Die laizistisch geprägte (fünfte) französische Republik pflegt bis heute eine klerikal erscheinende Tradition, die in weit zurückliegenden Ereignissen begründet ist. Mehrere französische Staatspräsidenten (zuletzt 2018 Präsident Emmanuel Macron) haben sich in der sog. Bischofskirche des Papstes, San Giovanni in Laterano in Rom, formell zu Honorarkanonikern ernennen lassen, andere haben zumindest den Titel akzeptiert, ohne die Laterankirche zu besuchen – ein Vorgang, der in der laikalen Öffentlichkeit durchaus auch kritisch gesehen wurde.

Das Anrecht auf ein Ehrenkanonikat geht zurück auf eine Stiftung König Heinrichs IV. von Frankreich. Aus Dankbarkeit über seine Konversion zum Katholizismus hatte er am 22. September 1604 die Einkünfte des (Benediktiner-)Klosters Clairac in der Gascogne an die Laterankirche übertragen. Deshalb wurde ihm und seinen Nachfolgern der Titel eines (mit heutiger Bezeichnung) »premier et unique chanoine honoraire de l’archibasilique du Latran« gewährt.

Verbunden mit der königlichen Donation war die Verpflichtung der Kanoniker der Laterankirche zur Feier von Messen für das Seelenheil des Königs, für alle verstorbenen Christgläubigen seines Reiches und pro bono, felici et prospero statu et gubernio regni Galliae. Diese letzte Verpflichtung beachten die Kleriker von San Giovanni bis heute: Die Messe »pour la prospérité de la France« wird jährlich zum Geburtstag Heinrichs IV. am 13. Dezember im Lateran gefeiert.

Der hier vorzustellende Band 19 der Reihe »Obituaires« publiziert zwei Necrologien der genannten Abtei Clairac (Dép. Lot-et-Garonne) in der Diözese Agen, einer Gründung aus der Merowingerzeit. Das Kloster war 1568 unter Abt Geoffroi de Caumont zum Protestantismus übergetreten und infolge der Reformationswirren von den Mönchen verlassen worden. Allein die Einkünfte aus den Besitzungen konnten noch von Wert sein. Deshalb übertrug man nach der genannten Schenkung das gesamte Archiv zur Verwaltung dieses Besitzes an die Laterankirche.

Folglich fehlten auch die hier vorzustellenden beiden Necrologien in dem 1980 von Jean-Loup Lemaitre publizierten »Répertoire des documents nécrologiques français«. Sie wurden zwar schon 1913 in einer lokalen Zeitschrift erwähnt1, konnten aber erst 2006 von Louis Duval-Arnould, seines Zeichens Kanoniker und Archivar der Lateranbasilika, ausführlicher in einem Artikel vorgestellt werden2. Die entsprechende Beschreibung im »répertoire« findet sich deshalb erst in dessen »troisième supplément« (Paris 2008) (Nr. 2882bis und 2882ter). Die beiden (fragmentarischen) Memorialquellen sind im Archivio capitolare Lateranense in Rom in einem Manuskript unter der Signatur XY 35 erhalten. Die Edition bezeichnet sie mit T1 bzw. T2.

T1, fol. 648–711; Monate Januar–September, in der Edition S. 165–283.

T2, fol. 712–729; Monate März–Dezember, in der Edition S. 285–329.

Eine sehr ausführliche Handschriftenbeschreibung (S. 75–149), die Arbeit der Paläografin Françoise Lainé, stellt die Quellen vor und analysiert zahlreiche Hände, die dank der Datierungen in den Stiftungsnotizen auch zeitlich zugeordnet werden können. Das um 1340 angelegte erste der beiden Necrologien (T1) enthält auch Nameneinträge, die bis ins ausgehende 12. Jahrhundert zurückreichen.

Der chronologische Schwerpunkt der durch die Nennung von Testamenten und Kodizillen bezeugten Gedenkeinträge liegt in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Die Handschrift T2 ist in enger zeitlicher und teils auch inhaltlicher Nähe zu T1 entstanden, scheint aber anderen Zwecken gedient zu haben (S. 104). Während T1 ausführliche Notizen aus den Schenkungsurkunden präsentiert, wird in T2 nur mit Datum, Namen und Leistungsumfang auf die entsprechenden Anniversarien verwiesen.

Die sinnvolle Nutzung der Einträge in Liturgie und Verwaltung des Klosters beweisen mehr als 100 Randzeichen, die unter anderem auf die Finanzierung der Gedenkleistungen verweisen (S. 97). Solche Zeichen bildet die Edition auch ab. Die zahlreichen roten Unterstreichungen der Leistungsangaben und Ziffern dagegen sind bei der Wiedergabe nicht berücksichtigt. Eine Konkordanztafel belegt die Übereinstimmungen beider Memorialquellen (S. 150–162).

Die Edition folgt den in der Reihe üblichen, schon 1979 festgelegten »Directives pour la préparation d’une édition de document nécrologique«. Die Einträge sind fortlaufend durchgezählt. Dieses Nummernsystem umfasst nicht nur die Gedenkeinträge, sondern erstreckt sich auf alle dem Archiv entnommenen Stücke; das erleichtert das Verweissystem und das Benutzen der Register.

Angesichts der nur bruchstückhaften Archivreste zur Geschichte des Klosters Clairac in den französischen Archiven haben die Herausgeber der Memorialtradition noch weitere Dokumente hinzugefügt, bei denen die Nennung von Personen im Vordergrund stehen. So figuriert unter der Editionsnummer 544 eine Liste besonderer persönlicher Gedenktage aus derselben Handschrift (fol. 728; Edition S. 330–333); unter den Nummern 545/546 folgen eine Einwohnerliste des Ortes Clairac (S. 334–336) aus dem Jahr 1288 (n. st.) und eine Gedenkstiftung aus den Archives départementales de Lot-et-Garonne (3 E 860) sowie zuletzt ein aus dem 18. Jahrhundert kopial überliefertes allgemeines Verzeichnis (Archivio capitolare Lateranense, XY 13; Edition S. 337–349) der aus Gedenkstiftungen des 14. Jahrhunderts hervorgegangenen Rechte der Abtei, die nicht mit den Einträgen des Necrologs verknüpft werden konnten (Nr. 547–605). Der letzte Eintrag in dieser Liste hebt resümierend hervor, dass man in Clairac vor der eresie de Calvin jährlich 345 Gedenkmessen gefeiert habe.

Die spätmittelalterliche Gedenktradition der Abtei Clairac stellt gegenüber dem älteren Gedenkwesen mit Gebet und Namennennung deutlich die wirtschaftlichen Aspekte der Anniversarstiftungen in den Vordergrund. So wird zum Gedenktag eines Abtes aus dem eigenen Kloster, der zu Beginn des 13. Jahrhunderts wirkte, neben dem Hinweis, der Prior von Marmande habe 20 solidi zum Anniversar beizutragen, ausdrücklich festgestellt: Non habemus alia instrumenta nisi possessionem dumtaxat (Nr. 26).

Bei Stiftungsvermögen der Verstorbenen wird regelmäßig auf das entsprechende Testament und den Notar verwiesen, der den Vertrag zu verantworten hatte. In einem Fall wird sogar auf die archa privilegiorum des Klosters Bezug genommen (Nr. 223), in der das Dokument aufbewahrt sei. Das Gedenken bildet neben einer geringen Anzahl von eigenen Äbten und Mönchen ein Netzwerk von Familien vor allem des niederen Adels ab, aus denen auch zahlreiche Mitglieder des Konvents stammen. Kaufleute und Handwerker fehlen fast vollständig. Das Gleiche gilt für Mitglieder benachbarter kirchlicher Institutionen.

Eine Reihe von Abbildungen illustriert die erhaltenen Gebäudereste der Abtei Clairac und zeigt weitere (Priorats-)Kirchen der Umgebung. Sechs Tafeln bieten Beispiele aus den edierten Handschriften. Die Register weisen nur die Inhalte der Edition nach; wertvolle Bemerkungen des umfangreichen Einleitungsteils (S. 17–73) zur Interpretation der edierten Quellen oder auch zur Geschichte von Clairac werden so leider nicht erfasst. Doch bieten sowohl das Personen- und Ortsregister wie auch das Sachregister wertvolle Erläuterungshinweise und ermöglichen einen guten Zugang zu den Editionstexten.

Die vorliegende Edition macht mit ihrem umfassenden Ansatz zumindest Teilbereiche des ehemaligen Bestandes an Verwaltungsschriftgut der Abtei Clairac sichtbar. Denn die ausführlichen Notizen zu den Schenkungen für das Totengedenken und die sorgfältigen Nachweise der Finanzierung einzelner liturgischer Leistungen gewähren einen Einblick in Besitz und Einkünfte des Klosters und können so Inhalte nicht erhaltener Urkunden oder verlorener Chartulare zumindest in Teilen darstellen. Da das mittelalterliche Gebetsgedenken so sorgfältig und ernsthaft betrieben wurde, dass Necrologien nahezu als Bestätigungselement für Rechtstitel betrachtet wurden, wie Francesco Roberg für die Fälschungen aus St. Maximin in Trier nachweisen konnte3, öffnet sich hier ein Ansatz zur Rekonstruktion verlorener Quellen, dem man weiter folgen sollte.

Die sorgfältig aufbereitete Edition der Memorialquellen aus Clairac bietet eine wertvolle Erweiterung der über weite Strecken verlorenen Schrifttradition des Agennais.

1 Paul Fiel, Antoine Durengues, Rapport de l’abbé Anselmi, administrateur de l’abbaye de Clairac, au chapitre de Saint-Jean de Latran, in: Revue de l’Agenais. Bulletin de la Société d’agriculture, sciences et arts d’Agen 40 (1913), S. 1–31.
2 L’obituaire de l’abbaye de Clairac, in: Mélanges de l’École française de Rome. Moyen-Age 118/1 (2006), S. 123–126.
3 Francesco Roberg, Gefälschte Memoria. Diplomatisch-Historische Studien zum ältesten »Necrolog« des Klosters St. Maximin vor Trier, Hannover 2008 (MGH. Studien und Texte, 43).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Franz Neiske, Rezension von/compte rendu de: Françoise Lainé (éd.), Les obituaires de l’abbaye de Clairac. Avec la collaboration de Hervé Bouillac, Pierre Simon et Jean-Loup Lemaitre, Paris (Académie des inscriptions et belles-lettres) 2019, X–422 p., 24 ill. en coul. (Recueil des historiens de la France. Obituaires. Série in-8°, 19), ISBN 978-2-87754-379-8, EUR 50,00., in: Francia-Recensio 2020/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.3.75560