Wenngleich die Geschichte der nationalsozialistischen Wehrwirtschaft seit den 1980er-Jahren vielfach ein Objekt der historischen Forschung bildete, ist doch die Entwicklung des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes (WiRü-Amt) eher selten in den Blick genommen worden, so dass man für einzelne Fragen immer noch auf die apologetische Darstellung des langjährigen Leiters dieser Institution, General Georg Thomas, zurückgreifen musste. Daher ist es uneingeschränkt zu begrüßen, dass mit der Potsdamer Dissertation von Paul Fröhlich nun eine auf breiter Quellengrundlage entstandene Analyse des WiRü-Amtes und seiner Vorgänger seit 1924 vorliegt.

Fröhlich konzentriert sich dabei vornehmlich auf die Führung des Amtes, die organisatorischen Veränderungen sowie die Konflikte innerhalb der Organisation und mit anderen NS-Institutionen. Hierfür gliedert der Verfasser seine Studie in drei Großkapitel. Im ersten Teil der Arbeit widmet er sich mit Hilfe der kollektivbiografischen Methode den Lebensläufen und Erfahrungshorizonten von elf zentralen Akteuren, die dort jeweils mehrere Jahre lang Führungspositionen innehatten.

So kann Fröhlich mit Hilfe des Habituskonzeptes von Bourdieu zeigen, dass die Gruppe der »bureaucratic« bzw. »economic professionals« nicht nur durch ihre zumeist technisch-wirtschaftliche Ausbildung, ihre bürgerliche Herkunft und die Erfahrung des Ersten Weltkriegs geprägt waren, sondern sich auch von den sogenannten Operateuren im reichsdeutschen Offizierskorps und klassischen Generalstäblern deutlich unterschieden, wozu auch die beschleunigte Aufrüstung ab 1936 und die erwarteten Erfordernisse eines kommenden Krieges von Massenheeren und deren industrieller Produktionsbasis beitrug.

Ausführlich wird auch die Ausarbeitung des wehrwirtschaftlichen Konzeptes seit den 1920er-Jahren herausgearbeitet, das auf der Vorstellung eines künftigen totalen Krieges und der damit verbundenen Wehrhaftmachung der gesamten Bevölkerung beruhte. Bereits in dieser Zeit zeigten sich die Konflikte mit den Operateuren über die Anzahl der militärischen Einheiten und über die Frage, welcher Art deren rüstungswirtschaftliche Ausstattung sein sollte, wobei das Wi-Rü-Amt nach der nationalsozialistischen Machtübernahme stets auf die beschränkten deutschen Ressourcen hinwies und auf das Missverhältnis zwischen der Größe der Wehrmacht und ihrer Bewaffnung aufmerksam machte.

Im zweiten Kapitel untersucht der Autor dann die militärbürokratische Praxis und beleuchtet insbesondere das Verhältnis des WiRü-Amtes zu den neu eingesetzten Sonderkommissaren, die von der Führung der wehrwirtschaftlichen Organisation nach anfänglichem Widerstand als neue Machtzentren und Mitspieler in den Diskussionen um den Aufrüstungskurs akzeptiert wurden. Ausgelöst wurde so eine Selbstmobilisierung und eine verstärkte Radikalisierung, der die Abkehr von gewohnten Handlungsmustern und klassischem Verwaltungshandeln zur Folge hatte.

Das dritte Hauptkapitel widmet sich anschließend dem WiRü-Amt in der Kriegszeit, in dem das Amt neben den vielfältigen Interessengegensätzen mit den Operateuren auch in die Mühlen der polykratischen Machtkämpfe des NS-Regimes geriet und trotz einer weiteren Selbstmobilisierung bis 1942 durch Fritz Todt und Albert Speer entmachtet wurde. Grund hierfür war, dass Speer Hitler überzeugte, dass nur er als vermeintlicher militär- wie politikferner Ingenieur die strukturell-organisatorischen Mängel der deutschen Rüstung beseitigen könne und Hitler den realistischen Lageeinschätzungen der pessimistischen Logistiker aus dem WiRü-Amt ablehnend gegenüberstand. Abschließend zeichnet Fröhlich noch die Lebensläufe seiner elf Protagonisten nach 1945 auf und bietet im Anhang Kurzbiographien der untersuchten Akteure.

Insgesamt bestätigt die Studie Fröhlichs die Erkenntnisse der neueren Forschung, nach der es weder eine einheitliche Führung noch ein von allen akzeptiertes Konzept für die Kriegs- und Rüstungswirtschaft im »Dritten Reich« gegeben hat. Statt der Konzeptionen des Wi-Rü-Amtes, das sich als zentrale Steuerungsinstitution schon gegen die anderen militärischen Stellen und deren traditionalistisch orientiertes Offizierskorps nicht durchsetzen konnte, setzten sich auch in der Rüstung wie vielfach innerhalb des NS-Regimes immer nur diejenigen punktuell durch, die Maximalforderungen erhoben.

Die daraus resultierenden Konflikte konnten die trotz aller Radikalisierungstendenzen stets realistischen Führungskräfte des Wi-Rü-Amtes wegen des Selbstverständnisses als Ingenieure jedoch genauso wenig gewinnen wie die nationalkonservativen Kräfte (Hjalmar Schacht, Johannes Popitz etc.) in der Wirtschafts- und Finanzpolitik vor dem Krieg. Die quellengesättigte Darstellung Fröhlichs macht dieses und die detaillierte Entwicklung der deutschen Rüstungsbürokratie vor und während des Zweiten Weltkrieges überzeugend deutlich.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Ralf Banken, Rezension von/compte rendu de: Paul Fröhlich, »Der unterirdische Kampf«. Das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt 1924–1943, Paderborn, München, Wien, Zürich (Ferdinand Schöningh) 2018, 508 S. (Krieg in der Geschichte, 108), ISBN 978-3-506-78873-3, EUR 89,00., in: Francia-Recensio 2020/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.3.75668