Der Begriff der »Restauration« ist im historischen Kontext bis heute verbunden mit der Epoche nach 1815, als die europäischen Länder in ihrer überwiegenden Mehrheit darin gingen, vermeintlich alteingesessene und hergebrachte politische Systeme nach den Wirren von 1789 und der darauffolgenden Napoleonischen Ära erneut zu etablieren. Im kirchlichen Zusammenhang, vor allem – mit Hinsicht auf die Relevanz der folgenden Ausführungen – für den katholischen Bereich, ist der Terminus analog, aber nicht völlig deckungsgleich als Rückwendung zu überwundenen oder als obsolet empfundenen ekklesiologischen Konzeptionen und Haltungen konnotiert; man denke hierzu etwa an dessen schlagwortartige Instrumentalisierung ab den 1960er Jahren als Gegenpol zum immer wieder evozierten »Geist des Konzils«. Letzteres bezog sich selbstredend auf das Vaticanum II; Ähnliches ließ sich aber auch schon im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts feststellen, als die Auseinandersetzungen zwischen liberalen und ultramontanen Lagern sich in und um die Diskussionen des Vaticanum I fokussierten.
Neutral betrachtet aber bedeutete Restauration zunächst lediglich die Wiedererrichtung kirchlicher Strukturen nach den Verwüstungen von Revolution und Säkularisation, exemplifiziert etwa an den Bemühungen und Verhandlungen um Konkordatsabschlüsse mit den einzelnen europäischen und außereuropäischen Staaten.
Eine restaurative Variante der in mehrfacher Hinsicht besonderen Art bildete die Wiederherstellung der Gesellschaft Jesu durch die Bulle »Sollicitudo omnium ecclesiarum«Papst Pius’ VII. vom 7. August 1814. Die Jesuiten waren bereits 1773, also 15 Jahre vor dem Ausbruch der Wirren in Frankreich, auf Drängen mehrerer katholischer Höfe seitens des Hl. Stuhls aufgelöst worden und hatten in der Zwischenzeit in Form von neugegründeten Gemeinschaften oder aber im nicht-katholischen Ausland, vor allem im kaiserlichen Russland1, überlebt. Pius VII. hatte diesen schon mehrmals seine Anerkennung ausgesprochen, so 1801 für Russland, 1803 für England und 1804 auch im katholischen Neapel und Sizilien2.
Aufgrund der Signifikanz und Wirkmächtigkeit der Jesuiten, welche sowohl vor 1773, als auch verstärkt in Kirchen- und Kulturkampfzeiten des 19. und 20. Jahrhunderts als Stoßtruppe von Katholizismus und Papsttum gegolten hatten und gelten sollten, ist es höchst erfreulich, jetzt mit dem von Paul Oberholzer herausgegebenen umfänglichen Band über eine Anthologie zu diesem historischen Markstein zu verfügen. Auf fast 700 Seiten legen internationale Fachleute in insgesamt 35 zum Teil sehr gewichtigen Texten die verschiedensten Aspekte dieses weitläufigen Sujets dar. Diese bilden die gedruckte Fassung der Beiträge zu der anlässlich des 200. Jahresgedächtnisses im Oktober 2014 in Fribourg stattgefundenen Tagung.
Angesichts der Fülle des Werkes3 mag die Leserin bzw. der Leser dieser Zeilen den Rezensenten von einer Gesamtanalyse und Besprechung sämtlicher dort vorzufindender Artikel dispensieren, da dies den hier zur Verfügung stehenden Raum massiv überschreiten, ja sprengen würde. Beschränken wir uns daher auf Grundlegendes und Spezifisches.
Wie bei manchen Vertragstexten sollte man auch bei dem infrage stehenden Band zunächst das Kleingedruckte, also hier den Untertitel, lesen. Die »besondere Berücksichtigung der Verhältnisse im Wallis« konditioniert nämlich eine bei diesem Oberthema von universalem Interesse sonst nicht zu erwartende Fokussierung auf die Verhältnisse in den katholischen Kantonen der Eidgenossenschaft, speziell eben des Wallis.
Die selbst bei Fachhistorikerinnen und -historikern nicht immer sehr präsenten Spannungen innerhalb der Schweiz, welche letzten Endes ja erst im Anschluss an den Sonderbundskrieg 1847 zumal staatsrechtlich einigermaßen entschärft wurden, erfahren hier eine vertiefte Erörterung durch einen vermeintlich sekundären Aspekt, dies in biografischer, quellenkritischer und analytischer Hinsicht. Die thematische Erweiterung in der schlaglichtartigen Betonung eines Landesphänomens erweitert das Zielpublikum des Bandes daher erheblich – wer sich fürderhin mit Schweizer Kirchen- und Staatsrechtsgeschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts befasst, wird hier wichtige Referenzen, Ergänzungen und Erweiterungen allgemeiner Ausführungen vorfinden.
Diese nationalen Typica bilden aber nur einen Schwerpunkt des Buches, der Rest beschäftigt sich erwartungsgemäß mit den zentralkirchlichen und internationalen Dimensionen des Themas. Unter diesen seien hier nur die tatsächlich globalen und umfassenden Beiträge exemplarisch gewürdigt. Der Bogen reicht hier von Untersuchungen zur Bedeutung der römischen Kurie, über europäische (Frankreich, Spanien, Österreich) bis hin zu transatlantischen Inhalten, letztere etwa sehr schön in den jungen Vereinigten Staaten (hier die Jesuiten in Maryland und Pennsylvania von 1773 bis 1814) oder aber in Südamerika.
Wahrhaft enzyklopädisch im besten Sinne wird die Darstellung dann bei der Erörterung vorgeblich sekundärer Fragen, wie etwa Kirchenrecht, Wahrnehmung bis hin zur Karikatur und Ausbildung/Erziehung. Die hier aufgezeigte Weite des Untersuchungsgegenstandes erhebt das Werk tatsächlich in den Rang einer Referenzpublikation.
In der Summe bleibt somit, bei aller unzweifelhaften und gattungsimmanenten unterschiedlichen Gewichtung und Relevanz der Einzelbeiträge dem Sammelband aufgrund seiner exemplarischen Konzeption, seiner inhaltlichen Meriten, sowie – dies sei nicht unerwähnt – seiner ansprechenden verlegerischen Präsentation eine weite Verbreitung auch über die engen Fachgrenzen hinaus zu wünschen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Johannes Schmid, Rezension von/compte rendu de: Paul Oberholzer (Hg.), Die Wiederherstellung der Gesellschaft Jesu. Vorbereitung, Durchführung und Auswirkungen. Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im Wallis, Münster (Aschendorff) 2019, XIV–678 S. (Studia Oecumenica Friburgensia [Neue Serie der Ökumenischen Beihefte], 88), ISBN 978-3-402-12225-9, EUR 76,00., in: Francia-Recensio 2020/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73305