»Intelligenz und Fleiß«, so gab sich der Vorstandssprecher der Deutschen Bank in einem Interview im Jahr 1987 überzeugt, reichten aus, »um nach oben durchzustoßen«. Wie die an der Universität Frankfurt lehrende Wirtschafts- und Sozialhistorikerin Friederike Sattler in ihrer monumentalen Biografie zeigen kann, waren nicht nur die »Zeitumstände […] trotz aller augenscheinlichen Widrigkeiten« günstig (S. 9); auch die Protektion einflussreicher Förderer und Mentoren war nicht unwichtig für die bemerkenswerte Karriere ihres aus einfachen, handwerklich-mittelständischen Verhältnissen stammenden »Helden«. Der hätte diesen Einwand vermutlich damit zu entkräften versucht, dass man sich solche Fürsprache eben durch »Intelligenz und Fleiß« erst einmal verdienen müsse. An Selbstbewusstsein mangelte es dem 1930 in Essen geborenen Alfred Herrhausen wahrlich nicht.

Ihre jederzeit, auch bei der Schilderung eher zäher unternehmenspolitischer Entscheidungsprozesse spannend gehaltene Darstellung stützt sich auf ausgedehnte Archivrecherchen – insbesondere im sehr ergiebigen Historischen Archiv der Deutschen Bank und im Privatarchiv Herrhausen in Bad Homburg – sowie auf eigene Zeitzeugengespräche und eine Sammlung von Interviews mit »Wegbegleitern« im Historischen Institut der Deutschen Bank. Dadurch entsteht ein höchst lebendiges, vielschichtiges und keineswegs unkritisches Porträt Herrhausens, das zudem durch Rückgriffe auf einschlägige wirtschafts- und zeitgeschichtliche Forschungsdebatten in größere Zusammenhänge eingebettet wird. Ihrem Ziel, auch »Widersprüche und Ungereimtheiten« dieser Lebensgeschichte aufzudecken (S. 11), wird die Verfasserin jedenfalls vollauf gerecht.

Der erste Teil des Buchs, der maßgeblich von überlieferten Briefen Alfreds an seine Eltern und seine Schwester profitiert, ist der Herkunft, der Schul- und Studienzeit und den beruflichen Anfängen des Protagonisten gewidmet. Als durchaus prägend erwies sich der Besuch der »Reichsschule der NSDAP« in Feldafing am Starnberger See, einer nationalpolitischen Erziehungsanstalt zur Auswahl »geeigneten« Führungsnachwuchses. Das dort gepflegte »Gemeinschaftsgefühl der ›Auserwählten‹« fiel bei dem Jungen auf fruchtbaren Boden: »Der Leistungsgedanke sprach ihn ebenso an wie das Gemeinschafts- und Verantwortungsdenken«.

Auch Kategorien wie »minderwertig« und »wertvoll« zur Beurteilung anderer Menschen hätten sich in sein »Denken und Sprechen« eingeschlichen, konstatiert die Autorin; hingegen sei von Rassismus, Antisemitismus oder Militarismus »kaum etwas zu spüren« gewesen (S. 27). Gleichwohl empfand er die »Maitage« 1945 als »tiefe Schande« für unser Vaterland (S. 35), so Herrhausen noch im Februar 1946 in einem Brief an einen Freund aus Feldafinger Tagen. Seine anfängliche Ablehnung alliierter Demokratisierungsmaßnahmen, die er gegenüber demselben Empfänger im März 1946 als »Massensuggestion« diskreditierte (S. 9), schlug während des Studiums – Betriebswirtschaft in Köln seit dem Sommersemester 1949 – in ihr Gegenteil um. Herrhausen verwandelte sich in einen »überzeugten Anhänger der repräsentativen Demokratie« (S. 47).

Nach einem dreijährigen Gastspiel bei der Ruhrgas AG wechselte Herrhausen 1955 zu den Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen (VEW), wo er sich die ersten beruflichen Sporen verdiente. Davon handelt der zweite Teil.

Im dritten Teil rekapituliert Sattler die ersten 12 Jahre im Vorstand der Deutschen Bank. Als »Quereinsteiger aus der Energiewirtschaft« und »jung-dynamischer Manager« stieß er bei manchen Vorstandskollegen zwar auf eine gewisse Skepsis, doch gelang es ihm ohne größere Probleme, sich »dem Komment der Bank anzupassen« (S. 148). Ansehen erwarb er sich nicht zuletzt durch seine Analysen zur konjunkturellen Lage und zu weltwirtschaftlichen Zusammenhängen.

Den Weg Herrhausens an die Spitze der Deutschen Bank und damit gleichzeitig der deutschen Bankenwelt zeichnet die Autorin im vierten Teil nach. An der Seite von F. Wilhelm Christians fungierte er seit 1985 als Vorstandssprecher. Dass es zwischen den beiden Sprechern mitunter zu »sachlichen Differenzen« (S. 424) kam, blieb den anderen Vorstandsmitgliedern nicht verborgen.

Viel Raum widmet Sattler den von Herrhausen wahrgenommenen Aufsichtsratsmandaten bei deutschen und ausländischen Unternehmen, allen voran bei Daimler-Benz. Hier kann sie zeigen, wie sich die »Kapitalverflechtungen innerhalb der ›Deutschland AG‹ […] zu lockern begannen« (S. 488). Anschließend analysiert Sattler die letzte Etappe: Mit der Wahl zum alleinigen Vorstandssprecher im Dezember 1987 hatte Herrhausen »den Gipfel seiner Karriere« erklommen. In seiner neuen Position begriff er es als wichtigste Aufgabe, »die strategische Neuausrichtung der Deutschen Bank und den Umbau ihrer Leitungs- und Organisationsstrukturen weiter voranzubringen« und »sein« Haus zu einer »globalen Universalbank« zu machen (S. 541).

Nicht allen Vorstandsmitgliedern passte das von ihm eingeschlagene Tempo, zumal Herrhausen immer häufiger darauf verzichtete, seine Kollegen im persönlichen Gespräch zu überzeugen. Durch seine exponierte Stellung und seine offensive Öffentlichkeitsarbeit avancierte er mehr und mehr zur Symbolfigur des Kapitalismus. Am 30. November 1989 fiel er einem mutmaßlich von der RAF begangenen Attentat zum Opfer. Die Täter wurden bis heute nicht gefasst.

Sattlers Biografie einer »Schlüsselfigur« der deutschen Zeitgeschichte besticht durch ihre Quellennähe, ihren nüchternen Stil und ihre präzisen Fragestellungen. Überzeugend arbeitet sie die besonderen Talente und Eigenschaften heraus, die Herrhausens Aufstieg ermöglichten: »rasche Auffassungsgabe«, »Freude am strategischen Durchdenken von Problemen«, »sprachliche Gewandtheit«, »Begeisterungsfähigkeit und Tatkraft«, »Ausdauer, Energie und Willensstärke«, »Selbstdisziplin« und ein »ausgeprägtes Pflicht- und Verantwortungsgefühl« (S. 636). Spätestens mit der Übernahme der Funktion als alleiniger Sprecher der Deutschen Bank wuchs allerdings auch die Ungeduld, wenn Entscheidungen zu lange auf sich warten ließen.

Die Frage, ob Herrhausen die Entwicklung in Richtung Finanzmarktkapitalismus vorangetrieben habe, bejaht die Autorin. Allerdings sieht sie sein Neoliberalismus-Verständnis »fest in der Freiburger Schule des Ordoliberalismus verwurzelt« (S. 646). Nicht unerwähnt bleiben sollte schließlich, dass Friederike Sattler auch das Familien- und Eheleben ihres Protagonisten gebührend würdigt, etwa die Scheidung von seiner ersten Frau Ursula, die unter Karrieregesichtspunkten keineswegs unproblematisch war. Alles in allem eine brillante Biografie, eine bedeutende Bereicherung der wirtschafts- und unternehmensgeschichtlichen Forschung.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Werner Bührer, Rezension von/compte rendu de: Friederike Sattler, Herrhausen: Banker, Querdenker, Global Player. Ein deutsches Leben, München (Siedler Verlag) 2019, 816 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-8275-0082-3, EUR 36,00., in: Francia-Recensio 2020/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.3.75684