Spätestens seit Papst Franziskus ankündigte, die Bestände aus dem Pontifikat seines Vorgängers Pius XII. (1939–1958) am 2. März 2020 vollständig für die Forschung zu öffnen, ist das Interesse am Papst des Zweiten Weltkriegs immens. In der hier zu besprechenden, von Fabrice Bouthillon (Brest) und Emma Fattorini (Rom) betreuten Dissertation Marie Levants aus dem Jahr 2012 steht allerdings nicht der Pontifikat Pius’ XII. im Fokus, sondern das Wirken des »jungen« Eugenio Pacelli in der Weimarer Republik von 1919 bis 1934. In dieser Zeit war der spätere Papst als Nuntius in München (1917–1925) und Berlin (1920–1929) sowie als Kardinalstaatssekretär (1930–1939) in Rom tätig.

In ihrer knappen Einleitung stellt Levant ihre Hauptthese vor: Der Heilige Stuhl und sein maßgeblicher Protagonist Pacelli versuchten, das Deutschland der Weimarer Republik zu rekatholisieren mit dem Ziel, den Führungsanspruch des römischen Papsttums über die moderne deutsche Gesellschaft wiederherzustellen.

Levant gliedert ihr Buch in drei Kapitel, deren Struktur sich zum einen an politischen Zäsuren und zum anderen am Werdegang Pacellis orientiert: Kapitel 1 reicht vom Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung bis zum Abschluss des Bayernkonkordats (1919–1925), Kapitel 2 von Pacellis Umzug nach Berlin bis zum Abschluss des Preußenkonkordats (1925–1929) und Kapitel 3 von seiner Ernennung zum Kardinalstaatssekretär über den Abschluss des Reichskonkordats bis zur Konsolidierung des NS-Regimes (1930–1934). Da Pacelli lediglich von 1925 bis 1929 in Berlin residierte, vorher in München und nachher in Rom, weckt der Titel »Pacelli à Berlin« Erwartungen, die das Buch nicht einhalten kann. Eigentlich hätte er »Pacelli et Berlin« lauten müssen.

Der Heilige Stuhl scheiterte bekanntlich mit dem Versuch, mit der jungen und politisch isolierten Weimarer Republik ein Reichskonkordat abzuschließen. Überzeugend interpretiert Levant den Abschluss des für die Römische Kurie äußerst vorteilhaften Konkordats mit dem katholischen Bayern als Beweis für Pacellis Integralismus. Denn er lehnte ein weniger weitreichendes Rahmenkonkordat mit dem protestantisch dominierten Reich ab, für das Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri eintrat. Als Integralist ist Pacelli der kurialen Strömung der zelanti, der römischen Hardliner, zuzurechnen. Dennoch trat er konsequent für den Abschluss von Konkordaten ein, die er als das zentrale Instrument ansah, um die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen, in welchen die Rekatholisierung gelingen sollte. Damit ist er wiederum zu den politicanti zu zählen, die auf politische Lösungen mit den modernen Staaten setzten.

Nach dem Abschluss des Konkordats mit dem protestantischen Preußen konnte Pacelli Ende 1929 endlich Berlin verlassen, wo er sich im Gegensatz zu München nie wohl gefühlt hatte, und in seine römische Heimat zurückkehren. Als Kardinalstaatssekretär blieb er weiterhin für die deutschen Angelegenheiten zuständig. So war es auch Pacelli, der unter geänderten politischen Vorzeichen 1933 das Reichskonkordat mit Hitler-Deutschland aushandelte.

Eine der spannendsten Fragen des Buches ist die nach dem Menschen Eugenio Pacelli. Levant kann aus der offiziellen Korrespondenz ein präzises Bild zeichnen: Seine Politik war »intransigeante, romanisante et reconquérante, mais parfois aussi hésitante« (S. 351). Er war ein Karrierist und versierter Diplomat, der die Forderungen des Heiligen Stuhls gekonnt durchzusetzen vermochte, so Levant. Neben der offiziellen Korrespondenz kennt die Verfasserin auch Teile der halbamtlichen und halbprivaten Korrespondenz Pacellis mit seinem Vertrauten an der Römischen Kurie, dem Substituten im Staatsekretariat Giuseppe Pizzardo.

In diesen Quellen zeigt sich ein verunsicherter und amtsmüder Pacelli, der seine finanzielle Situation dramatisiert, der sich von seinen Vorgesetzten zurückgesetzt fühlt und der sich in eine entlegene italienische Diözese mit einer guten Bibliothek zurückziehen möchte. Auch wenn Levant es nicht expressis verbis sagt, so positioniert sie sich in ihrer prominent am Ende des Buches platzierten provokativen Einschätzung Pacellis deutlich gegen dessen mögliche Heiligsprechung, die seit Jahren kontrovers diskutiert wird: »Ces hésitations constantes, cette incapacité à se réaliser pleinement, et, au total, dans la résignation terminale à ce que la carrière remplace la vie, cette soumission à l’autorité: autant de caractéristique d’un individu banal, d’un homme ordinaire« (S. 353).

Während die profunde Kenntnis der vatikanischen Quellen die Stärke der Arbeit ist, ist der Umgang mit der deutschsprachigen Forschung ihre Schwäche. Hier zeigt sich unter anderem das Problem, dass es keine Publikationspflicht für französische Dissertationen gibt und dass seit dem Abschluss von Levants Arbeit 2012 bis zur Veröffentlichung des Buches sieben Jahre vergangen sind. Zum einen zitiert sie die herangezogenen Dokumente konsequent nach ihrem Fundort in den vatikanischen Archiven, selbst wenn diese mittlerweile in Edition vorliegen1. Zum anderen nimmt sie vor allem die aktuelle deutschsprachige Forschungsliteratur nur selektiv wahr.

So taucht die Arbeit von Klaus Unterburger über die Apostolische Konstitution »Deus scientiarum dominus« zur Reform der Klerusausbildung aus dem Jahr 1931 lediglich im Literaturverzeichnis auf, obwohl Unterburger maßgebliche Ergebnisse Levants bereits vorwegnahm: Da Pacelli Mängel sowohl bei der theologischen Ausbildung an theologischen Fakultäten staatlicher Universitäten als auch bei der Papsttreue der deutschen Theologen und Bischöfe diagnostizierte, wollte er deren Ausbildung reformieren. Um dies durchsetzen zu können, musste er die selbstbewussten Bischöfe durch romtreue ersetzen, wozu es neuer konkordatärer Regelungen bedurfte. Die neuen Bischöfe sollten dann die theologische Ausbildung reformieren, wodurch die neuscholastische und romzentrierte Ausbildung der Theologen, des Klerus und der zukünftigen Bischöfe gesichert werden sollte.

Als Franziskus die Öffnung der Bestände Pius’ XII. ankündigte, zeigte er sich davon überzeugt, dass die Kirche die Geschichte nicht fürchten müsse. Vielmehr forderte er, dass eine »seriöse und objektive historische Forschung« ein präzises Bild des Papstes zeichnen solle2. Levants Buch ist zweifelsfrei ein wichtiger Bestandteil einer solchen seriösen Forschung, die für eine einseitige Papsthagiographie genauso wenig Raum lässt wie für einseitige Papstkritik.

1 Akten deutscher Bischöfe zur Lage der Kirche 1933–1945, Bd. 1: 1933–1934, bearb. von Bernhard Stasiewski, Mainz 1968 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, 5); Akten deutscher Bischöfe zur Lage der Kirche 1918–1933, 2 Bde., bearb. von Heinz Hürten, Paderborn 2007 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, 51); Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917–1929), URL: http://www.pacelli-edition.de/index.html (letzter Zugriff am 20.5.2020); Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Cesare Orsenigos (1930–1939), URL: http://194.242.233.156/denqOrsenigo/index.php (letzter Zugriff am 20.5.2020).
2 »Keine Angst vor der Geschichte«. Vatikan öffnet Geheimarchiv zu Weltkriegs-Papst Pius XII., URL: https://www.spiegel.de/panorama/vatikan-oeffnet-geheimarchiv-zu-weltkriegs-papst-pius-xii-a-1256157.html (letzter Zugriff am 5.12.2019).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sascha Hinkel, Rezension von/compte rendu de: Marie Levant, Pacelli à Berlin. Le Vatican et l’Allemagne, de Weimar à Hitler (1919–1934). Préface de Fabrice Bouthillon, Rennes (Presses universitaires de Rennes) 2019, 399 p. (Histoire), ISBN 978-2-7535-77923, EUR 30,00., in: Francia-Recensio 2020/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73352