Mit ihrem Buch »›Wie ist Europa? – Schön, Ja?‹ Intellektuelle Diskurse zur wirtschaftlichen Dimension des Integrationsprozesses – Eine vergleichende Analyse herausragender französischer Intellektuellenzeitschriften« legte die deutsche Kommunikationsforscherin und Romanistin Ilektra Bogner 2019 die Druckfassung ihrer Dissertation vor. Wie aus dem Titel ersichtlich wird, ist es das Ziel der Autorin, über die Verwendung diskursanalytischer Theorie- und Methodeninstrumente der französischen Intellektuellendebatte zur Wirtschaftsdimension der europäischen Einigung nachzuspüren. Bogners Quellenmaterial besteht in vier französischen »gehobenen« Zeitschriften (»Commentaire«, »Esprit«, »Le Débat« und »Les Temps modernes«), in welchen sie den Debattenzeitraum der Jahre 1992 bis 2010, also vom Vertrag von Maastricht bis zur Banken- und Finanzkrise, untersucht.
Es sei vorweggenommen – der Autorin ist mit ihrer Studie ein höchst lesenswerter Beitrag zur jüngsten kulturwissenschaftlichen Europaforschung gelungen. Dies fußt zu gleichem Maße auf persönlichem Europadenken der Autorin sowie detailreicher Sachkenntnis. Es ist aufschlussreich, Bogners Spurensuche im Intellektuellendiskurs nachzuvollziehen, da sie kulturelle Grundmuster des Beziehungsverhältnisses zwischen Nation und Europa hervortreten lässt.
Das Werk ist in fünf größere Abschnitte mit jeweils zahlreichen Subkapiteln unterteilt. Der »genretypische« Charakter einer Dissertation blieb weitgehend erhalten. In der schon detailreichen Einleitung (S. 13–70) verdeutlicht Bogner ihre persönliche Motivation zum Verfassen der Arbeit, beschreibt die von ihr verfolgten theoretisch-methodischen Ziele sowie legt ihren Quellenkorpus dar. Es sticht positiv ins Auge, dass bereits hier eine Metaübersicht und -reflexion der folgenden Arbeitsschritte (S. 64–70) geboten wird, was die Nachvollziehbarkeit des Narrativs erleichtert. Die Verfasserin erläutert, wie sie das heute gut etablierte diskuranalytische Instrumentarium von Autoren wie Michel Foucault und Siegfried Jäger nutzt, um den französischen Europadiskurs zur Wirtschaft zu decodieren.
Der zweite längere Abschnitt (»Die europäische Integration und Frankreich – der historische Prozess eines strukturellen Wandels in Politik und Ökonomie auf nationaler und politischer Ebene«, S. 71–134) gibt eine Übersicht über die wechselhafte Beziehungsgeschichte zwischen Frankreich und der europäischen Integration nach 1945. Die Autorin wählt dabei hauptsächlich den Weg, diese Beziehungsgeschichte über die Diskurspositionen prägender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu verdeutlichen; schon hier wird also mehr ein diskursanalytischer denn ein an einem gesamten Forschungsüberblick zum Thema interessierter Zugang gewählt. Dies hat – im Sinne des verfolgten Erkenntnisziels – den Vorteil, dass sich diskursive Formationen klar abzeichnen, muss jedoch auch um den Preis des Fehlens einer globalen Gesamtübersicht der Forschung zum Thema »erkauft« werden.
Auch im nächsten breiteren Teil (»Politik, Ökonomie und Europa im intellektuellen Selbstverständnis in Frankreich«, S. 135–264) bereitet Bogner noch das Feld für ihre hauptsächlichen Fragehorizonte auf. Es ist dabei erhellend zu lesen, welche spezifischen Positionen Intellektuelle (und noch spezieller Wirtschaftsintellektuelle) im von der Verfasserin erkundeten Territorium haben. Die Beschreibung des Rollenbildes des Intellektuellen in Frankreich ist gerade für deutschsprachige Leserinnen und Leser gewinnbringend.
Die vierte und längste Sektion des Buches (»Intellektuelle Debatten zur wirtschaftlichen Dimension des europäischen Einigungsprozesses – eine Analyse des intellektuellen politikökonomischen Diskurses 1992–2010«, S. 265–630) liefert den Hauptteil der Untersuchung. Orientiert an zentralen Diskurssträngen und -themen, aber auch an der quantitativen und formalen Gestaltung der untersuchten Zeitschriften, gelingt es Bogner auf beeindruckende Weise, das Bild des Wirtschaftseuropa herauszuarbeiten, das in Frankreich in dieser Zeit bei Intellektuellen vorherrschte.
Der Schlussteil (S. 631–646) fasst die zentralen Ergebnisse zusammen, gewichtet sie und verdeutlicht im Resümee auch nochmals die persönliche Motivation der Autorin. Der Rezensent hätte sich nur an der einen oder anderen Stelle einen weniger an der frankophonen Terminologie orientierten Stil gewünscht, der in der deutschen Sprache des Buches mitunter zu Unklarheiten im Verständnis führen kann. Alles in allem ist das Buch jedoch einer der lesenswertesten Beiträge im kulturwissenschaftlichen Europadiskurs der letzten Jahre. Vor allem deutschsprachig sozialisierten Leserinnen und Lesern sei er ans Herz gelegt.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Peter Pichler, Rezension von/compte rendu de: Ilektra Bogner, »Wie ist Europa? – Schön, Ja?«. Intellektuelle Diskurse zur wirtschaftlichen Dimension des europäischen Integrationsprozesses – Eine vergleichende Analyse herausragender Intellektuellenzeitschriften (Commentaire, Esprit, Le Débat, und Les Temps modernes), St. Ingbert (Röhrig Universitätsverlag) 2019, 716 S., zahlr. Tab. (Saarbrücker Studien zur Interkulturellen Kommunikation mit Schwerpunkt Frankreich/Deutschland, 15), ISBN 978-3-86110-723-1, EUR 69,00., in: Francia-Recensio 2020/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.4.77259