»Hüter der Begriffe«: Diese Selbstzuschreibung des Freiburger Politikwissenschaftlers Wilhelm Hennis wählt Martina Steber als Aufhänger ihrer Analyse zur Sprach- und Ideengeschichte des Konservatismus in Großbritannien und der Bundesrepublik vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1980. Klassische Typologien des Konservatismus und mit ihnen auch die bisherige historische Forschung gehen meist von einer inhaltlichen Bestimmung vermeintlich konkreter und konstanter Elemente konservativen Denkens und Handelns aus1. Steber hingegen stellt essentialistische Definitionen in Frage und macht stattdessen das Sprechen über Konservatismus selbst zum Gegenstand ihrer Untersuchung.

Die Arbeit stützt sich auf einen Ansatz des britischen Politologen Michael Freeden, der Konservatismus primär als eine »sprachliche Struktur« und ein »Netz von Begriffen« versteht (S. 8). Demnach geht Steber davon aus, »dass vier morphologische Strukturprinzipien die politischen Sprachen des Konservativen entscheidend prägten«: das auf ein Gleichgewicht von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zielende »Strukturprinzip der Zeitlichkeit«, das »Strukturprinzip des Ausgleichs und der Synthese«, das »Strukturprinzip der Repetition und Aktualisierung« sowie das »Strukturprinzip der Gegensatzbildung« (S. 9f.).

Anders als der Titel des Buches vermuten lässt, nimmt Großbritannien in der Darstellung einen deutlich geringeren Raum ein als die Bundesrepublik. Diese Asymmetrie begründet Steber damit, dass der Konservatismus-Begriff »im politischen Vokabular Großbritanniens fest etabliert« (S. 423) gewesen sei. Die zu Beginn des Hauptteils konzise dargelegten innerbritischen Debatten von Anthony Eden über Harold Macmillan und Edward Heath bis hin zu Margaret Thatcher drehten sich daher fast nie um den Gebrauch des Begriffs als solchen, sondern jeweils um die »Aktualisierung historischer Begriffsbestände« und die Suche nach dem »wahren« Konservativen (S. 424). Grundsätzlich war Konservatismus hier immer eine akzeptierte Komponente des liberalen politischen Systems.

In der Bundesrepublik hingegen waren die Debatten über den Konservatismus grundsätzlicher, breiter und verzweigter, weshalb Steber dafür auch etwa dreimal so viel Platz verwendet wie für Großbritannien. Denn hier fehlte es jenseits der – zunehmend marginalisierten – Deutschen Partei (DP) in den ersten zwei Jahrzehnten überhaupt an einer aussichtsreichen politischen Strömung, die sich selbst mit dem Prädikat »konservativ« identifizieren wollte. Gerade vielen Vertretern der CDU/CSU erschien der Konservatismus-Begriff durch die Weimarer Zeit und den Nationalsozialismus kompromittiert. Sie sahen sich stattdessen lieber als Vertreter einer christlichen »Weltanschauungspartei« der »Mitte«, die sich gleichermaßen gegenüber dem Liberalismus und dem Sozialismus abgrenzte und behauptete.

Erst im Kontext von »1968« kam es in den Unionsparteien zu einer offensiveren Aneignung konservativer Semantik, wobei die bayerische CSU unter Strauß eine Vorreiterrolle übernahm. Allerdings mussten sich diese, oft auch von vormals sozialdemokratischen bzw. liberalen »Überläufern« angestoßenen Bemühungen sowohl gegen die »linke« Unterstellung einer antidemokratischen und reaktionären Gesinnung als auch gegen die Vereinnahmungsversuche »neurechter« Kreise zur Wehr setzen. Stebers quellennahe Rekonstruktion des antiliberalen radikalkonservativen Spektrums der 1970er Jahre um Protagonisten wie Armin Mohler und Gerd-Klaus Kaltenbrunner sowie Zeitschriften wie das »Deutschland-Magazin«, »Scheidewege«, »Criticón«, »Konservativ heute« und »Zeitbühne« ist eine der stärksten Passagen des ganzen Buchs (S. 272–308).

Das abschließende Kapitel widmet sich den transnationalen Parteienkontakten zwischen den deutschen Unionsparteien und den britischen Konservativen. Der zeitliche Schwerpunkt liegt dabei auf den 1970er-Jahren, die als eine Hochphase einer von der »Suche nach einer gemeinsamen politischen Sprache« (S. 367) gezeichneten parteipolitischen Annäherung in Europa beschrieben werden. Auch auf trans- bzw. internationaler Ebene erwies sich der Konservatismus-Begriff selbst eher als hinderlich für eine konkrete parteipolitische Zusammenarbeit. Stattdessen definierten britische Konservative und CDU/CSU ihre Gemeinsamkeiten in den 1970er-Jahren vor allem über den Freiheits-Begriff und die Abgrenzung gegenüber einem angeblichen sozialistischen Gegenpol.

Martina Steber hat eine anregende Studie vorgelegt, die vor allem unser Wissen über die bundesdeutschen Konservatismus-Debatten beträchtlich erweitert und durch ihren konsequenten sprachgeschichtlichen Ansatz neue Wege für eine theoretisch fundierte Kultur- und Ideengeschichte des Politischen aufzeigt. Die Studie basiert auf einer soliden empirischen Grundlage, wenngleich der spärliche Einsatz von Archivquellen erklärungsbedürftig gewesen wäre2. Das umfangreiche Literaturverzeichnis verdeutlicht, welche immense Syntheseleistung hinter diesem Buch steckt.

Kritisieren ließe sich, dass Stebers Fokus auf Sprache, Begriffe und Semantiken die konkrete politische Praxis der untersuchten Akteure und Parteien ausblendet. Welche politischen Verhaltensmuster sie an den Tag legten, für welche Themen und Maßnahmen sie tatsächlich eintraten, wie sich die Begriffe zu den Praktiken verhielten – darauf gibt das Buch nur wenig Antworten. Ansatzpunkte dafür hätte z. B. die in den 1960er-Jahren in der CDU/CSU ausgetragene Atlantiker-Gaullisten-Kontroverse geboten, die Steber jedoch erstaunlicherweise nur am Rande erwähnt3.

Bedauern könnte man außerdem, dass die Analyse nicht über die 1970er-Jahre hinaus fortgeführt wurde. Denn gerade die 1980er- und 1990er-Jahre erscheinen aus der heutigen Perspektive als eine entscheidende Scharnierzeit im Wandel konservativen Denkens und Handelns, die sich mit Stebers sprachgeschichtlichem Zugang sicher deutlich besser verstehen ließe. Sinnvoll erscheint auch eine Ausweitung des Blicks über Deutschland und Großbritannien hinaus auf die Sprachen und Kulturen des Konservatismus in anderen westeuropäischen Ländern wie Frankreich, Italien, Österreich oder Spanien4.

Diese Hinweise sollten jedoch nicht als Vorwurf an die Autorin, sondern als weiterführende Anregungen für künftige Arbeiten verstanden werden. Denn Martina Steber hat mit ihrer Untersuchung einen ebenso feinsinnigen wie gewichtigen Forschungsbeitrag vorgelegt, der neue methodische Impulse setzt und viel Licht in das Sprachdickicht um den Konservatismus-Begriff in der Bundesrepublik und Großbritannien bringt.

1 Vgl. für Deutschland z. B. Axel Schildt, Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1998; Frank Bösch, Das konservative Milieu. Vereinskultur und lokale Sammlungspolitik in ost- und westdeutschen Regionen (1900–1960), Göttingen 2002.
2 So mag es verwundern, dass z. B. auf eine Auswertung der umfangreichen Privatnachlässe von Enoch Powell und Hans-Joachim von Merkatz verzichtet wurde, die von Steber zu Recht als Schlüsselfiguren der Konservatismus-Debatten in Großbritannien bzw. der Bundesrepublik angesehen werden.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Johannes Großmann, Rezension von/compte rendu de: Martina Steber, Die Hüter der Begriffe. Politische Sprachen des Konservativen in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland, 1945–1980, München (De Gruyter Oldenbourg) 2017, XII–522 S. (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London/Publications of the German Historical Institute London, 78), ISBN 978-3-11-046361-3, EUR 64,95., in: Francia-Recensio 2020/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.2.73363