Das böhmische Adelsgeschlecht der Clary-Aldringen ist mehrfach mit der Geschichte Frankreichs verbunden. Neben dem aus Lothringen stammenden Johann Aldringen wird insbesondere der lebensfrohe und künstlerisch tätige Karl Joseph (genannt Lolo) Clary-Aldringen (1777–1831) durch sein Reisetagebuch über Napoleons Frankreich berühmt. Das Tagebuch wurde 1914, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, erstmals veröffentlicht1. Lolo ist übrigens auch den Casanova-Forscherinnen und -Forschern gut bekannt, weil er in seinen Aufzeichnungen das Leben des venezianischen Abenteurers in Dux und Teplitz beschrieb. Tschechische Historikerinnen und Historiker haben bereits gezeigt, dass Lolos literarisches Oeuvre viel breitgefächerter war als früher angenommen2. In seiner Dissertation unternimmt Matthieu Magne nun den Versuch, auch die Geschichte der Familie insgesamt von 1748 bis 1848 zu erfassen.

Obwohl die Einleitung eine kurze Erklärung zur frühen Geschichte der Familie gibt, richtet sich der Fokus des in drei Teile gegliederten Bandes im Wesentlichen auf die vier Generationen von Fürst Franz Carl († 1751), über Franz Wenzel († 1788) und Johann Nepomuk († 1826) bis zu Karl Joseph. Auch Edmund Clary-Aldringen (1813–1894) wird den letzten Abschnitten noch behandelt.

In der Darstellung bleibt die kulturelle Leistung der Gesamtfamilie etwas im Hintergrund. Der Verfasser bemüht sich vor allem darum, die Geschichte der Familie auf der Grundlage ihrer wirtschaftlichen Basis aufzuarbeiten. Diese Darstellung gründet auf umfangreichen Archivforschungen, die auch die Finanzen und das Rechnungswesen der Clary-Aldringen rekonstruieren. Matthieu Magne betrachtet allerdings auch kulturelles und symbolisches Kapital als Bestandteile des Familienvermächtnisses, welche im Bourdieuschen Sinne als grundlegend für den sozialen Status der Aristokratie wahrgenommen werden. Aus diesem Grunde wird im ersten Abschnitt auch die Integration der Familie in die höfische Gesellschaft und die Bedeutung der von ihr besetzten Landes- und Hofämter sowie der Familienallianzen erläutert. Franz Wenzel bekleidete z. B. das wichtige Amt des Obersthofjägermeisters unter Maria Theresia.

Die adlige Erziehung, wird im zweiten Abschnitt nach einer einheitlichen Systematik diskutiert, d. h. jede ihrer Phasen wird für alle vier Generationen rekonstruiert. Die bahnbrechende Bedeutung von Franz Wenzels Studien an der protestantischen Universität Leiden im Jahre 1727 wird deshalb erst im Abschnitt über die Kavalierstour erwähnt (S. 105), welcher erst nach sieben vorangehenden Unterkapiteln kommt. Langfristige Entwicklungen sind aufgrund der gewählten Darstellungsweise daher schwer zu fassen. Davon abgesehen werden der niederländische Aufenthalt des Johann Nepomuk und auch die Hauserziehung des Lolo Clary-Aldringen sehr gut abgehandelt.

Im zweiten Teil des Buches wird die adlige Mobilität thematisiert, wobei auch auf deren materielle Aspekte, z. B. den Pferdebesitz u. a., eingegangen wird. Unter diesem Thema werden auch die Besuche der Fürsten in Bad Teplitz diskutiert. Die Tafel zur Frequenz der Besuche am Ende des Bandes (S. 438) legt überzeugend dar, dass zur Zeit der Napoleonischen Kriege die Anziehungskraft von Teplitz sogar die von Karlsbad überstieg. Und auch im Vormärz konkurrierte Teplitz wieder mit Karlsbad als dem berühmtesten Bad dieser Region. Der Verfasser unternimmt auch den Versuch, die Lage der böhmischen Untertanen zur Zeit der Clary-Aldringen zu erklären (S. 204–205). Unter dem Einfluss der Arbeiten von Pavla Slavíčková werden ferner die historischen Techniken der Buchhaltung berücksichtigt.

Im dritten Teil des Werks wird der Beitrag Lolos von Clary-Aldringen zum kulturellen Leben zur Zeit der Napoleonischen Kriege und im Vormärz dargestellt. Da der Fokus nun auf einer Person liegt, wird hier auch die auf einer Systematik sich wiederholender Thematiken beruhende Darstellungsweise der früheren Kapitel beendet. Der Verfasser stellt das französischsprachige Theater in Wien und in adligen Domänen des Habsburgerreiches dar und wendet sich dann nochmals den Kavalierstouren zu (S. 304–306), um in diesem Zusammenhang die berühmten Reisen Lolos in Napoleons Europa zu thematisieren. Da Lolos Tagebücher noch nicht vollständig herausgegeben sind, ist diese auf den Originalquellen basierende Darstellung von großer Bedeutung (S. 307–333)3.

Im letzten Abschnitt (S. 361–408) wird Lolos schriftstellerische Tätigkeit untersucht. Der Verfasser hebt sein Verhältnis zu dem berühmten Fürsten de Ligne, seinem Großvater, hervor. Fürst de Ligne verbrachte nämlich die letzten Jahre seines Lebens im Exil in Teplitz. Lolos eigene Werke werden hier als eine stufenweise Entwicklung von persönlichen Aufzeichnungen hin zu Poesie und kunstvollen Tagebüchern aufgefasst und dargestellt. Hier wird insbesondere die Entwicklung seiner Tagebücher sehr gut herausgearbeitet. Den Prosawerken, wie z. B. seiner eigenen Fassung von Choderlos de Laclos’ »Liaisons dangereuses« wird jedoch keine große Aufmerksamkeit gewidmet. Eine ähnliche, vor allem die Entwicklung von Lolos künstlerischer Persönlichkeit herausarbeitende Perspektive wird auch auf dessen Zeichnungen angewendet (S. 372–376), von denen viele in einer Beilage abgedruckt sind.

Das Buch Matthieu Magnes ist das Ergebnis umfangreicher Archivforschungen in Tschechien, deren Breite und Tiefe beeindruckend ist. Ein wenig störend wirken sich lediglich die Versuche des Verfassers aus, die Mitglieder dieser Familie mit anderen Adligen zu vergleichen, da Exkurse dieser Art das Narrativ unterbrechen. Die Geschichte der Familie Clary-Aldringen im Zeitalter der maria-theresianischen Reformen, der Napoleonischen Kriege und der tschechischen nationalen Wiedergeburt wird hier mit Fokus auf die Veränderungen ihrer kulturellen Praktiken und Identitäten dargestellt. Die letzten Jahre dieser Zeit werden nur sehr knapp behandelt, was dem Werk insofern nicht weiter abträglich ist, als die interessantesten Entwicklungen im Zeitalter der Napoleonischen Kriege und des Vormärz stattfanden.

1 Charles-Joseph Clary-Aldringen, Trois mois à Paris lors du mariage de l’empereur Napoléon Ier et de archiduchesse Marie-Louise, Paris 1914.
2 Ivo Cerman, Šlechtická kultura v 18. století. Filozofové, mystici, politici, Prag 2011, S. 397–413; ders., »Instruire et plaire«. Lolo Clary-Aldringen et son œuvre littéraire, in: Alexandre Stroev, Elena Gretchnaia, Catherine Viollet (Hg.), La francophonie européenne aux XVIIIe–XIXe siècles. Perspectives littéraires, historiques et culturelles. Bern 2012, S. 151–158; ders., Aristocratic Achievement: Aristocratic Writers and Philosophers in Bohemia. Austrian History Yearbook 48 (2017), S. 1–15.
3 Eine Edition aller Tagebuchbände des Casanova-Forschers Marc Leeflang befindet sich in Vorbereitung.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Ivo Cerman, Rezension von/compte rendu de: Matthieu Magne (éd.), Princes de Bohême. Les Clary-Aldringen à l’épreuve des révolutions (1748–1848), Paris (Honoré Champion) 2019, 522 p. (Bibliothèque d’études de l’Europe centrale, 23. Série Histoire contemporaine), ISBN 978-2-7453-5174-6, EUR 55,00., in: Francia-Recensio 2020/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.3.75514