Das 16. Jahrhundert war für das Elsass eine Blütezeit in kultureller, religiöser und wirtschaftlicher Hinsicht. Der elsässische Historiker Jean-Pierre Kintz, der an der Universität des Oberelsass und an der Marc-Bloch-Universität in Straßburg lehrte, stellt dieses »goldene Jahrhundert« des Elsass facettenreich vor. Leider erlebte Kintz († 2018) das Erscheinen seines Werkes nicht mehr. Noch 2017 hatte er seine große Untersuchung »La conquête de l’Alsace«1 vorlegen können.
Bei der Erstellung des hier vorzustellenden Werkes zur elsässischen Geschichte vom Bauernkrieg bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges konnte Kintz auf seine umfangreichen Detailforschungen zurückgreifen. Dazu zählen die Ergebnisse seiner 1984 erschienenen Promotionsarbeit »La Société strasbourgeoise du milieu du XVIe siècle à la fin de la guerre de Trente Ans, 1560–1650. Essai d’histoire démographique, économique et sociale«. Des Weiteren müssen seine Erkenntnisse aus seiner Lebensarbeit am imposanten Nachschlagewerk »Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne« (49 Bde., Straßburg 1982–2007), dessen Leitung er innehatte, hervorgehoben werden. Eine von ihm vorgenommene Auswahl hieraus von etwa 30 Artikeln erschien 2008 unter dem Titel »Regards sur l’histoire de l’Alsace«.
Die vorliegende Publikation, deren Schwergewicht insbesondere auf dem konfessionellen Geschehen liegt, umfasst sechs stark untergliederte Kapitel. Nur wenige Grundlinien können hier kapitelübergreifend aufgezeigt werden. Nach einer Beschreibung der Regionen und der Orte im ersten Kapitel (»L’Alsace traditionelle«) folgt im zweiten Teil (»Institutions anciennes et modernes«) die Betrachtung der Organe der verschiedenen Landesverwaltungen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war das Elsass – territorial und herrschaftlich – stark zersplittert und umfasste mehr als vierzig weltliche und geistliche Herrschaften sowie zwölf freie Städte.
Während einer langen Friedenszeit (1499–1621) konnte sich das Elsass in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht gut entwickeln. Im Oberelsass beherrschten die Habsburger rund drei Viertel der Fläche des heutigen Departements Haut-Rhin. Die württembergischen Besitzungen Horburg und Reichenweier wurden von der Regierung der Grafschaft Mömpelgard verwaltet. Im Unterelsass waren die Reichsstadt Straßburg, das Hochstift Straßburg und die Grafschaft Hanau-Lichtenberg die bestimmenden Kräfte. Das Hochstift Straßburg war von 1607 bis 1662 unter der Ägide der Habsburger. Die vereinte elsässische Reichsritterschaft verfügte über umfangreiche, allerdings stark zersplitterte Gebiete und besaß ein selbstständiges Direktorium.
Zwölf freie Städte trugen zur günstigen wirtschaftlichen Entwicklung (Handwerk, Handel, Weinproduktion) im Elsass bei. Die Reichsstadt Straßburg mit ihrem kleinen Territorium war unter der Führung des Stettmeisters Jakob Sturm in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die führende Stadt. Zehn Städte bildeten die Dekapolis (Zehnstädtebund). Sie spielte als Schlichter bei Streitigkeiten zwischen kleineren Herrschaften eine Rolle, vertrat die politischen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder und trug damit bis zu ihrem Ende 1673 entscheidend zur politischen Stabilität bei.
Das Elsass war eine typische Grenzlandschaft des Alten Reiches mit einer Vielzahl von Territorien und unterschiedlichen politischen Organisationsformen. Dennoch war es ein eigenständiger geografischer und politischer Raum mit ausgeprägtem Identitätsbewusstsein.
Die konfessionelle Situation beschreibt Kintz in den Kapiteln »La crise religieuse« und »Accepter ou écarter le non-conformiste« – letzteres mit Blick auf Minderheiten sowie auf bedrängte oder als Ketzer gebrandmarkte Gruppierungen. Etwa zwei Jahre nach Luthers Thesenveröffentlichung fand die Reformation in Straßburg Eingang. Prediger wie Matthias Zell, Wolfgang Capito, Kaspar Hedio und Martin Bucer trugen die reformatorische Bewegung in die Bürgerschaft hinein. Zwischen 1520 und 1525 wurden von den Straßburger Buchdruckern und Verlegern die reformatorischen Lehren durch die Bibelübersetzung in die deutsche Sprache, durch Reformationsdrucke, Flugschriften und zahlreiche Predigten verbreitet. Trotz des von Kaiser Karl V. 1548 verhängten Augsburger Interims, das im Reich die Rückkehr zur katholischen Kirche anstrebte, hielt das Elsass an den meisten evangelischen Neuerungen fest. 1577 kam es – auf Betreiben von Johann Marbach – zur Annahme der Konkordienformel, die die Straßburger Protestanten auf die Einhaltung der wesentlichen Elemente der lutherischen Glaubenslehre verpflichtete. Straßburg wurde zum Fluchtort der in Italien, den Niederlanden und England verfolgten Protestanten wie auch der in Frankreich unterdrückten Hugenotten.
Die Anhänger der neuen Lehre bildeten in Straßburg sehr schnell eine von Jakob Sturm geleitete einflussreiche Gruppe, die aus Mitgliedern des Stadtrats, aus Handwerkern, Fischern, Gärtnern bestand. Der Stadtrat erkannte rasch, dass es ihm nun möglich war, wieder die kirchlichen Strukturen zu kontrollieren und die Kirchengüter zu verwalten. Durch das Engagement Jakob Sturms und Martin Bucers wurde 1538 ein städtisches Gymnasium errichtet, das auf dem von Schulrektor Johann Sturm erstellten Programm beruhte. 1566 wurde das Gymnasium in eine Akademie umgewandelt, 1621 erhielt es den Status einer Universität. Mit seiner Hochschule war Straßburg als Zentrum des elsässischen Protestantismus für die Ausbildung der Pfarrer verantwortlich.
Von den Städten der Dekapolis gingen Weißenburg und Münster sowie 1575 Colmar (nur die mittleren und oberen Schichten) zum Protestantismus über; dies gilt auch für Landau, das von 1521 bis 1815 zum Elsass gehörte. Zum Luthertum gehörten rund 90% der elsässischen Protestanten. Die Reformierten hatten in Markirch und Mülhausen ihre Zentren. 1529 war Mülhausen dem Vorbild der Reformation in Basel gefolgt und blieb bis zur französischen Annexion 1798 ausschließlich reformiert.
Im Verlauf der Reformation erlebte die katholische Kirche einen deutlichen Einbruch, der sich besonders im Rückgang der Pfarreien zeigte. Während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts leiteten die Fürstbischöfe Maßnahmen zur Rekatholisierung ein. Jesuiten und Kapuziner wurden in die Diözese berufen. 1580 eröffneten die Jesuiten in Molsheim ein Kolleg, dem 1613 ein Seminar angegliedert wurde; 1617 wurde es zur Universität erhoben.
Nachdem im 14. Jahrhundert (Pogrom 1349) die jüdische Bevölkerung fast ausgerottet war, lebten im 16. Jahrhundert lediglich noch 100 bis 120 jüdische Familien im Elsass. Die jüdischen Gemeinden in den Städten waren ausgelöscht. Zu ihrem Schutz hatten sie sich in der Landjudenschaft, deren Vorsteher im Unterelsass der berühmte Josel von Rosheim (1478–1554) war, zusammengeschlossen.
Auch das Elsass blieb von Aberglaube, Hexenwahn und Hexenverfolgungen nicht verschont. Hexenprozesse sind vor allem in katholischen Gebieten zu finden. Für Thann und Ensisheim ist eine hohe Zahl von Hexenverbrennungen nachgewiesen. In protestantischen Gebieten waren die Gegend von Buchsweiler sowie das Steintal von Hexenverfolgungen betroffen. Die Verfolgungswelle war von 1610 bis 1630 besonders stark, ging aber danach zurück.
Im Kapitel »Guerres religieuses et crises européennes« schildert Kintz die Unterstützungsmaßnahmen für die in Frankreich verfolgten Hugenotten sowie den Kampf zweier Kandidaten um den vakanten Straßburger Bischofsstuhl sowie die Truppenbewegungen im Elsass 1610 im Zuge des Jülich-Klevischen Erbfolgekriegs (1609–1614). Durch ein konfessionell gespaltenes Domkapitel kam es 1592 zur Wahl zweier Bischöfe, des Katholiken Karl Kardinal von Lothringen und des Lutheraners Johann Georg von Brandenburg. Der daraufhin ausgebrochene »Straßburger Bischofskrieg«, in dem das Unterelsass verwüstet wurde, dauerte bis 1604. Im Frieden von Hagenau wurde Karl von Lothringen als alleiniger Bischof anerkannt. Die evangelischen Kanoniker verzichteten gegen eine hohe Abfindung auf ihre Rechte.
Das abschließende Kapitel »Cour de France et l’Alsace« fragt nach den Beziehungen des französischen Königshofs zu Straßburg und zum Elsass und zeigt die französischen Begehrlichkeiten auf diese Region auf.
Das Werk ist durchgehend mit zahlreichen erläuternden Karten und aussagekräftigen Bildtafeln ausgestattet. Der Anhang bietet Hilfestellungen für die damals gebräuchlichen Zahlungsmittel und Maße. Literaturangaben finden sich gebündelt am Ende der einzelnen Kapitel. Leider fehlt ein Index, der zur Erschließung des reichen Inhalts beigetragen hätte.
Jean-Pierre Kintz gelingt mit diesem Werk eine beeindruckende Zusammenschau eines ereignisreichen Jahrhunderts elsässischer Geschichte. Die imponierende Darstellung wendet sich an ein interessiertes Fachpublikum, durch Verzicht auf einen wissenschaftlichen Apparat jedoch auch an ein breiteres Lesepublikum. Eine Übersetzung ins Deutsche wäre wünschenswert.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Hans Ammerich, Rezension von/compte rendu de: Jean-Pierre Kintz, L’Alsace au XVIe siècle. Les hommes et leur espace de vie 1525–1618, Strasbourg (Presses universitaires de Strasbourg) 2018, 441 p., 68 ill. (Études alsaciennes et rhénanes), ISBN 978-2-86820-538-4, EUR 28,00., in: Francia-Recensio 2020/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73300