Selten wurde in jüngerer Zeit ein Werk der Zeitgeschichte so kontrovers diskutiert wie die Hitler-Biografie des renommierten irischen Historikers Brendan Simms. Während Christopher Clark, wie Simms in Cambridge lehrend, das Werk »compelling and original« nannte1, konnte Richard Evans (ebenfalls Cambridge) nur wenig Nützliches darin erkennen: »Simms hasn’t written a biography in any meaningful sense of the word, he’s written a tract that instrumentalises the past for present-day political purposes. As such, his book can be safely ignored by serious students of the Nazi era«2.

Ein solches Urteil überrascht umso mehr, als Simms bisher mit einer Reihe fundierter, allgemein anerkannter, Arbeiten zur britischen und europäischen Geschichte hervorgetreten ist3. Was also hat die Leserin bzw. der Leser von diesem Werk zu erwarten, dem neuesten in einer langen Reihe von Hitler-Biografien in den letzten Jahren4?

Gleich zu Beginn seines Werks nennt Simms die drei zentralen Argumentationsstränge des Buchs: Zunächst, und wohl am wichtigsten, die These, dass Hitler mehr Antikapitalist als Antibolschewist gewesen sei: »Hitler’s principal preoccupation throughout his career was Anglo-America and global capitalism, rather than the Soviet Union and Bolshevism« (S. XVIII). Soweit sei die Obsession mit Anglo-Amerika gegangen – so die zweite These –, dass Hitler die Deutschen »even when purged of Jews and other ›undesirables‹« für nicht ebenbürtig (Simms spricht von einem »sense of inferiority«) gegenüber ihren Konkurrenten aus Übersee gehalten habe.

Folglich habe Hitler – dritte These – denn auch bewusst zu den, von Simms so genannten, »positive eugenics«, gegriffen, welche, anders als die »negative eugenics«, nicht die Vernichtung unerwünschter, sondern die Auslese bevorzugter Bevölkerungsgruppen zum Ziel hatten.

Folgt man Simms Argumentation, dann stellt sich damit der Kampf gegen die angelsächsischen Demokratien, neben der Auseinandersetzung mit dem jüdischen Volk, als zweite – entscheidende – Säule von Hitlers Ideologie dar.

Zur Untermauerung seiner Thesen wählt Simms nun einen durchaus konventionellen Aufbau. Im ersten Teil, der die Zeit bis 1923 umfasst, beschreibt der Autor Hitlers formative Jahre im Krieg und die unmittelbare Nachkriegszeit in München. Besondere Bedeutung misst Simms dabei der Begegnung mit englischen und amerikanischen Soldaten bei, die er geradezu als den Ausgangpunkt von Hitlers Weltanschauung begreift: »Hitler became an enemy of the British – and also of the Americans – before he became an enemy of the Jews. Indeed, he became an enemy of the Jews largely because of his hostility to the Anglo-American capitalist powers« (S. 22).

Teil II beschreibt die Formierung der NSDAP in Bayern und die Ausarbeitung von »Mein Kampf« nach dem gescheiterten Putsch, wobei Simms erneut, im Kapitel »Anglo-American Power and German Impotence«, das Primat des Antikapitalismus hervorhebt. Obgleich dieser These auch weiterhin folgend, tritt mit den folgenden Kapiteln die politische Ereignisgeschichte stärker in den Vordergrund. Gestützt auf einschlägige Literatur und maßgebliche Quellen, beschreibt Simms in Teil III und IV routiniert Aufstieg und Machtergreifung der Hitlerbewegung sowie die daran anschließende Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft.

Mit Teil V tritt dann die Außenpolitik stärker ins Blickfeld, wobei Simms jedoch bei Hitler keinen originären »Griff nach der Weltherrschaft« (Lars Lüdicke) vermutet, sondern die aufeinanderfolgenden Eroberungen lediglich als Reaktion auf die, ihn ständig vorwärtstreibende, Logik des Kriegs sowie eine (imaginierte) anglo-amerikanische Bedrohung sieht. Der letzte Teil, »Annihilation«, beschreibt den Überfall auf die Sowjetunion sowie die Initialisierung des Holocausts. Nach Simms habe Hitler beide Unternehmungen »as pre-emptive acts of self-defence forced upon him by a circling coalition« (S. 395) verstanden, welche jedoch letztendlich im, abschließend beschriebenen, Untergang enden mussten.

Was ist nun zu diesem, dem Umfang und der verarbeiteten Literatur nach imposanten Werk zu halten? Kann Simms den selbst gestellten Anspruch einlösen, demzufolge nun »Hitler’s biography, and perhaps the history of the Third Reich more generally, need to be fundamentally rethought« (S. XIX).

Zunächst stellt die Kennzeichnung des Werkes als Biografie (»Global Biography« im amerikanischen Titel) den Rezensenten vor gewisse Herausforderungen. Schon in einem zur Veröffentlichung erschienenen BBC-Interview hatte Simms gestanden, er glaube nicht, dass »there’s anything in Hitler the man that tells you anything that’s particularly useful about Hitler the politician. […] While a biographer might be able to get a bit of a sense of Hitler’s personality, that’s not my primary preoccupation«5. Entsprechend finden sich in Simms Werk nahezu keinerlei Hinweise auf private Strukturen oder persönliche Verhältnisse; den für Hitler so formativen Jahren vor und während des Ersten Weltkriegs werden nur zwei knappe Kapitel von jeweils sechs bzw. neun Seiten gewidmet.

Was immer jedoch über das viel diskutierte Genre der Biografie gesagt werden kann, so erfordert es doch eine durchaus umfassende Darstellung von Leben und Persönlichkeit des Protagonisten. Will man daher nicht auf die Hilfskonstruktion einer »politischen Biografie« ausweichen, so dürfen Leserinnen und Leser in der Tat einen Einblick in persönliche, sogar private Lebensverhältnisse erwarten. Dies umso mehr, als jüngere Untersuchungen, zu nennen ist hier etwa Heike Görtemakers Werk über »Hitlers Hofstaat«6, gezeigt haben, in welchem Ausmaß das Private im Dritten Reich immer auch politisch war.

Was nun die Hauptthese des Buchs, den Primat von Antikapitalismus vor Antisemitismus, angeht, so ist es Simms zweifellos in verdienstvoller Weise gelungen, Hitlers lebenslange Fixierung auf den (vermeintlichen) anglo-amerikanischen Gegner, die sich geradezu wie ein roter Faden durch die Biografie des Diktators zieht, deutlich herauszuarbeiten.

In welchem Maße diese jedoch »his entire political career« strukturierte, und ob gar, wie Simms behauptet, der Holocaust in erster Linie als »pre-emptive strike against Roosevelt’s America« (S. 533) verstanden werden muss, kann wohl zurecht bezweifelt werden. Gewiss, Hitler hatte oft genug über dergleichen Dinge gesprochen, doch bleibt fraglich ob es sich hierbei tatsächlich um eine zentrale, dem Antisemitismus an Bedeutung gleichkommende Überzeugung handelt oder nicht vielmehr um bloße Ausflüsse seines (den Zuhörern sattsam bekannten) Mitteilungsbedürfnisses, welches es ihm gelegentlich mühelos erlaubte in einem Atemzug über die deutsche Auswanderung nach Amerika und die Kultivierung der Sojabohne im Schwarzmeergebiet zu dozieren7.

Letztendlich zeigt schon die, von Simms mehrfach betonte, Widersprüchlichkeit in Hitlers Amerikabild – stets schwankend zwischen Bewunderung angeblicher rassischer Überlegenheit und Verachtung »jüdischer Dekadenz« – den offensichtlich situativen, immer auf die konkrete Gelegenheit und das jeweilige Publikum berechneten Charakter dieser vermeintlichen Amerika-Expertise, die ohnehin, man muss es noch einmal betonen, nie über alberne Wild-West-Plattitüden und angeschmökerte Karl-May-Klischees hinausging.

So lässt sich abschließend sagen, dass Brendan Simms eine handwerklich fundierte, auf neueste Literatur gestützte Beschreibung der Hitlerschen Gedankenwelt vorlegt, die jedoch, in ihrer Fokussierung auf Antikapitalismus und Angelsachsen, insgesamt etwas zu einseitig gerät. Vielleicht hat uns »Hitler the man« doch noch etwas mehr zu sagen.

1 Christopher Clark, Still messing with our heads, in: London Review of Books 41 (2019), Nr. 21 (7.11.2019).
3 Vgl. Brendan Simms, Europe. The Struggle for Supremacy, 1453 to the Present, London 2013; ders., Britain’s Europe. A Thousand Years of Conflict and Cooperation, London 2016.
4 Volker Ullrich, Adolf Hitler. Biographie. Band I: Die Jahre des Aufstiegs 1889–1939, Frankfurt a. M. 2013; ders. Band II: Die Jahre des Untergangs 1939–1945, Frankfurt a. M. 2018; Peter Longerich, Hitler. Biographie, München 2015; Wolfram Pyta, Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse, München 2015; Thomas Sandkühler, Adolf H. Lebensweg eines Diktators, Berlin 2015; Hans-Ulrich Thamer, Adolf Hitler. Biographie eines Diktators, München 2018; Johann Chapoutot, Christian Ingrao, Hitler, Paris 2018.
7 So geschehen am 25. September 1941, in: Werner Jochmann (Hg.), Monologe im Führerhauptquartier 1941–1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, Hamburg 1980, S. 70.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Till Knobloch, Rezension von/compte rendu de: Brendan Simms, Hitler. Only the World Was Enough, London (Allen Lane) 2019, XXVI–668 p., ISBN 978-1-846-14247-5, GBP 30,00., in: Francia-Recensio 2020/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73361