Die vorliegende Studie ist ein Beitrag zum Hugenottentag 2013, der in Mannheim stattgefunden hat. Sie befasst sich mit der Migration zwischen den Städten Sedan und Mannheim vorwiegend in der Zeit vor der Zurücknahme des Edikts von Nantes im Jahr 1685 und stützt sich dabei sowohl auf französische wie auf deutsche Quellen. Wie der Untertitel der Studie andeutet, geht es dabei auch um die Frage, wie stark diese Migrationsbewegung tatsächlich religiös motiviert war und welchen Stellenwert wirtschaftliche Gesichtspunkte hatten.

In Ihrer Einleitung hebt die Autorin darauf ab, dass sowohl in der französischen wie der deutschen Geschichtsforschung die Hugenotten lange Zeit ausschließlich als »Märtyrer des Glaubens« gesehen wurden, denen eine Sonderstellung als Opfer religiöser Verfolgung für ihre Migration eingeräumt wurde. Erst seit den 1980er Jahren brachte es die Auswertung der Datenbank über die hugenottischen Flüchtenden immer mehr an den Tag, dass viele der Auswanderer große Integrationsschwierigkeiten hatten und teilweise auch lange Irrfahrten von einem Ort zum anderen unternehmen mussten. Damit kamen auch ökonomische Aspekte in den Fokus der Betrachtung.

Die Migration aus Frankreich im 17. Jahrhundert vor 1685 wurde wegen der starken Fixierung auf die religiöse Motivation wesentlich weniger erforscht als die danach. Für das ehemals unabhängige, seit 1642 zu Frankreich gehörige Fürstentum Sedan möchte die Studie diese Forschungslücke schließen. Die Kurpfalz und insbesondere Mannheim als Zielort der Auswanderung werden deshalb in den Blick genommen, weil die 1652 nach der Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg mit weitreichenden Privilegien neu gegründete Stadt ein attraktives und – auch räumlich – naheliegendes Angebot zur Übersiedelung war. Beide Städte sind nur etwas mehr als 300 km voneinander entfernt und damit ist Mannheim näher bei Sedan als etwa Rouen oder Amsterdam.

Die Parallelen zwischen dem Fürstentum Sedan und der Kurpfalz arbeitet die Autorin im ersten Kapitel heraus. Seit den 1560er Jahren verbindet beide Territorien die Tatsache, dass ihre Fürsten zum Calvinismus übergetreten sind. Außerdem bieten beide Territorien verfolgten Protestanten Aufnahme. Während sich nach Sedan vorwiegend Hugenotten aus Frankreich flüchten, kommen in die Pfalz vor allem flämische und wallonische Flüchtlinge aus den Südlichen Niederlanden, die unter spanische Vorherrschaft gelangt sind.

In Sedan wendet sich 1633 das Blatt: Fürst Frédéric-Maurice de La Tour tritt wieder zum Katholizismus über und beginnt eine langsame Rekatholisierung. Er beteiligt sich an der Verschwörung des Marquis de Cinq-Mars gegen Kardinal Richelieu und verliert deshalb sein Fürstentum, das von Frankreich annektiert wird. Der von Frankreich eingesetzte Gouverneur treibt die Rekatholisierung noch konsequenter weiter. Für die Protestanten in Sedan gibt es also wieder einen Grund, sich nach neuen Orten umzusehen.

Das zweite und dritte Kapitel widmen sich nun detailliert der Auswanderung von Sedan nach Mannheim. Die 1652 erlassenen Privilegien laden alle »ehrlichen Leute aus allen Nationen« ein, in die entvölkerte Stadt zu kommen. Versprochen werden ihnen günstige, teilweise kostenlose Überlassung von Baugrund und -materialen, ein Steuererlass auf 20 Jahre, Freiheit der Eheschließung, volle Gewerbefreiheit und Religionsfreiheit. Bald gibt es hier auch eine französisch-reformierte Kirchengemeinde.

Die Autorin kann aus den Quellen 134 Erwachsene, 66 Männer, 68 Frauen sowie 42 Kinder und Jugendliche nachweisen, die zwischen 1652 und 1689 – als Mannheim im Pfälzischen Erbfolgekrieg zum zweiten Mal zerstört wird – von Sedan dorthin gezogen sind. Der höchste Anteil, den Migranten aus Sedan an der Mannheimer Stadtbevölkerung haben, liegt bei 5,1% kurz vor Ausbruch der Pest 1666.

Zahlenmäßig scheint das nicht sehr bedeutend zu sein, aber da es viele Informationen über diese Gruppe gibt, lässt sich an ihrem Beispiel auch vieles detailliert erklären. Zunächst fällt auf, dass bis 1685 zumeist Paare oder ganze Familien nach Mannheim aufbrechen. 83 Erwachsene, also mehr als die Hälfte, kommen nicht allein, sondern als Ehepaar oder im Familienverbund. Das erklärt auch den hohen Frauenanteil an den Migranten. Es ist also nicht das idealtypische Fluchtverhalten, bei dem sich zunächst die jungen und gesunden Männer aufmachen, andernorts eine neue Existenz zu gründen, und der Rest der Familie später nachkommt. Sondern es ist die bewusste Entscheidung einer ganzen Familie, woanders ihr Glück zu suchen, weil es in Sedan keine hoffnungsvolle Zukunft mehr zu geben scheint. Oft sind diese Familien in den Jahrzehnten zuvor aus Frankreich nach Sedan gekommen, haben also bereits Erfahrung mit Migration. Der Verfolgungsdruck ist in dieser Zeit nicht so groß, dass man – wie nach 1685 – überstürzt aufbrechen müsste und möglichst nicht in Gruppen reisen sollte, weil man sonst Gefahr läuft, verhaftet zu werden.

Ein Ergebnis der Studie macht deutlich, dass es auch in der neuen Stadt Mannheim mit all ihren Vergünstigungen nicht unbedingt einfach ist, dauerhaft Fuß zu fassen. Ungefähr 25% derer, die sich aus Sedan auf dem Weg gemacht haben, halten sich – nachdem sie Mannheim manchmal erst nach Monaten oder Jahren erreicht hatten – nur kurz in der Stadt auf und ziehen dann weiter. Nicht jedem gelingt es, genug zu verdienen, um innerhalb von zwei Jahren ein Haus zu bauen, wie es von den Neubürgern Mannheims verlangt wird.

Doch gibt es auch sozialen Aufstieg, den manch einer aus Sedan in Mannheim erlebt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kaufmann Walther de Houst, dessen Familie zunächst aus der Nähe von Metz nach Sedan gezogen war. Er kommt bereits in den 1650er Jahren nach Mannheim, lässt sich dauerhaft nieder, besitzt ein Eckhaus in F 2 mit Blick auf den Marktplatz und spielt sowohl als Ratsherr und zeitweiliger Bürgermeister sowie als Mitglied des Konsistoriums der französisch-reformierten Gemeinde eine einflussreiche Rolle in der Stadt. Auch noch nach der Zerstörung von 1689 gehört er in Hanau, wohin er sich geflüchtet hat, dem provisorischen Mannheimer Stadtrat an.

Das vielleicht überraschendste Ergebnis dieser detaillierten Studie ist die katholische Einwanderung nach Mannheim, die bisher kaum untersucht ist, da sie sich hinter der hugenottischen versteckt. Katholiken aus Flandern, dem Hennegau, dem Artois, der Thiérache und auch aus Sedan können nachgewiesen werden. Manche konvertieren in Mannheim zur reformierten Religion, etwa 90 Familien bleiben aber katholisch. Daran zeigt sich eindrucksvoll, dass diese Migrationsbewegung zwischen 1652 und 1685 doch wohl stärker ökonomisch als religiös geprägt gewesen sein dürfte.

Der große Vorzug dieser Studie ist die breite Quellengrundlage, die den Blick über die Ländergrenzen hinweg – neben Frankreich und Deutschland auch noch in Richtung Schweiz – eröffnet. Dadurch lässt sich am Beispiel einer kleinen Gruppe sehr genau beschreiben, wie die Wege der Migration waren, und dass es oft keine schnelle Bewegung von A nach B gewesen ist, sondern vieler Irrfahrten und Zwischenstationen bedurfte, bis eine neue Heimat gefunden war. Dass auch diese auf Dauer nicht unbedingt sicher war, zeigt das Beispiel Mannheim. So musste die Stadt 1688/1689 fluchtartig von allen verlassen werden, als sie zunächst von französischen Truppen besetzt und dann zerstört wurde.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Susanne Schlösser, Rezension von/compte rendu de: Odile Jurbert, Die Sedaner in Mannheim (1652–1688). Zwischen Wirtschaftsmigration und religiöser Zuflucht. Aus dem Französischen von Ulrike Krumm, Bad Karlshafen (Verlag der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft) 2017, 96 S. (Geschichtsblätter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 52), ISBN 978-3-930481-41-5, EUR 16,00., in: Francia-Recensio 2020/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73299