Der vorliegende Band geht zurück auf eine Tagung, die im März 2016 am Generallandesarchiv Karlsruhe stattfand und sich der stark verflochtenen deutsch-französischen Besatzungsgeschichte des 20. Jahrhunderts widmete, wie auch die Beiträge des Sammelbandes es mehrheitlich tun. Die Veranstaltung war Teil des Public History-Begleitprogramms des Projekts zur »Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus«, dessen Ergebnisse jüngst veröffentlicht wurden1.

Vorab muss jedoch einschränkend erwähnt werden, dass der Titel allein mehr verheißt als er einlöst, denn geografisch fokussieren die Beiträge auf den südwestdeutsch-nordostfranzösischen Grenzraum entlang des Oberrheins, also auf die Regionen Baden und Alsace. Gerade weil sich diese deutsch-französische Grenzregion durch ihre Geschichte den gängigen Narrativen entziehe, fordere sie geradezu heraus, intensiver beforscht zu werden, so könnte man das Anliegen der Herausgeberin und der Herausgeber zusammenfassen. Anknüpfend an jüngere Tendenzen, die Kontaktzonen wie ebenjenes Grenzgebiet als Konflikt- und zugleich Versöhnungsorte beleuchten, möchten Frank Engehausen, Marie Muschalek und Wolfgang Zimmermann jene Forschungsperspektive mit verwaltungs- und sozialgeschichtlichen Zugängen anreichern.

Den Anfang macht Stefan Fisch mit einem weit ausholenden Beitrag über der Verwaltung des Elsass über einen Zeitraum von knapp 50 Jahren. Fischs verfassungshistorisch angelegter Text, der die einander ablösenden Regime von preußisch-norddeutscher Besatzung (1870/71), Regelverwaltung als Reichsland Elsass-Lothringen (1871 bis 1914), verhängtem Belagerungszustand und Herrschaft des Militärs (1914–1918) sowie der zeitgleichen Besatzungsherrschaft der französischen Armee in der Alsace liberée beleuchtet, betont besonders die Prekarität jener Übergangsphasen, in denen Regel und Ausnahme verschwimmen. Es sei, so Fisch, regelrecht symptomatisch, dass sich militärische und zivile Prämissen überlagerten und einander nicht selten widersprächen, was eine Fluidität von Verwaltungsstrukturen bedinge.

Dass sich die französische Besatzung an Rhein, Ruhr und Saar zwischen 1918 und 1935 als ein deutsch-französischer Kalter Krieg lesen lässt, ist die These von Sébastien Schlegel. Die Zwischenkriegszeit, so der Autor, sei durch ständige Spannungen markiert gewesen, bei denen die Hauptakteure, namentlich die Regierungen Frankreichs und des Deutschen Reiches die direkte Konfrontation vermieden hätten, zugleich aber Auseinandersetzungen indirekt befeuerten. Frankreich nutzte seine Armee, um die Dominanz als Siegermacht in den besetzten deutschen Gebieten zu demonstrieren.

Zugleich wurden lokale Agitatoren auf deutscher Seite aus Berlin unterstützt und so passiver Widerstand angeheizt. Die ständigen, in ihrer Intensität jedoch changierenden Spannungen ließen es nach Schlegel nicht zu, dass eine »démobilisation culturelle« stattfand. Anders ausgedrückt: Obgleich die Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges beendet waren, sorgte dies nicht für einen mentale Abrüstung in den Köpfen von Soldaten und Zivilisten.

Einen kollektivbiografischen Ansatz verfolgt der Text von Marie Muschalek, der auf das sozio-politische Profil, den Arbeitsalltag sowie die materiellen Bedingungen der entsandten badischen Zivilbeamten im Elsass zwischen 1940 und 1944/45 fokussiert. Die höhere Belegschaft der Zivilverwaltung, so der bisherige Befund, war überwiegend aus dem »Altreich« abgeordnet, vornehmlich männlich und aus Baden stammend. Es waren eher ältere, aus Beamten- und Akademikerfamilien stammende Personen. Obgleich sich die Versetzung bzw. Abordnung in das Elsass, nicht selten begleitet von Beförderung und UK-Stellung, besonders für höhere Beamte komfortabel ausnehmen konnte, bedeutete der Wechsel auf die linke Rheinseite keineswegs für alle eine Statuserhöhung. Mittlere und niedere Beamte empfanden die Abordnung zum Teil gar als Belastung.

Anhand der Schulpolitik im Elsass zeigt der profunde Beitrag Jürgen Fingers auf, wie im polykratischen Machtgefüge im neubesetzten Reichsgebiet um Einfluss gerungen wurde. Mittels Schützenhilfe durch die »Westforschung« sei eine kulturelle Verbindung über den Rhein essenzialisiert worden, die es dem umtriebigen Badener Gauleiter argumentativ ermöglichte, seinen Anspruch auf Hoheit über Haushalt, Personal und Besoldung zu untermauern. Gerade weil im Elsass die Machstrukturen erst aufgebaut werden mussten, wurde es zum Möglichkeitsraum konkurrierender Stellen und Interessen von Zentrum und Peripherie. Allerdings habe es sich, gerade mit Blick auf die Schulpolitik, so Finger, nicht um eine Übernahme, sondern Angleichung gehandelt, sichtbar an der Überformung des Schulwesens durch badische, reichsdeutsche sowie auch nationalsozialistische Eigenheiten.

Daran anknüpfend beschreibt der Beitrag von Daniel Morgen die Umstrukturierung von Schuldienst und Lehrkörper im Elsass während des Zweiten Weltkriegs. Das Lehrpersonal »elsässischer Abstammung« durfte im Lehrkörper verbleiben – ganz im Gegensatz zu sonstigen französischen Lehrerinnen und Lehrern – allerdings mussten sich Betroffene einer Umschulung unterziehen und wurden anschließend nach Baden abgeordnet, wo sie ihren Dienst als Bewährung und Pflicht gegenüber der Volksgemeinschaft versehen sollten. Die generelle Umgestaltung des Schulsystems im Elsass habe, so konstatiert der Autor mit Blick auf die Modifikation der Schulformen, zu einer Verschlankung und mehr Kohärenz geführt, die aber faktisch eine Verringerung der Breite der möglichen Bildungswege bedeutet habe.

Neben dem Schulwesen umfasste der ausgreifende Umbau auch den akademischen Sektor. Die These Fingers sekundierend, zeigt Tania Elias auf, wie die projektierte »Reichsuniversität Straßburg« zum Kampflatz zwischen peripherer und zentraler Verwaltung wurde. Namentlich Gauleiter Robert Wagner und der Reichsminister für Wissenschaft, Bernhard Rust, stritten um Budgethoheit und das Vorrecht auf Ernennung des Lehrkörpers. Die Idee, der Pariser Sorbonne den wissenschaftlichen Rang abzulaufen, machte die Einrichtung der deutschen Universität zum Vorzeigeprojekt. Zugleich rief es die damals hochkarätigen Universitäten im Reich auf den Plan, die nicht nur den Schwund ihres Lehrkörpers, sondern auch einen etwaigen Prestigeverlust befürchten. Dass sich am Ende der Minister vor dem Gauleiter durchsetzte, war einmal mehr der direkten Intervention Hitlers geschuldet.

Welche Bedeutung zivile badische Beamte ihrer Arbeit und Funktion beimaßen, untersucht der Beitrag von Frank Engehausen anhand retrospektiver Schilderungen ausgewählter Personen, zuvorderst entnommen den Akten der Spruchkammerverfahren nach dem Krieg. Einstige Beamte der Zivilverwaltung kleideten ihr vormaliges Tun in gleichlautende Narrative mit wiederkehrenden Topoi. Mehrheitlich ungewollt ins Elsass versetzt worden, hätten sie dort zugunsten der Zivilbevölkerung und nicht selten gegen die Partei (NSDAP) agiert. Sie attestierten sich selbst ein gutes Verhältnis zur Bevölkerung und wiesen die Schurkenrolle vornehmlich dem Gauleiter zu. Die eigene Mitwirkung wurde massiv bagatellisiert, zugleich als legitim und korrekt attribuiert; die Eingliederung des Elsass als per se nicht falsch angesehen. Sich selbst sahen die ehemaligen Staatsdiener als die eigentlichen Opfer. Eine kritische Selbstsicht fand in dieser Lesart keinen Platz, so Engehausen.

Eine Einladung weitere Spuren zu verfolgen und bisher Unbekanntes zu heben, spricht der Beitrag von Martin Stingl aus. Stingl beschreibt nicht nur die Rückführung der badischen Akten aus dem Elsass in das Generallandesarchiv in Karlsruhe, sondern liefert auch eine Einführung in die vorhandenen Bestände. Vor allem die Handlungsweisen und -spielräume der »ganz gewöhnlichen Deutschen« würden in den Akten und Unterlagen sichtbar und hätten daher hohe Aussagekraft über die Reichweite der NSDAP beziehungsweise ihrer Wirkungsgrenzen, so Stingl.

Abschließend zeigt Anne Kwaschiks Beitrag auf, wie sich historiografische Perspektiven auf die Säuberungspolitik und politische Umerziehung in der französischen Besatzungszone abwechselten. Lange war die Entnazifizierungspolitik der Franzosen eine antifranzösische Projektionsfläche, allerdings hätten kulturelle Dominanz und Integration innerhalb der französischen Besatzungspolitik einander durchaus die Waage gehalten. Nachträglich sorgte das Jahr 1963 mit dem Élysée-Vertrag für eine narrative Überformung, die eine deutsch-französische Verständigungsgeschichte etablierte. Anhand von Schulatlanten zeigt Kwaschik die visuelle Vermittlung von Geschichtsbildern als kulturgeschichtliche Entnazifizierung auf.

Vor dem Hintergrund der Besatzung würden in diesen Darstellungen politische Vorgaben in räumliche Kategorien übersetzt und zum Teil durch subtile Mittel wie Titel, Farbverläufe und Schriftarten akzentuiert. Exemplarisch zeigt Kwaschik, wie durch Karten und Abbildungen das historische Ausmaß der Niederlage (beispielsweise durch Vorher-Nachher-Grenzverläufe) verdeutlicht und objektviert wurde und macht damit auf eine besondere Quelle aufmerksam.

Zu bedauern ist das Fehlen einer Synthese der Beiträge, zumal auch die Einleitung der Herausgeber und der Herausgeberin knapp gehalten ist. Die einzelnen Beiträge selbst greifen ansonsten recht gut ineinander. Der Band ist eine Bereicherung zum Verständnis der verwaltungspolitischen Umwälzungen unter den Bedingungen der Besatzung und macht überzeugend deutlich, dass Besatzungen, ob militärisch oder unter scheinbar ziviler Führung, die Grenze von Regel und Ausnahme verflüssigen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Byron Schirbock, Rezension von/compte rendu de: Frank Engehausen, Marie Muschalek, Wolfgang Zimmermann (Hg.), Deutsch-französische Besatzungsbeziehungen im 20. Jahrhundert, Stuttgart (Kohlhammer) 2018, 233 S., zahlr. Abb., 4 Kt. (Werkhefte der staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg, Serie A. Heft 27), ISBN 978-3-17-034383-2, EUR 20,00., in: Francia-Recensio 2020/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.3.75665