Mit Recht wird aus Perspektive der historischen Mittelmeerforschung oft gefordert, dass die südlichen, afrikanischen Ufer des mare magnum mehr Beachtung finden müssten gegenüber einer anhaltenden Dominanz der historischen Beschäftigung mit den europäischen Küstenräumen. Einen wesentlichen Schritt zum Ausgleich dieses Ungleichgewichts bildet die vorliegende Studie von Dominique Valérian, die auf seine Habilitationsschrift aus dem Jahre 2010 zurückgeht. Auf nicht mehr als etwa 260 Seiten Text hat er eine stark verdichtete Synthese vorgelegt, die sich den Wandlungen räumlicher Strukturierungsmuster des maghrebinischen Großraums (einschließlich der westlichen Teile des heutigen Libyen) vom Ausgang der Spätantike bis ins späte 15. Jahrhundert widmet.

In seinen methodischen Erörterungen konstatiert Valérian eine Kontinuität der Wahrnehmung des maghrebinischen Raums als Peripherie: von den frühen islamischen Geografen mit ihrer Fixierung auf den Mašriq bis zu Braudels vom Erbe der Kolonialzeit geprägten Mittelmeerbild und jüngeren Entwürfen einer vormodernen globalen Verflechtung. Die Untersuchung räumlicher Netzwerke zwischen städtischen Zentren innerhalb und außerhalb des Maghreb ermögliche es hingegen, temporäre Zentralorte (»les pôles qui structurent cet espace«, S. 9), ihre Einbindungen in Verkehrssysteme und die Rekonfigurationen räumlicher Strukturierungsmuster im Laufe der Jahrhunderte zu beschreiben.

Dabei seien sowohl politische als auch ökonomische Akteure in ihren über die maghrebinische Region hinausreichenden Vernetzungen in den Blick zu nehmen, um die Triebkräfte (»moteurs«) dieser Entwicklungen bestimmen zu können. Bereits eingangs konstatiert der Autor dabei einen Prozess der sukzessiven Gewichtsverschiebung in die Küstengebiete hinein (»littoralisation«) als fundamentale Entwicklungstendenz der longue durée, in deren Zuge die Häfen zunehmend als entscheidende Strukturierungsfaktoren hervorgetreten seien. Generelle Überlegungen zur Funktionalität von Häfen sowie zur Quellenlage, die für den maghrebinischen Bereich kaum Quantifizierungen erlaube, beschließen die Einleitung.

Die Analyse gliedert sich in zwei große Teile, deren erster der Integration der maghrebinischen Häfen in den dār al-Islām vom 7. bis zum 11. Jahrhundert gewidmet ist (Kapitel 1–3), während der zweite die Häfen im Gefüge einer »Méditerranée latine« vom ausgehenden 11. bis zum 15. Jahrhundert thematisiert. Valérian folgt mithin grundsätzlich dem etablierten Leitbild einer Ablösung der islamischen Dominanz im Mittelmeerraum durch eine lateinische im Zuge des Aufstiegs der italienischen Seestädte.

Für das Zeitalter der islamischen Eroberung und Herrschaftsstabilisierung konstatiert er die Dominanz des Binnenlandes gegenüber den Küsten. War die Region in byzantinischer Zeit noch auf ihre Küstenorte, insbesondere Karthago, fokussiert, entstanden neue Vororte wie Kairouan, Tahert und Fès im Binnenland, während die »Eroberungsroute« hinter den Küstengebirgen entlang nach Westen verlaufen sei und die wirtschaftliche Anbindung der Region durch den Karawanenverkehr nach Ägypten im 7./8. Jahrhundert geprägt habe.

Besonders die zentralmaghrebinische Küste zwischen Tabarka und Tanger scheine geradezu aufgegeben gewesen zu sein. Hingegen zeige sich in den von Valérian prägnant analysierten Werken der arabischen Geografen des 9./10. Jahrhunderts besonders in Ifrīqiya eine differenzierte Hafenlandschaft (u. a. Gabès, Sousse, Sfax und Tunis), die sich schließlich bei al-Bakrī im 11. Jahrhundert zu einem weiträumigen und engen Netz verflochtener Küsten- und Inlandsstädte verdichte. Dies wird in Karten zu den jeweiligen Autoren treffend illustriert. Dem Bild der Geografen stellt Valérian konzise Erörterungen zur Politik der nordafrikanischen Dynastien zur Seite, verweist etwa auf die Ausrichtung Ifrīqiyas auf die mediterranen Inseln unter den Aghlabiden, verbunden mit der Schaffung militärischer Flottenbasen und einer Kette von Festungen (ḥuṣūn).

Zeigt sich die Ausrichtung der frühen Fatimiden auf das Meer deutlich an der neuen Hauptstadt Mahdia mit ihren Hafenstrukturen, so habe sich der westliche Maghrib stärker auf al-Andalus ausgerichtet. Neben dem gezielten Ausbau von Hafenstädten durch Herrscher konstatiert Valérian aber auch andere Wege der Entstehung neuer Häfen, etwa aus der Initiative von Händlern und Seeleuten in Verbindung mit lokalen Stämmen wie in Oran.

Den Abschluss des ersten Teils bilden umfassende Analysen zur maritimen und terrestrischen Anbindung der Hafenstandorte, wobei Valérian auch die Strukturen des Sahara-Handels über wenige »ports du désert« (u. a. Siğilmāsa und Zawīla) und die entscheidende Rolle ibaditischer und jüdischer Akteure auf diesem Feld analysiert. Während Kontakte zum christlichen Europa bis zum Ende des 11. Jahrhunderts nur marginal für Ifrīqiya belegbar seien, habe eine enge, aber nicht einseitig als Ausbeutung des Maghreb zu verstehende Einbindung der Region in den islamischen Wirtschaftsraum bestanden, sowohl über Karawanen zu Lande als auch zunehmend durch den Schiffsverkehr, den etwa die Genizah-Überlieferung zeigt.

Das vierte Kapitel (S. 133–159) ist dem Prozess der Littoralisation und zunehmenden lateinischen Durchdringung des Maghreb im 11./12. Jahrhundert gewidmet und fungiert gleichsam als Bindeglied zwischen den beiden Hauptteilen: In dieser Phase lasse die Littoralisierung die Häfen zu den primären »pôles économiques« der Region werden, was keineswegs allein auf das Eindringen der Banū Hilāl ins Hinterland zurückzuführen sei. Valérian konstatiert städtische Autonomiebewegungen, etwa in Ceuta und Tunis, und charakterisiert knapp den Wandel im Verhältnis zu christlichen maritimen Akteuren von gewaltförmigen Beziehungen im 11. Jahrhundert zu den ersten Verträgen, doch beschränke sich die Präsenz der Italiener zunächst auf wenige streng kontrollierte Häfen (Ceuta, Oran, Bougie und Tunis).

Gleichwohl sieht Valérian die muslimischen Kaufleute bereits im 12. Jahrhundert durch ihre christlichen Pendants marginalisiert, wofür es freilich an zwingender Quellenevidenz mangelt. Leider folgt der Autor in diesem Scharnierkapitel nicht konsequent der chronologischen Entwicklung, Sprünge zwischen der Situation im 11. und im 12. Jahrhundert erschweren die Orientierung, vor allem unterbleibt so eine systematische Diskussion der nachhaltigen Raumstrukturierung durch die imperialen Almohaden, deren Bedeutung die Darstellung freilich ansatzweise erkennen lässt. Auch der Einfluss der Normannen auf den maghrebinischen Raum bleibt unterbeleuchtet.

Hingegen zeichnen sich die beiden letzten Großkapitel zum 13. bis 15. Jahrhundert (im Umfang etwa die Hälfte des Textes) wiederum durch eine sehr klare Struktur und die souveräne Beherrschung einer breiten und kleinteiligen Forschungslandschaft durch Valérian aus. Ihm gelingt es überzeugend, das Bild der nunmehr von lateinischen Händlern kontrollierten maghrebinischen Exporte räumlich zu differenzieren, indem er die Verteilung einzelner Exportgüter auf bestimmte Häfen detailliert diskutiert: So wird die Fokussierung des Sklavenhandels auf Tripolis ebenso erkennbar wie die strenge Reglementierung des Getreideexports oder die Sonderrolle von Öl und Korallen allein in Ifrīqiya, während sich der Handel mit Wolle und Leder homogen über zahlreiche Häfen verteilt habe und die Bedeutung des über die Sahara eingeführten Golds nicht überschätzt werden sollte.

Die Häfen dieser Zeit erscheinen weiterhin als Objekte systematischer Investitionen der drei überregionalen Dynastien (Hafsiden, Abdalwadiden und Meriniden), aber von ihnen gingen auch Sezessionsversuche aus, wie in Bougie, oder die Etablierung lokaler Oligarchien in Ceuta und Gabès. Die Konkurrenz unter den lateinischen Händlernationen habe den maghrebinischen Herrschern ebenso Handlungsmacht verschafft wie die Kontrolle der binnenländischen Handelswege, für die jedoch auch die autonom agierenden Stämme eine wichtige Rolle spielten.

Dieses Bild grundlegender struktureller Muster dynamisiert Valérian im letzten Kapitel durch eine konjunkturelle Betrachtung in drei Abschnitten: der stabilen Blütezeit im 13. und frühen 14. Jahrhundert folgte eine Krise zwischen 1320 und 1420 und ein neuer Aufschwung im 15. Jahrhundert. Charakteristisch für die erste Phase erscheint die überragende Zentralortfunktion von Tunis im maritimen Handel, während Bougie, Oran-Hunayn und Ceuta Häfen mittleren Niveaus bildeten und sich von den vielen nur in ihr unmittelbares Hinterland ausstrahlenden kleinen Häfen im Zentralmaghreb abheben.

Komplementär dazu werden die unterschiedlichen Verkehrsnetze der lateinischen Nationen vorgestellt, so die venezianische Beschränkung auf Ifrīqiya, die genuesische Fokussierung auf große Häfen gegenüber der breiteren pisanischen Präsenz bis hin zur Dominanz der Katalanen und Mallorquiner im West- und Zentralmaghreb. Die durch Kriege, demografischen Rückgang und einen markanten Anstieg der Piraterie vor allem im hafsidischen Raum gekennzeichnete Krisenzeit beschreibt Valérian als Rekonfiguration der Handelsnetze, in der Tunis seine Schlüsselstellung verliere.

Der deutliche Rückzug der Italiener und die faktisch konkurrenzlose Aktivität der Mallorquiner (und Valencianer) hätten den Häfen des zentralen Maghreb zu einer temporären Schlüsselstellung verholfen, bevor im 15. Jahrhundert der hafsidische Herrschaftsraum wieder stark in Erscheinung getreten sei. Durch die osmanische Expansion im Ostmittelmeer habe für die Lateiner nun die Organisation des Schiffsverkehrs entlang der afrikanischen Küste zwischen Oran und Alexandria große Bedeutung gewonnen, während das Agieren der Portugiesen im Atlantik und um die Straße von Gibraltar für Marokko den entscheidenden Faktor bilde.

Mit der souveränen Darstellung dieser Entwicklungslinien gelingt Valérian eine eindrucksvolle Synthese zahlreicher Forschungsresultate, zudem gibt er schlaglichtartig immer wieder Einblick in markante Fallbeispiele aus dem dokumentarischen Quellenmaterial. So eröffnet sein Buch zugleich den Zugang zu einer sehr regen arabischen wie europäischen Forschungslandschaft, deren Vielfalt im umfangreichen Literaturverzeichnis erkennbar wird. Allerdings hat der Autor leider darauf verzichtet, die in den letzten Jahren nach Fertigstellung seiner Habilitation erschienene Literatur systematisch einzuarbeiten1. So werden auch rezente Erträge der deutschen Mittelmeerforschung, die wichtige Bezugspunkte zu seinem Thema aufweisen2, nicht berücksichtigt.

Zu einer gewissen Verzerrung des Forschungsstandes führt insbesondere der Umstand, dass Valérian auf die Genese des Werks vor 2010 nicht verweist, während die Aufnahme seiner eigenen Publikationen bis hin zu noch unveröffentlichten Aufsätzen den Eindruck umfassender Aktualität erweckt. Dessen ungeachtet liegt mit seiner Darstellung nunmehr eine fundamentale und insbesondere durch die Beifügung vieler Karten sehr anschauliche Synthese zur räumlichen Strukturierung des maghrebinisch-mediterranen Küstenbereichs3 im gesamten Mittelalter vor, die wohl als Meilenstein der historischen Mittelmeerforschung bezeichnet werden kann.

1 So vermisst man mit David Abulafia, The Great Sea. A Human History of the Mediterranean, London 2011, selbst ein Schlüsselwerk der jüngeren Mittelmeerforschung in der Bibliografie.
2 Verwiesen sei etwa auf Urs Brachthäuser, Der Kreuzzug gegen Mahdiya 1390. Konstruktionen eines Ereignisses im spätmittelalterlichen Mediterraneum, Paderborn 2017 (Mittelmeerstudien, 14), darin insbesondere die Analyse zum lateinischen Bild des maghrebinischen Raums (S. 565–614), und auf die breiten Forschungen von Albrecht Fuess zur maritimen und Küstenraumpolitik der Mamluken.
3 Auf die atlantischen Küsten des Maghreb kommt der Autor nur punktuell zu sprechen, was auch zu einer gewissen Marginalisierung Marokkos in seiner Darstellung führt. Diese wird bis zum 13. Jahrhundert durch die Synthese von Christophe Picard, L’Océan atlantique musulman. De la conquête arabe à l’époque almohade, Paris 1997, ausgeglichen, während die Zeit der Meriniden weiterer Vertiefung bedürfte.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sebastian Kolditz, Rezension von/compte rendu de: Dominique Valérian, Ports et réseaux d’échanges dans le Maghreb médiéval, Madrid (Casa de Velázquez) 2019, 358 p. (Bibliothèque de la Casa de Velázquez, 77), ISBN 978-84-9096-176-6, EUR 27,00., in: Francia-Recensio 2020/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.4.77219