Im Mittelpunkt des von Susan Richter (Kiel) und Armin Kohnle (Leipzig) herausgegebenen, Eike Wolgast zum 80. Geburtstag gewidmeten Sammelbandes stehen Fürsten der Reformationszeit und der frühen Phase der Konfessionsbildung, die entscheidenden Anteil an der Durchsetzung neuer Glaubenslehren in ihren Herrschaftsgebieten gehabt oder sich in besonderer Weise mit reformatorischen Bewegungen politisch und theologisch auseinandergesetzt haben. Der Band nutzt für solche Angehörige des Hochadels den Begriff des »Reformationsfürsten«, für die fürstlich bestimmte Reformation den Begriff der Fürstenreformation.

Beide Begriffe sind in der Forschung bereits seit Längerem vor allem als Abgrenzungsbegriffe gegen Reformationstypen etabliert, die von Stadt- oder Landgemeinden getragen wurden. Der viel zu früh verstorbene Göttinger Landeshistoriker Ernst Schubert hat den Begriff der Fürstenreformation zutreffend als zwar nicht unbrauchbaren, aber doch zumindest nicht unproblematischen Verlegenheitsbegriff charakterisiert. Sein Wert hängt sehr von Präzisierungen und der Einordnung der Fürstenreformation in komplexere, bereits vor dem 16. Jahrhundert zu beobachtende Entwicklungslinien ab, die über Glaubensfragen und Kirchenpolitik im engeren Sinne hinausreichen. Zudem ist der Begriff der Fürstenreformation stark an verfassungsrechtliche Bedingungen und Territorialisierungsvorgänge im Alten Reich im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit gebunden und damit für gesamteuropäische Perspektiven nicht uneingeschränkt brauchbar.

Stark auf die Verhältnisse im Alten Reich rekurriert dann auch die Einleitung von Susan Richter. Sie formuliert darin zwei zentrale Thesen: Zum einen leite sich die impulsgebende und führende Rolle der Fürsten im Wandel der theologischen und kirchenpolitischen Ausrichtung eines Landes aus dem nach gängigem Zeitverständnis den Fürsten von Gott erteilten Auftrag zur Zukunftsgestaltung ab. Zusammen mit Beratern und Familienangehörigen hätten sie daher Defizite analysiert, Visionen und Korrekturvorschläge abgewogen und »somit politische Reform und geistliche Reformation« auch gegen Skepsis der Untertanen und Familienangehörigen erfolgreich durchgesetzt.

Zum anderen hätten sie hierfür eines »Change Managements« bedurft. Richter bedient sich in diesem Zusammenhang des Drei-Phasen-Modells von Kurt Lewin, der damit kulturellen und sozialen Wandel in modernen Nachkriegsgesellschaften zu beschreiben und zu fördern versuchte. Für die Veränderung bestehender kultureller und sozialer Verhältnisse bedürfe es danach eines offenbar von der Kühltechnik inspirierten Dreischrittes: Zunächst des »Auftauens« des Istzustands, der Veränderung und des Wiedereinfrierens im Sinne erneuter Verfestigung. Auf vor- und frühmoderne Herrschaft übertragen, bedeutet dies, dass der Fürst in der Fürstenreformation die Rolle eines »Change Managers« übernimmt, der diesen Dreischritt einleitet, lenkt und kontrolliert zum Abschluss bringt, wobei das Ziel des Änderungsprozesses von Beginn an klar gewesen sein müsste, zumindest, wenn man mit Susan Richter das insbesondere in der modernen Unternehmensführung genutzte Modell zum Maßstab nimmt.

So anregend und einleuchtend dieser Ansatz zur Strukturierung der Fürstenreformation auf dem ersten Blick erscheinen mag, so ganz überzeugt er dann doch nicht: Wer sich mit der Herrschafts- und Territorialgeschichte der Reformationszeit näher befasst, dem kommen jedenfalls erhebliche Zweifel, ob diese radikale Reduktion komplexer Wirklichkeit der Vielzahl von Akteuren, Interessen und Einflussfaktoren sowie der Vielschichtigkeit politischer Aushandlungsprozesse im herrschaftlichen Raum des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit wirklich gerecht werden kann. Auch ist Skepsis angebracht, ob reformatorische Zielsetzungen von Fürsten immer so klar und konstant definiert waren und die von ihnen initiierten Reformprozesse stets so bewusst und erfolgreich gelenkt wurden, wie das Modell suggerieren könnte.

Die 28 Artikel des Sammelbands, die insgesamt 31 Personen porträtieren, geben jedenfalls keineswegs einhellig Anlass zu solchen Annahmen. Die einzelnen Artikel sind als knappe, jeweils zwischen zehn und zwanzig Seiten umfassende Lebensbilder angelegt, die auch unabhängig voneinander als Kurzbiografien mit dem Fokus auf die Reformationsgeschichte und Konfessionsbildung gelesen werden können. Die meisten Beiträge behandeln eine Person, einzelne jedoch auch Paarungen, so Armin Kohnle, der Wolfgang von Anhalt und Albrecht von Mansfeld gemeinsam in den Blick nimmt, Thomas Maissen, der Jeanne d’Albret und Heinrich IV. von Navarra betrachtet, und Martin Schwarz Lausten, der sich den dänischen Königen Christian II. und Christian III. widmet.

Da der Begriff der Fürstenreformation, wie eingangs erwähnt, aus der deutschen Landes- und Verfassungsgeschichte entwickelt wurde, nimmt es nicht Wunder, dass der Band auch im Schwerpunkt Biogramme deutscher Fürsten und Fürstinnen bietet. Freilich mussten sich die Herausgeberin und der Herausgeber auf eine Auswahl beschränken, doch die wichtigsten deutschen Herrscher der Reformationszeit werden berücksichtigt. Territorial zieht sich die Reihe von Sachsen nach Brandenburg, Anhalt, Braunschweig und Lüneburg, Hessen, die Pfalz und Württemberg bis nach Baden. Von den deutschen Fürstinnen werden Elisabeth von Braunschweig-Calenberg und Elisabeth von Sachsen berücksichtigt.

Die Auswahl nichtdeutscher Fürsten und Fürstinnen erfasst Nord-, West- und Südwesteuropa, ist aber nicht in allen Fällen ganz glücklich. So hat Sven Externbrink dem Band zwar ein durchaus lesenswertes Porträt Franz I. beigesteuert, muss jedoch selbst zugeben, dass sich der französische König nur schwer in den Reigen der Reformationsfürsten einfügt – es sei denn, jeder Fürst und jede Fürstin der Reformationszeit fiele darunter, wodurch der Begriff sich gewiss in Beliebigkeit auflösen würde.

So taugt Franz I. im hiesigen Kontext wohl eher als Kontrastfigur. Auch Eduard VI. ist vielleicht nicht der beste Kandidat, um die Fürstenreformation zu beleuchten, da England in den wenigen Jahren seiner Königsherrschaft durchgehend von einem Regentschaftsrat regiert wurde. Sicher ist die Frage nach dem Verhältnis nomineller Regentschaft zu realer Herrschaftsausübung von erheblichem Gewicht, aber in einem Band über Fürstenreformation, die dem Leitbild des politische Prozesse steuernden und kontrollierenden Herrschers verbunden ist, doch nicht ganz zielführend.

Immerhin führt gerade das Beispiel Eduards VI. zu einer zentralen Frage: Wie autonom ist fürstliche Herrschaft? Regentschaftsräte, fürstliche Familienverbände, der Hof als soziales und politisches System, informelle und institutionalisierte Ratgeber, politische Koalitionen, Mittelgeber und Widersacher – die soziale Gebundenheit fürstlicher Herrschaft kommt doch recht kurz in einer Perspektive, in der Reformation als ein von einer fürstlichen Person initiierter, gelenkter und kontrollierter Vorgang gedeutet wird.

Die zu einem erheblichen Teil gut gelungenen biografischen Miniaturen des Bandes werden dadurch gewiss nicht wertlos, doch bleibt ihre erhellende Kraft für einen so komplexen Vorgang wie der Reformation selbst in größerer Anhäufung begrenzt.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Matthias Meinhardt, Rezension von/compte rendu de: Susan Richter, Armin Kohnle (Hg.), Herrschaft und Glaubenswechsel. Die Fürstenreformation im Reich und in Europa in 28 Biographien, Heidelberg (Universitätsverlag Winter) 2016, 493 S. (Heidelberger Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte, 24), ISBN 978-3-8253-6656-8, EUR 78,00., in: Francia-Recensio 2020/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73307