Charles Louis Napoléon Bonaparte, geboren am 20. April 1808, hat in seinem Leben viele Rollen gespielt: Sohn des Königs von Holland (Louis Bonaparte), Neffe des französischen Kaisers Napoléon I., bonapartistischer Thron-Prätendent, erfolgloser Putschist während der Jahre der Julimonarchie, prince-président unter der Zweiten Republik, von 1852 bis 1870 Kaiser der Franzosen nach einem dritten, nun erfolgreichen Staatsstreich, schließlich Gefangener des preußischen Königs und, bis zu seinem Tod am 9. Januar 1873, als abgesetzter Kaiser Exilant im englischen Chislehurst.

Als er geboren wurde, befand sich der »große« Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht; als er starb, regierte Adolphe Thiers als erster Präsident der Dritten Republik – ein bewegtes Leben also, in dem sich die Suche des nachrevolutionären Frankreich nach einer stabilen politischen und gesellschaftlichen Ordnung spiegelt. Klaus Deinet ist ein ausgewiesener Kenner dieser Geschichte: In seiner Habilitationsschrift über die mimetische Revolution1 hatte er sich mit dem Revolutionskult der Linken zwischen 1815 und 1850 auseinandergesetzt; nun hat er eine Biografie des »kleinen« Napoleon (Victor Hugo) vorgelegt. Primär geht es ihm darum, die »notwendige Rehabilitation« (S. 13) seines Protagonisten, die durch die neuere französische Forschung (etwa die 2004 bzw. 2008 erschienenen, voluminösen Biografien von Pierre Milza2 und Éric Anceau3) eingeleitet worden ist, auch einem deutschen Lesepublikum zu vermitteln.

Gewöhnungsbedürftig ist, dass Deinet den späteren Kaiser bis zur Thronbesteigung durchgehend als »Louis Bonaparte« tituliert. Weshalb er diesen Namen (mit dem gemeinhin sein Vater, der König von Holland, assoziiert wird) dem sehr viel gängigeren »Louis-Napoléon« vorzieht, wird leider nicht weiter erklärt. Gewiss: Marx schrieb 1852 über den »18 Brumaire des Louis Bonaparte« und während der ersten Monate der Zweiten Republik scheint dieser Name relativ gebräuchlich gewesen zu sein. Dennoch: Schon in den 1830er/1840er-Jahren hatte der spätere Kaiser seine programmatischen Schriften »L’extinction du paupérisme« und »Des idées napoléoniennes« unter dem Namen »Napoléon-Louis« herausgebracht; auf den Wahlzetteln zur Präsidentenwahl im Dezember 1848 firmierte er dann als »Louis-Napoléon Bonaparte«. Und auch in der Sekundärliteratur wird schon lange fast ausschließlich der Doppelname verwendet, sodass Deinets Wahl schwer nachzuvollziehen ist.

Etwas unverständlich ist daneben, weshalb Deinet die schon seit der Geburt kursierenden Gerüchte, Louis-Napoléon sei nicht der leibliche Sohn des Königs von Holland (und damit Neffe Kaiser Napoleons) gewesen, ausdrücklich als »definitiv falsch« bezeichnet (S. 17) – haben doch die 2013 auf Veranlassung des »Souvenir napoléonien« vorgenommenen DNA-Analysen eben diesen Gerüchten neue Nahrung gegeben, da sie zeigten, dass tatsächlich keine Blutsverwandtschaft zwischen dem späteren Napoleon III. und seinem Onkel bestand.

Unabhängig davon tut Deinet jedoch gut daran, dem mondän-aristokratischen Klatsch und Tratsch, den Gerüchten über Affären, Eifersucht und uneheliche Kinder, die die Zeitgenossen stark beschäftigten und auch in einer bestimmten Historiografie ihren Niederschlag gefunden haben, nicht allzu großen Platz einzuräumen.

Deinet konzentriert sich auf das politische Werk und er geht dabei strikt chronologisch vor: Ein erstes, ausführliches Kapitel ist den »Lehrjahren« des Thronprätendenten gewidmet und führt bis zur siegreichen Präsidentschaftswahl vom Dezember 1848. Anschließend analysiert der Autor in acht Kapiteln, die jeweils drei bis vier Regierungsjahre umfassen, das Werk des Präsidenten und späteren Kaisers, wobei der Schwerpunkt je nach politischer Konjunktur mal eher auf der Innen-, mal eher auf der Außenpolitik liegt (wobei es vermutlich dem deutschen Publikum geschuldet ist, dass die internationalen Krisen der 1850er- und 1860er-Jahre den größten Raum einnehmen).

Bewundernswert gelingt es ihm dabei, auf knappem Raum die politischen Probleme, mit denen Napoleon konfrontiert war, zu skizzieren – die Biografie des Kaisers lässt sich daher durchaus auch, wie der Untertitel verspricht, als eine (politische) Geschichte Frankreichs der Jahre 1848 bis 1870 lesen. Kompetent zeigt der Autor einerseits, wie sich Napoleon bemühte, eine stabile Basis für seine Regierung zu finden und seine durchaus originellen verfassungs- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen umzusetzen, die er in den 1830er- und 1840er-Jahren ausgearbeitet hatte. Ebenso kompetent führt der Autor andererseits durch die außenpolitischen Krisen und Kriege der 1850er- und 1860er-Jahre, in deren Zuge sich Frankreich erneut als führende militärische Macht Kontinentaleuropas und als »global player« im Konzert der Mächte etablieren konnte.

Allerdings liegen auch die Kosten eines solchen Vorgehens auf der Hand. Die Darstellung bleibt eng an der Ereignisgeschichte orientiert; sie ist dadurch oft ausgesprochen kleinteilig, Zusammenhänge werden auseinandergerissen und Themen, die jenseits der Ereignisgeschichte liegen, kommen notwendigerweise zu kurz. Unbeantwortet bleibt etwa die viel diskutierte Frage, wie denn der neue Bonapartismus im französischen Parteienspektrum politisch zu verorten ist: War Napoleon III. ein Linker, ein Rechter … oder ist es ihm gelungen, den in der Revolution aufgebrochenen Graben zwischen den »deux France« zu überbrücken?

Diese Leerstelle ist umso bedauerlicher, als die Schwierigkeit, eine Synthese zwischen dem eher konservativ-klerikal-autoritären und dem eher liberalen Flügel der »Bonapartisten« herzustellen, doch von Anfang bis Ende zu den besonderen Herausforderungen seiner Herrschaft zählte, ganz unabhängig von den kurzfristigen politischen Konjunkturen. Ein zweites Beispiel: Dass die Karriere Louis-Napoléons ganz wesentlich auf dem Prestige seines Onkels beruhte, dessen Werk fortzuführen er versprach, daran lässt auch Deinet keinen Zweifel. Wie er aber als Prätendent, als Präsidentschaftskandidat, als Präsident und schließlich als Kaiser den Napoleon-Mythos förderte und als Legitimitätsressource nutzte (dies haben etwa Sudhir Hazareesingh4, Annie Jourdan5 und Rémi Dalisson6 in ihren Arbeiten gezeigt), wird von Deinet nicht thematisiert.

Doch wie bewertet nun der Autor das Wirken seines Protagonisten? Louis-Napoléon erscheint in Deinets Darstellung weder (wie in der republikanischen Tradition seit Victor Hugo) als skrupelloser Usurpator noch (wie aus deutscher Perspektive lange Zeit üblich) als expansionslüsterner Kriegstreiber. So betont der Autor mehrfach die Gewissensbisse, die ihm der Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 und die folgende Repression der republikanischen Opposition bereiteten (S. 112, 117). Und er warnt davor, die Behauptung des Kaisers, es gehe ihm um den Frieden, nicht um den Krieg (»L’Empire, c’est la paix«), als reines »Lippenbekenntnis« abzutun; nicht auf Krieg, sondern auf europäische Kongresse habe Napoleon III. zur Bewältigung der europäischen Krisen gesetzt (S. 286f.).

Tatsächlich gelingt es Deinet sehr gut, die Ambivalenz und auch die Widersprüchlichkeit in Charakter und Werk des dritten Napoleon herauszuarbeiten. Dabei wird deutlich, dass der Präsident und spätere Kaiser in vielen Situationen weniger ein mutiger, zupackender Visionär war, der konsequent ein bestimmtes Ziel verfolgte, sondern eher ein Zauderer, der zwischen verschiedenen, widersprüchlichen Überzeugungen hin und hergerissen war – gerade in der Außenpolitik, in der ihm einerseits das »Nationalitätenprinzip« ein ernsthaftes Anliegen war, sein Handeln andererseits aber auch stets an der Verwirklichung »nationaler Größe« orientiert blieb.

Fazit: Klaus Deinet hat der Versuchung widerstanden, der »schwarzen Legende« ein rosarot gefärbtes Heldenporträt entgegenzusetzen. Eine »Rehabilitierung« Napoleons III. ist diese Biografie nicht; stattdessen zeichnet sie ein bemerkenswert nuanciertes Bild des letzten französischen Monarchen – sehr zu ihrem Vorteil.

2 Pierre Milza, Napoléon III, Paris 2004.
3 Éric Anceau, Napoléon III. Un Saint-Simon à cheval, Paris 2008.
4 Sudhir Hazareesingh, The Legend of Napoleon, London 2005; ders., The Saint-Napoleon. Celebrations of Sovereignty in Ninetheenth-Century France, Cambridge 2004.
5 Annie Jourdan, Mythes et légendes de Napoléon. Un destin d’exception entre rêve et réalité, Toulouse 2004.
6 Rémi Dalisson, Les Trois couleurs, Marianne et l’Empereur. Fêtes libérales et politiques symboliques en France 1815–1870, Paris 2004.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Daniel Mollenhauer, Rezension von/compte rendu de: Klaus Deinet, Napoleon III. Frankreichs Weg in die Moderne, Stuttgart (Kohlhammer) 2019, 314 S., ISBN 978-3-17-031852-6, EUR 32,00., in: Francia-Recensio 2020/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73344