleichzeitig den Abschluss eines Forschungsprogramms zum kulturellen pädagogischen Erbe Aquitaniens (Patria) gebildet hat. Die in dem Band versammelten Beiträge sind teilweise mit Abbildungen versehen und widmen sich vier inhaltlichen Schwerpunkten: (1) der Herstellung und Vermarktung didaktischer Objekte sowie deren staatlicher Reglementierung; (2) der Bedeutung pädagogischer Objekte zur Etablierung einer schulischen Kultur; (3) der Materialität pädagogischer Räume; und schließlich (4) der Bedeutung pädagogischer Lehrbücher. Der Band wird von einem Vorwort sowie einer Einführung und einer Schlussbetrachtung von Seiten der Herausgeberin eingerahmt.

In seinem Vorwort gibt Michel Figeac einen allgemeinen Überblick zur Geschichte der materiellen Kultur und ihrer langen Tradition in Frankreich. Diese Tradition ist nicht nur durch die Neufassung des Kulturbegriffs, ihren Fokus auf alltägliche Praktiken, Alltagsdinge und Konsumgeschichte gekennzeichnet, sondern fand ihren Ausdruck auch in der Nobilitierung serieller Quellengattungen sowie daraus resultierender quantitativer Analysen. Die programmatisch einflussreichen Arbeiten der Schule der Annales (gegründet 1929) zur Geschichte der Mentalitäten sowie deren Nähe zur Ethnologie und Soziologie gaben zu dieser Entwicklung einen maßgeblichen Anstoß.

Im Vorwort der Herausgeberin wird dann der Fokus stärker auf die mit der materiellen Kultur der Schule eng verbundenen pädagogischen Praktiken sowie auf die Musealisierung pädagogischer Objekte gerichtet.

Sowohl in Bezug auf das Vorwort als auch die Einführung fällt auf, dass nicht nur die viel beachteten Arbeiten von Jean Baudrillard und Roland Barthes, sondern auch die stärker bildungshistorisch orientierten Arbeiten von Philipp Ariès sowie Egle Becchi und Dominique Julia keine Erwähnung finden, obwohl die drei letztgenannten Autoren schon früh die Materialität der Kindheit diskutiert und dabei auch neue Quellengattungen wie visuelle Artefakte, Spielsachen und Kleidungsstücke herangezogen haben.

Eine weitere Überraschung war die Ausklammerung der Cultural Studies, die sich am Beginn der 1960er Jahre an der Universität Birmingham erfolgreich etablieren konnten und zahlreiche bildungshistorische Studien angeregt haben. Hinweise auf deutschsprachige Publikationen fehlen ebenso. So entsteht der Eindruck, dass nicht nur sprachliche und geografische, sondern auch methodologische und disziplinäre Grenzziehungen bewusst oder unbewusst zum Zuge kamen1.

Der erste inhaltliche Schwerpunkt gestaltet sich sehr bereichernd und hilft gleichzeitig eine Lücke der internationalen bildungshistorischen Forschung zu schließen. Es geht um die staatliche Reglementierung, Produktion, Zirkulation und Vermarktung pädagogischer Objekte.

Martina Ondo Grečenková zeigt in ihrem Beitrag zur Aufklärungspädagogik wie während der Habsburgermonarchie staatliche Schulreformen und ein säkularisiertes Curriculum die materielle Kultur der Schule und damit auch die Praktiken des Unterrichtens und Lernens verändert und vereinheitlicht haben. Dazu gehörten nicht nur die Architektur und der Verwaltungsapparat der Schule sowie die statistische Erfassung der Schüler, sondern auch Schulbücher, Wandbilder, Kartenwerke sowie die Tafel als Versammlungsorte des Wissens.

Andere Beiträge widmen sich der Geschichte des technischen Unterrichts, der wiederum eng mit der Etablierung von Lehrwerkstätten sowie der körperlichen Einübung bzw. Mechanisierung von Arbeitsvorgängen verbunden war (Stéphane Lembré), der Geschichte der Schultafel, die erstmals simultanes Lernen im Klassenverband ermöglichte und deren räumliche Positionierung trotz unterschiedlicher Sitzordnungen unverändert eine zentrale Stelle des Klassenzimmers kennzeichnete (Sylvain Wagnon), und schließlich der Geschichte der Schulbank in Italien, deren Funktion durch die Analyse visueller Quellen rekonstruiert wurde (Juri Meda).

Abgeschlossen wird der erste inhaltliche Schwerpunkt mit einem innovativen Beitrag von Marta Brunelli, welcher die schrittweise Verknüpfung der staatlichen Reglementierung der Zeigestrategien des Unterrichtens, der damit einhergehenden fortschreitenden Verwissenschaftlichung und der allmählichen Etablierung eines nationalen Marktes für didaktische Objekte überzeugend zur Darstellung bringt.

Der zweite Schwerpunkt des Bandes widmet sich der Etablierung einer spezifisch schulischen Kultur, deren Materialität die Professionalität des Unterrichtens unterstrich. Hier sticht ein Beitrag zur Geschichte pädagogischer Lehrsammlungen hervor, der überzeugend zeigt, wie sich während der frühen Moderne in den französischen Jesuitenschulen Bibliotheken und Lehrsammlungen an einem gemeinsamen Ort versammelten und dabei als aufeinander bezogene Signets neuer Formen des Denkens und Lernens greifbar in Erscheinung traten (Véronique Castagnet-Lars). Dabei wird auch auf eine zentrale pädagogische Frage der materiellen Kultur der Schule Bezug genommen: Der Beitrag beschreibt wie das Zeigen als zentrale Operation des Lehrens auf den Gebrauch und das Herstellen von Wissen (und Gegenständen) auf der Seite der Lernenden gerichtet ist. Mit der Zeigegeste und dem Einsatz didaktischer Objekte wird demonstriert wie das Wissen aufgebaut ist, wie es gelernt und produktiv umgesetzt werden kann2.

Andere Beiträge beschäftigen sich mit der Frage der Verbindung von didaktischen Objekten und menschlichen Sinnesorganen sowie der Schaffung von Lernumgebungen (Marguerite Figeac-Monthus), der Rekonstruktion pädagogischer Praktiken durch Biografik (Bienvenido Martín Fraile), der Gestaltung von Schulmuseen im Baskenland (Pauli Dávila und Luis M. Naya) und in Polen (Stanislaw Rozak) sowie künstlerischen Repräsentationen von Schule (Jeremy Howard).

Der dritte thematische Schwerpunkt des Buchs enthält Beiträge zur Materialität des schulischen Raumes. Dabei geht es einerseits um die Frage wie theoretische Reflexionen von Schule räumlich umgesetzt wurden (Jean-François Condette; Baptiste Jacomino), um Lehrmaterialien (wie z. B. Herbarien) als Orte des naturwissenschaftlichen Unterrichts, um pädagogische Objekte als museale Sammlungsstücke sowie um intermediale visuelle pädagogische Technologien des Zeigens (Jocelyne Liger Martin und Isabelle Valque Reddé; Johann-Günther Egginger; Hélène André und Sylvain Wagnon).

Der letzte Schwerpunkt des Bands widmet sich dem Thema Lehrbücher. Andrew Demetrius analysiert die vom Bauhaus inspirierten Lehrbücher zur Sehschulung und Geschmackserziehung von Kurt Howald (1920–1980), die von einer engen Verbindung von medialem Zeigen, Anschauung und Sehen ausgingen. Andere Beiträge konzentrieren sich auf die Durchsetzung von Unterrichtssprachen und die Gestaltung von Geschichtslehrbüchern in Russland sowie der französischsprachigen Schweiz (Anna Zadora; Olga Konkka; Viviane Roullier, Aurélie de Mestral).

Abschließend lässt sich konstatieren, dass der Band vor allem an jenen Stellen hervorsticht, an denen der Zusammenhang von pädagogischen Zeigestrategien, didaktischen Objekten sowie zeitgenössischen Vorstellungen von Sehen und Lernen analysiert wird. Nicht weniger eindrucksvoll sind jene Beiträge, die verdeutlichen, wie stark die Normierung der materiellen Kultur der Schule mit staatlicher Reglementierung, der Mediengeschichte sowie der handwerklichen und industriellen Herstellung von pädagogischen Objekten als international und national zirkulierende Waren zusammenhängt. Insofern ist der vorliegende Band vor allem an jenen Stellen innovativ, wo der Zusammenhang von Bildungs-, Medien- und Konsumgeschichte neu definiert und wo die Zeigefunktion des Unterrichts historisch mit der materiellen Kultur der Schule in Verbindung gebracht wird.

1 Hier einige Publikationen, die im vorliegenden Band unerwähnt bleiben: Roland Barthes, Semantik des Objekts, in: ders. (Hg.), Das semiologische Abenteuer, Frankfurt a. M.1988, S. 187–198 (Original: L’obvie et l’obtus, Paris 1982); Jean Baudrillard, Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen, Frankfurt a. M. 1991 (Original: Le système des objets, Paris 1968); Philippe Ariès, Geschichte der Kindheit, München 1978 (Original: L’enfant et la vie familiale sous l’ancien régime, Paris 1960); Egle Bechi, Dominique Julia (Hg.), Histoire de l’enfance en Occident, 2 Bde., Paris 1998 (Original: Storia dell’infanzia, 2 Bde., Rom, Bari 1996); Martin Lawn, Ian Grosvenor, Materialities of Schooling: Design, Technology, Objects, Routines, Cambridge 2005; Karin Priem, Gudrun M. König, Rita Casale (Hg.), Die Materialität der Erziehung. Kulturelle und soziale Aspekte pädagogischer Objekte, Weinheim, Basel 2012 (Zeitschrift für Pädagogik. Beiheft, 58).
2 Vgl. dazu Klaus Prange, Die Zeigestruktur der Erziehung. Grundriss der Operativen Pädagogik, Paderborn 2005.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Karin Priem, Rezension von/compte rendu de: Marguerite Figeac-Monthus, Éducation et culture matérielle en France et en Europe du XVIe siècle à nos jours, Paris (Honoré Champion) 2018, 450 p. (Didactiques des lettres et des cultures, 5), ISBN 978-2-7453-4860-9, EUR 55,00., in: Francia-Recensio 2020/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73295