Die täuferischen Bewegungen in der Grafschaft Oldenburg stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Buchs, das die an der Universität Oldenburg entstandene Dissertation von Karin Förster in die Öffentlichkeit bringt. Es legt einen Schwerpunkt auf die Jahre nach 1535, also auf die unmittelbaren Folgen der Ereignisse in Münster, die sich in Oldenburg wie in einem Mikrokosmos nachzeichnen lassen. Einige Akteure der täuferischen Herrschaft in der westfälischen Stadt fanden in Oldenburg Zuflucht, was viele innertäuferische Diskussionen über theologische Fragen hervorbrachte. Somit illustriert der Band sehr eindrücklich die Vielfalt des Täufertums im 16. Jahrhundert.
In der nordwestdeutschen Grafschaft waren nach 1535 Bernhard Rothmann und Heinrich Krechting aktiv, zwei wesentliche Protagonisten der Münsteraner Täufer. Zudem wirkte sich der Einfluss von Melchior Hoffman, der in Ostfriesland zahlreiche Anhänger hatte, auch in Oldenburg aus. Zwei weitere, in Nordwestdeutschland sehr einflussreiche Akteure waren David Joris und Jan van Batenburg. Damit war die Bühne bereitet für Auseinandersetzungen und Diskussionen. Die Arbeit von Karin Förster konzentriert sich auf die Biografie von David Joris und auf dessen Kontakte, die in theologischen Gesprächen und in der schriftlichen Kommunikation ihren Ausdruck fanden.
Die Autorin zeichnet die vielfältigen Verflechtungen der Oldenburger Täufer mit Ostfriesland und den Niederlanden nach und fragt zudem, in welchem Ausmaß die Protagonisten in das generelle Reformationsgeschehen involviert waren beziehungsweise welche Einflüsse sich in den verschiedenen theologischen Aussagen widerspiegeln. Als Beispiel hierfür dient erneut David Joris, dessen Nähe zur Devotio moderna und zu Erasmus von Rotterdam Karin Förster herausstreicht. So hat die vorliegende Arbeit auch den Anspruch, die manchmal sehr scharf gezogene Trennlinie zwischen »den Reformatoren« und »den Täufern« aufzubrechen.
Karin Försters Untersuchung gibt zunächst einen Überblick über die Oldenburger Kirchengeschichtsschreibung, die von der Sicht des in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts publizierenden lutherischen Superintendenten Hermann Hamelmann geprägt war. In der 1573 veröffentlichten Kirchenordnung setzte Hamelmann sich in scharfen Worten mit den Täufern auseinander. Karin Förster beschäftigt sich dann mit der Entstehung täuferischer Gemeinden in Oldenburg, die sie in der Ankunft von Münsteraner Täufern festmacht.
Im September 1535 erlaubte Graf Anton I. von Oldenburg Heinrich Krechting und weiteren, aus Münster geflohenen Täufern die Aufnahme in seiner Grafschaft. Krechting zog jedoch nach kurzer Zeit weiter in die Herrlichkeit Gödens, was wiederum die Rolle dieser Herrschaft in der Tolerierung und Ansiedlung von Täufern unterstreicht. Die Familie von Frydag betrieb im Zusammenhang mit der Planung der Stadt Neustadtgödens Anfang der 1540er Jahre eine gezielte Besiedlungspolitik und nahm viele religiös Verfolgte auf.
Der vorliegende Band folgt in seiner Darstellung schließlich der Biografie von David Joris und gibt anhand seiner Person Einblicke in die Beziehungen der verschiedenen täuferischen Prediger und Gruppen zueinander. Zahlreiche Debatten stehen für die kontroversen Standpunkte der Akteure – dazu gehörte »post« Münster vor allem die Gewaltfrage. David Joris nahm in diesen Debatten eine konsequent gewaltlose Position ein und stand damit in Opposition zu den Flüchtlingen aus Münster, die den Einsatz von Gewalt weiterhin befürworteten. Doch auch das Gemeindeverständnis und das praktische Glaubensleben an sich, also Fragen der Nachfolge Jesu Christi, sorgten für Diskussionen.
Karin Förster beschreibt die Auseinandersetzungen vor dem Hintergrund täuferischer Konferenzen und Synoden sowie des 1539 von Joris an die Oldenburger Täufer gesandten Briefes. So standen im September 1535 bei der Konferenz in Bocholt, wo Joris zu vermitteln versucht hatte, beispielsweise die Frage der Gewaltanwendung, die Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden auch nach der Niederlage in Münster, die Polygamie sowie die Inkarnation, der freie Wille und die Lehre von der Vollkommenheit im Mittelpunkt. Förster folgt Joris dann auf seinem Weg nach Oldenburg, wo 1538 eine weitere Synode mit den aus Münster geflohenen Täufern stattfand. Die sich dort entfaltenden Debatten, die an Bocholt anschlossen, nehmen einen breiten Raum im vorliegenden Band ein.
Während David Joris immer wieder für seinen »Weg der Gerechtigkeit und des Friedens« warb, verfolgten Täufer wie Heinrich Krechting und Jan van Batenburg weiterhin das Ziel, das Reich Gottes auf Erden aufzurichten – entweder durch die Eroberung einer weiteren Stadt, um diese wie Münster als »himmlisches Jerusalem« für die Wiederkunft Jesu vorzubereiten, oder durch den bewaffneten Widerstand gegen die habsburgische Herrschaft in den Niederlanden.
Joris dagegen lehnte jeglichen äußerlichen Kampf ab und forderte seine Glaubensgeschwister auf, in der Gemeinde Gottes Frieden zu halten und Einheit zu wahren, und darüber hinaus gerade Feinden Liebe entgegenzubringen. Zudem legte er einen Schwerpunkt auf die Ethik des christlichen Lebens und die »Nachfolge Jesu Christi«, die zur Vervollkommnung der Gläubigen führen sollte. Er sah Nachfolge als langen Weg zur Reife, die der Geist Gottes bewirke. Für Joris war die »Zeit des Geistes« angebrochen und so verstand er auch die Errichtung des Hauses Gottes im geistlichen Sinne.
Die vorliegende Untersuchung zu den täuferischen Bewegungen in Oldenburg veranschaulicht die Vielfalt der Täufer und ihre Integration in das Reformationsgeschehen des 16. Jahrhunderts. Die geschilderten Debatten und Auseinandersetzungen unterstreichen die Schwierigkeit, die Täufer auf eine einheitliche Theologie festlegen zu wollen. Vielmehr ordnet sich Karin Försters Arbeit in die momentan in der Täuferforschung bestehende Überzeugung ein, dass für jede Gruppe und für jede Zeitperiode bestimmt werden muss, was die jeweiligen Akteure unter »täuferisch« verstanden.
Das Buch besticht durch seine gute Lesbarkeit, wobei auch immer wieder deutlich wird, dass die Autorin mit ihren Ergebnissen nicht in der Vergangenheit stehen bleiben, sondern mit dem bunten Bild, das sie von der Geschichte malt, in heutige ökumenische Diskussionen hineinsprechen möchte.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Astrid von Schlachta, Rezension von/compte rendu de: Karin Förster, Das reformatorische Täufertum in Oldenburg und Umgebung (1535–1540). Unter der besonderen Berücksichtigung des Täufertheologen David Joris, Münster (LIT-Verlag) 2019, XII–259 S. (Arbeiten zur historischen und systematischen Theologie, 26), ISBN 978-3-643-14231-3, EUR 39,00., in: Francia-Recensio 2020/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73296