Die vorliegende zweisprachige Ausgabe der »Vita Sancti Martini« des spätantiken Dichters Venantius Fortunatus druckt die 2006 publizierte Übersetzung von Wolfgang Fels in neuer Rechtschreibung und zusammen mit einem lateinischen Lesetext ab1. Die Auswahlbibliografie, die in der früheren Ausgabe beigefügt war, wurde um eine Monografie2 erweitert, ist aber ansonsten auf demselben Stand geblieben.

Die knapp gehaltenen, nützlichen Anmerkungen beziehen sich hauptsächlich auf Personen- und Ortsnamen, erläutern aber gelegentlich auch die Übersetzung oder geben Hinweise zu Realienwissen. Bei Letzterem ist die Auswahl der kommentierten Stellen allerdings eklektisch geraten (so wird 3,514 die chemische Beschaffenheit und Herkunft von Chrysolith erläutert, während die Aufzählung von Edelsteinen in 3,463–470 bis auf eine Angabe zu der Färbung von Chrysopras und Beryll unkommentiert bleibt).

Die Vorzüge und Nachteile der vom Verfasser gewählten metrischen Übersetzung wurden in den Rezensionen der früheren Ausgabe bereits besprochen3 und bestätigen sich auch mit einigen Jahren Abstand. Wolfgang Fels sind zahlreiche treffende Übertragungen des zum Teil sperrigen lateinischen Textes gelungen, die sich gefällig lesen (siehe z. B. 4,534: temerarius arbiter: »kritikloser Richter«, 4,553: voto prece corpore supplex: »ergeben in Wort und Gebärde«) und insgesamt einen guten Eindruck vom Duktus eines spätantiken Epos vermitteln. An einigen Stellen bemüht sich der Verfasser erfolgreich, auch die typische Vorliebe für Klangfiguren nachzubilden (siehe 1,347: dum rapit [sc. cultrum, eripitur rapienda rapina rapaci: »als er es [sc. das Messer] greift, wird dem Greifer der Griff, den er griff, rasch entrissen«), andernorts stößt eine solche lautmalerische Wiedergabe des lateinischen Textes im Deutschen natürlich an Grenzen4. Missverständlich ist z. B. in 4,661 die Beibehaltung des lateinischen Ausdrucks pontifex (»Bischof«, gemeint ist Paulus von Aquileia) in der deutschen Übersetzung, da der Begriff »Pontifex« im heutigen Sprachgebrauch den Papst als Bischof von Rom bezeichnet. Hier wäre ein Hinweis in der ansonsten hilfreichen Anmerkung sinnvoll gewesen.

Gelegentlich unterlaufen dem Übersetzer unter dem metrischen Zwang gewisse Kolloquialismen (siehe z. B. praef. 1: nauta rudis: »Landratte«, 1,192 u. ö.: lumina: »Gucker«), ein Phänomen, das bereits in früheren Besprechungen angemerkt wurde und die bemerkenswerte Gesamtleistung einer flüssigen und gut lesbaren hexametrischen Übersetzung nicht schmälert. Nur an wenigen Stellen ist der lateinische Text missverstanden worden:

1,7 wird die Erlösungstat Christi, die auch den bereits Verstorbenen zugutekommt und sie aus der Unterwelt befreit, mit den Worten beschrieben: captivum retrahens portis bipatentibus agmen. Hier trägt Christus jedoch nicht etwa auch die Türflügel mit sich, wie Fels’ Übersetzung »den Gefangenenzug mit doppelten Türflügeln schleppend« suggeriert, sondern die doppelten Türflügel der Unterwelt stehen offen, während Christus die Gefangenen herauszieht.

2,477–479 wird Martin vom Dichter um Erbarmen gebeten: fer pietatis opem […] rector ut altithronus cum venerit arbiter orbis, / tu memor obtineas delicti oblivia nostri. Fels übersetzt hier: »erbarm dich […] wie der hochthronende Herrscher.« Es handelt sich jedoch um einen Finalsatz: »erbarm dich, damit Du, wenn der hochthronende Herrscher als Weltenrichter kommt, […] erreichst, dass meine Vergehen vergessen sind.« Martin wird also hier nicht etwa mit dem Weltenrichter Christus verglichen, sondern als Fürsprecher beim Weltenrichter angerufen.

4,31f. (über die Heilung eines stummen Mädchens): nec differt Martinus opem pietatis amicam. / sternitur ergo solo, tacitus prece sidera pulsans: wie der Kontext zeigt, ist sternitur hier medial zu verstehen und auf Martin zu beziehen, nicht etwa, wie Fels meint, auf das Mädchen: Martin streckt sich zum Gebet auf dem Boden aus, während er mit stiller Bitte den Himmel bestürmt. Der Gegensatz zwischen der bescheidenen Erscheinung des Martin, der sich selbst kleinmacht, und seinem alles überragenden Einfluss bei Gott ist ein wichtiges Motiv der Martinsvita, das an zahlreichen Stellen wiederkehrt.

4,566: (sc. clementia) cui dos et gloria pax est: kann nicht bedeuten »(eine Milde), die Mitgift, Frieden und Ruhm bringt«, sondern: »(eine Milde), deren Mitgift und Ruhm der Friede ist«.

Die wichtigste und eigentlich nützlichste Neuerung, die Beigabe eines lateinischen Lesetexts, ist leider auch die größte Schwäche des Neudrucks. Der lateinische Text wurde aus Friedrich Leos Ausgabe in den Monumenta Germaniae Historica (Auct. ant. IV,1, S. 293–370) übernommen (vgl. Fels S. XVI); er ist jedoch von einer Vielzahl von Druck- oder Scanfehlern durchsetzt, die sich in der MGH-Ausgabe nicht finden. Zuweilen stimmt auch der gebotene lateinische Text nicht mit der Übersetzung überein, sondern folgt einer anderen Lesart oder weist eine irreführende Kommasetzung auf. So wird z. B. Vers 4,487 im lateinischen Text durch eckige Klammern als möglicherweise unecht gekennzeichnet, in der deutschen Übersetzung aber kommentarlos mitübersetzt, ähnlich 2,167 das in eckigen Klammern stehende se.

Insofern kann der Text nicht ohne den Abgleich mit einer anderen, möglichst textkritischen Ausgabe des Martinsepos benutzt werden. Obwohl es gewöhnlich nicht Aufgabe einer Rezension ist, Druckfehler nachzuhalten, führe ich unten wenigstens die Stellen auf, an denen verschriebene lateinische Wörter oder Unstimmigkeiten zwischen lateinischem Text und deutscher Übersetzung zu beobachten sind, die für den intendierten Leserkreis verwirrend sein können. Selbsterklärende Versehen (wie Murtino statt Martino in 2,267, vgl. 3,87 etc.) werden nicht berücksichtigt.

Corrigenda:

»Praefatio ad Agnen et Radegundem«:

32: barenosus lies: harenosus

»Vita S. Martini«:

1,37: fulmina (»Blitze«/»Strahlen«, überliefert in P2XBESMU, übernommen von Leo): übersetzt wird aber flumina (»Ströme«, überliefert in FT NL, akzeptiert von Quesnel).

1,358: anna lies: arma

1,492: bebes lies: hebes

2,67: sedet: dies entspricht der Ausgabe von Leo, übersetzt wird aber sed et (eine Konjektur von Quesnel, vgl. Fels selbst S. 45 Anm. 10).

2,266: (lies lies: dies

2,332: came lies: carne, ebenso in 4,479

3,3: adindens lies: adludens

3,56: coniasque lies: comasque

3,104: monentia lies: morientia

3,139: vehit lies: velut

3,259: plauta lies: planta

3,499: principibus geminis, fidei sub principe Roma (»wegen der beiden Fürsten, in der führenden Stadt des Glaubens, Rom«): dies entspricht der Kommasetzung der Ausgabe von Leo, übersetzt wird aber: principibus geminis fidei, sub principe Roma (»wegen der beiden Fürsten des Glaubens im führenden Rom auch«). Quesnel verzichtet darauf, den Hexameter durch Kommata zu gliedern.

4,160: lanarum lies: larvarum

4,438: postis lies: pestis

4,607: eum lies: cum

2 Sylvie Labarre, Le manteau partagé, Paris 1998 (Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité, 158).
3 Siehe u. a. Robert Godding, in: Analecta Bollandiana 126 (2008), S. 381f.
4 Siehe dazu schon Michael Roberts in: The Catholic Historical Review 94 (2008), S. 325f.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Anja Bettenworth, Rezension von/compte rendu de: Venantius Fortunatus, Vita Sancti Martini/Das Leben des Heiligen Martin. Übersetzt und kommentiert von Wolfgang Fels, Stuttgart (Hiersemann) 2020, XVII–145 S. (Mittellateinische Bibliothek), ISBN 978-3-7772-2009-3, EUR 39,00., in: Francia-Recensio 2020/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.4.77189