1619 wurde der erste königliche Galeerenseelsorger Frankreichs ernannt: Vinzenz von Paul, ein Bauernsohn aus der Gascogne, den Katholiken seit seiner Heiligsprechung 1737 als Patron karitativer Werke verehren. Die vorliegende sozial- und ideengeschichtliche Situierung dieses Priesters widmet sich einem wichtigen Desiderat der frühneuzeitlichen Sklavereiforschung: der pastoralen Betreuung. Die an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eingereichte kirchengeschichtliche Dissertation untersucht Pauls religiöse Deutung von Unfreiheit und den sich daraus ableitenden Handlungsmaximen, und leistet einen pastoralgeschichtlichen Beitrag zur Debatte um das historische Verhältnis von Sklaverei und Christentum: »Für Vinzenz von Paul standen Sklaverei und Galeerenstrafe nicht im Widerspruch zur katholischen Glaubenslehre und zum biblischen Gebot der Nächstenliebe«, wie Steinke klar herausarbeitet (S. 454).

Es wird eine gewissenhaft recherchierte, auf Auswertung einer dichten Quellengrundlage fußende und klar strukturierte Arbeit vorgelegt. Zwar basiert die klare Struktur angesichts detailreicher Kontextualisierungen mitunter auf recht repetitiven Hervorhebungen von Kernaussagen, doch die Stärke der Publikation liegt vor allem darin, dass der Autor von den verschiedenen lebensweltlichen Erfahrungen der Sklaven, Sträflinge und Seelsorger her argumentiert. Besonders aufschlussreich sind die detaillierten Beschreibungen der alltäglichen Praxis der Galeerenseelsorge. Dieser »erfahrungsgeschichtliche Zugang« (S. 39) liefert fünf ganz wesentliche Einsichten.

Erstens präsentiert der Autor ein wichtiges Korrektiv etablierter biografischer und hagiografischer Narrative, in denen Paul seit dem 17. Jahrhundert als Gründungs- und Heroenfigur der Galeerenseelsorge stilisiert wurde. Steinke zeigt, dass sich für den Zeitraum 1619 bis 1639 keine und dann bis 1643 kaum Quellenbelege für Pauls vermeintlich glühenden Einsatz für die Galeerensträflinge und -sklaven finden – und das trotz seines seit 1619 königlich verbrieften Amtes und der bereits 1625 gegründeten Kongregation der Mission.

Die pastorale Betreuung der Galeerensträflinge in den Pariser Gefängnissen und auf den französischen Galeeren in Marseille geht stattdessen vor allem auf die Compagnie du Saint-Sacrement – ein Zweig dieses Geheimbundes wurde 1639 auch in Marseille gegründet – und die 1633 gegründete Kompanie der Mädchen der Charité zurück. Die 1643 stattfindende, erste große Galeerenmission führte dann erst zur Niederlassung der Kongregation der Mission in Marseille. Während der daraus resultierenden Kompetenzstreitigkeiten wusste Paul, selbst Mitglied des königlichen Gewissensrates (1643–1652), die institutionelle Vormachtstellung der Kongregation der Mission zu etablieren: Fortan waren deren Priester für die geistliche Supervision und Kontrolle der Sträflinge und Sklaven sowie für die Missionierung konversionswilliger Protestanten und Muslime zuständig; ihr Generalsuperior hatte künftig zugleich auch das Amt des königlichen Galeerenseelsorgers inne. Erst dann trat Paul als seelsorgerisches Organisationstalent in Erscheinung, doch den aufwendig inszenierten »Türkentaufen« von 1643 folgten aufgrund chronischen Geld- und Personalmangels kaum noch nennenswerte Resultate.

Zweitens arbeitet der Autor überzeugend heraus, dass es »zwingend« sei, »die Galeerenstrafe […] als eine spezifische Form von Sklaverei zu bezeichnen« (S. 172). Trotz verschiedener Ungleichheiten innerhalb der Sträflinge (forçats) und muslimischen Sklaven (Turcs) seien diese Akteure doch innerhalb gleicher Lebenswelten zu verorten, in denen sie radikale Unfreiheit erfuhren. In der zeitgenössischen Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie seitens der Autoritäten seien Sträflinge als Sklaven verstanden und beschrieben worden, was »das quantitative Ausmaß der frühneuzeitlichen Praxis der Sklaverei in Europa um ein Vielfaches [erweitert]« (S. 452). Steinkes diesbezügliche Ausführungen spiegeln sich auch in den Ergebnissen neuerer Forschungen zur Sklaverei im frühneuzeitlichen Mittelmeerraum wider.

Drittens zeichnet Daniel Steinke die Entwicklung vizentinischer Sklavenseelsorge in Nordafrika seit der Gründung von Niederlassungen der Kongregation der Mission in Tunis und Algier von 1645 an nach. Paul stellte hier das Seelenheil versklavter Christen über deren Loskauf und Befreiung. Um das Ansehen der Kongregation der Mission aufgrund sich verbreitender Misswirtschaft und Korruption nicht zu beschädigen, eignete sich Paul bewusst stereotype Feindbilder von Christen versklavenden Muslimen an. Er tat alles daran, Zeugnisse, die seine eigene Gefangenschaft in Nordafrika (1607/1608) in einem eher positiven Licht erschienen ließen, zu vernichten, und engagierte sich in seinen letzten Lebensjahren selbst für Kriegsunternehmungen zur Befreiung versklavter Christen in Nordafrika. Paul verurteilte nicht die Versklavung von Muslimen und Christen in Frankreich, wohl aber von Christen durch Muslime, obgleich »sich der Umgang mit den christlichen Sklaven auf den algerischen und tunesischen Galeeren nicht wesentlich von der französischen Praxis unterschied« (S. 348).

Viertens arbeitet der Autor Pauls »christologisch-soteriologische Deutungsmatrix“ (S. 445) von Sklaverei heraus. »Leid hatte für Vinzenz von Paul eine heilbringende Wirkung: Durch das Leiden Jesu Christi seien die Menschen aus der Sklaverei der Sünde erlöst worden. Gott selbst bediene sich des Leids, um den Sünder zu strafen und den Tugendhaften zu prüfen« (S. 453). Entsprechend seien Versklavung und Galeerenstrafe, so Paul, als äußere Unfreiheit gottgefällig zu erdulden gewesen. Steinke argumentiert überzeugend, dass diese christologische Sinnstiftungspraxis letztlich Freiheitsentzug explizit legitimierte (S. 458).

Fünftens wird die Bedeutung von Frauen für die Institutionalisierung der Galeerenseelsorge im frühneuzeitlichen Frankreich sichtbar, was meines Erachtens nach systematischer hätte untersucht und hervorgehoben werden können. Paul war auf Vorschlag des Galeerengenerals Gondi, als dessen Hausgeistlicher er arbeitete, als königlicher Galeerenseelsorger vorgeschlagen worden. Allerdings hatte dessen Frau, Françoise-Marguerite von Silly, mit ihrem Elan für die seelsorgerische Betreuung und Missionierung der Landbevölkerung einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung von Pauls pastoraler Programmatik. Entscheidend war gleichsam die Gründung der Compagnie des Filles de la Charité 1633: »Erst durch diese jungen Frauen einfacher Herkunft, die sich nicht für die niedrigen Aufgaben zu schade waren, kam Vinzenz von Pauls Armenseelsorge in Paris richtig in Gang« (S. 101). Später wiederum stellte die Herzogin von Aiguillon wesentliche Finanzbeträge für die Gründung des Hospitals und der Niederlassung der Kongregation der Mission in Marseille bereit. Zudem institutionalisierte sich die Galeerenseelsorge während der Regentschaft Annas von Österreich.

Es wäre wünschenswert gewesen, den Aktionsradius und die Motive dieser weiblichen Akteure konsequenter in das Blickfeld der Untersuchung zu rücken. Ebenso ließe sich danach fragen, inwieweit das Engagement der Gondi, einer ursprünglich aus Florenz stammenden Bankiersfamilie, in toskanischen Praktiken der Sklaverei und Galeerenseelsorge verankert war. Insofern der vizentinischen Galeerenseelsorge eine dezidiert antiprotestantische und antimuslimische Programmatik zugrunde lag, ist auch auf künftige Studien zu hoffen, die die protestantischen und muslimischen Perspektiven stärker einbeziehen. Solche Forschungen werden aber zweifellos gewinnbringend auf Daniel Steinkes grundlegende Arbeit zurückgreifen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Stefan Hanß, Rezension von/compte rendu de: Daniel Steinke, Vinzenz von Paul (1581–1660) und die Praxis der Sklaverei im Mittelmeerraum, Hildesheim, Zürich, New York (Georg Olms) 2019, 523 S. (Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit. Untersuchungen zur Sozial-, Rechts- und Kulturgeschichte, 20), ISBN 978-3-487-15758-0, EUR 68,00., in: Francia-Recensio 2020/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73311