Händler, ihre Mobilität, Netzwerke, Identitäten und Institutionen des Handels stehen im Mittelpunkt dieses Sammelbandes bestehend aus elf Beiträgen.
Jean-Philippe Priotti betont in der Einleitung, die politische Kultur und Ökonomie des frühneuzeitlichen Europas seien »transnational«, multilateral und auf mehreren Handelszentren verteilt gewesen. Entgegen eines rein netzwerktheoretischen Ansatzes spricht Priotti sich für eine Einbindung des Konzepts von »kulturellem Erbe« von Pierre Bourdieu, eine Berücksichtigung von kulturellen und institutionellen Zwängen von Aktionen, und einen stärkeren Fokus auf Distanz bei Gestaltung von Beziehungen aus. Er betont die transitorische Natur von Identitäten, welche, als Aktionsquelle, dazu beitragen würden, eine relationale und diskursive Ordnung zu kreieren.
Der Band teilt sich in zwei Blöcke von jeweils fünf Beiträgen. Der erste handelt von den Intersektionen zwischen Handel und Politik. Im zweiten Block geht es um Händler als Vermittler und die Entstehung einer »Handelskultur«.
Bastien Carpentier zeigt, wie die Familie Doria ihren Palast im Fassolo, bei Genua, im 16. Jahrhundert nutzte, um weittragende Netzwerke innerhalb der spanischen Monarchie zu bilden. Der Palast entwickelte sich zu einem veritablen Machtzentrum innerhalb der spanischen Monarchie. So bauten die Doria ihre politisch-ökonomischen Netzwerke zielgerichtet aus, u. a. indem sie Mitglieder des Hauses Habsburg feierlich empfingen. Darüber hinaus beherbergten sie wiederholt hohe Beamte der spanischen Krone und halfen diesen dabei, Beziehungen zu genuesischen Handelseliten und Informanten aufzubauen.
Yves Junot thematisiert die Rolle von Händlern bei der Rekonziliation in den Spanischen Niederlanden zwischen den 1570er Jahren und 1609. Laut Junot waren die Interessen und die Aktionen von Handelseliten maßgebend für die Formulierung spanischer Politik gegenüber den Rebellen. Dabei hätten die zunehmende Ökonomisierung des Krieges und die Einbeziehung von Händlern als Kriegsunternehmer nach einer anfänglichen Rekonfiguration von Handelsnetzwerken zu einer Annäherung und Interessenausgleich zwischen den Händlern und der Krone beigetragen.
José Manuel Díaz Blanco schildert die politische Handelskultur Sevillas im 17. Jahrhundert, in dem er die These vertritt, dass Wahlen und Repräsentation auch in einem »autoritären« (S. 73) politischen System Kastiliens eine zentrale Rolle einnahmen. Am Beispiel der Consulado de Cargadores von Sevilla zeigt er, wie dieser einerseits Wahlverfahren entwickelte und durchführte und andererseits, inwiefern die Krone hier intervenieren konnte und wollte.
Sylvain Lloret analysiert die politische Dimension der französischen Handelsaktivitäten in Spanien im 17. und 18. Jahrhundert und geht der Frage nach, welche institutionellen Ressourcen die französischen Händler im Stande waren, dort zu mobilisieren. Er zeichnet die Entwicklung des französischen Konsularwesens von einer Institution der Handelsrepräsentation zu einer zentral gesteuerten Organisation. Entscheidend für diese Entwicklung sei die staatsinterventionistische Politik Colberts gewesen. Spanien wäre zu einem regelrechten Labor von institutionellen Experimenten im Konsularwesen geworden.
Guillaume Garnier fragt nach der Integration von »fremden« Händlern im Kurfürstentum Mainz im 18. Jahrhundert. Dabei analysiert der Autor einerseits Prozeduren und Institutionen, welche die Integration der Händler in der Stadt Mainz erlaubten, und andererseits, Konflikte welche durch ihre Anwesenheit hervorgerufen wurden. Interessenkonflikte zwischen den städtischen Handelskorporationen und der fürstlichen Verwaltung entstanden nicht nur dadurch, dass diese Instanzen unterschiedliche Definitionen des Fremden hatten, sondern diesen auch unterschiedliche Bedeutung zumaßen.
Der zweite thematische Block fokussiert mehr die Netzwerke und die Rolle einzelner »Broker« innerhalb solcher Netzwerke. Jean-Philippe Priotti zeigt am Beispiel des Pastellhändlers Arnao del Plano, wie vielfältig dieser von der Zugehörigkeit und Beteiligung an verschiedenen Handelsgemeinschaften profitierte und somit seine Handelstätigkeit diversifizieren konnte. Geboren im Béarn, Frankreich, siedelte dieser Händler Anfang des 16. Jahrhunderts nach Antwerpen und erlangte dort 1540 das städtische Bürgerrecht. Del Plano zeigte sich mal der baskischen, mal der kastilischen Handelsgemeinde in Antwerpen zugehörig. Es gelang ihm, ein Netzwerk von Handelsbeziehungen aufzubauen, das Handelsleute aus Baskenland, Navarra und Kastilien, aber auch aus Flandern, Brabant, Niederlanden und Deutschland umfasste.
Amândio Jorge Morais Barros diskutiert in seinem Beitrag die Beteiligung von portugiesischen Handelsnetzwerken in der Expansion des Atlantikhandels im 16. Jahrhundert. Er argumentiert, dass, obwohl die Anzahl der Händler und der Handelsvolumen in nordwestlichen Häfen Portugals, wie Porto, viel kleiner war als in Lissabon, diese kleineren Häfen durchaus im Atlantikhandel eine Rolle spielten. Die dortigen Händler beteiligten sich in vielfältigen Aktivitäten – von Bankenwesen und Zollpacht bis hin zum Sklavenhandel und Zuckerplantagen – am Handelsleben.
Filipa Ribeiro da Silva zeigt, wie portugiesische und niederländische Händler im Südatlantikhandel in den 1590er bis 1670er Jahren miteinander kooperierten. Während sich die niederländischen, flämischen und deutschen Händler über die Zeit zunehmend vom Banken- und Versicherungswesen zu Gunsten von direkter Beteiligung im Handelsunternehmen und Monopole im Südatlantischen Raum verabschiedeten, entwickelten sich die Geschäfte sephardischer Händler in die Gegenrichtung. Dennoch gab es auch vielfältige Überlappungen zwischen den beiden Händlergruppen.
Veronika Hyden-Hanscho analysiert den Versandhandel von Alexander Bergeret im 17. Jahrhundert. Dieser betrieb einen erfolgreichen Luxuswaren- und Textilhandel zwischen Paris und Wien über einen Zeitraum von 37 Jahren. Bergeret, ein Diener ausländischer Botschafter in Paris, baute diesen Handel sukzessive auf, nicht zuletzt durch seine langjährigen Beziehungen zum kaiserlichen Diplomaten und Reichsgrafen Ferdinand Boaventura von Harrach. Hyden-Hanscho rekonstruiert die Handelsnetzwerke Bergerets und zeigt u. a. wie dieser von diplomatischen Transporten für den Vertrieb seiner Waren zu profitieren wusste.
Der Band schließt mit einem Aufsatz von Margit Schulte-Beerbühl, die der »cosmobilen« (Sarah Panter), Identität des Spekulanten und Künstlers Vincent Nolte (1779-1856) nachgeht. Die Autobiografie Noltes dient dazu, seinen finanziellen Tätigkeiten und vielfaches Scheitern als Spekulant zu schildern. Vor allem geht es aber darum anhand dieses Selbstzeugnisses der Identität Noltes nachzugehen. Dabei zeigt sich, dass die Mobilität, oder »cosmobile identity«, zugleich von Vorteil (Aufbau von Netzwerken) als auch von Nachteil (zügiger Kollaps derselben Netzwerke beim Misserfolg oder Ortswechsel) sein konnte.
Der Band bietet Einblick in die neuesten Forschungen zu Handelspraktiken und Netzwerken in der Frühen Neuzeit. Die Beiträge sind qualitativ hochwertig und das Ergebnis von umfassender Forschung und Archivarbeit. Allerdings fehlt eine konzeptionelle Klammer, die die Beiträge thematisch verbinden würde.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Hanna Sonkajärvi, Rezension von/compte rendu de: Jean-Philippe Priotti, Bertrand Haan (dir.), Une Europe des affaires (XVIe–XVIIIe siècles). Mobilités, échanges et identités, Bruxelles (Peter Lang), 2018, 290 p. (Histoire des mondes modernes, 4), ISBN 978-2-8076-0825-2, EUR 47,95., in: Francia-Recensio 2020/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.3.75518