Während auf deutscher Seite anlässlich der 150. Wiederkehr des Deutsch-Französischen Krieges gleich sieben Gesamtdarstellungen erschienen sind, liegt auf französischer Seite das Publikations- und Erinnerungsgeschehen vor allem auf regionalen Studien und Veranstaltungen1. Darin spiegelt sich die Tatsache, dass der Krieg 1870/71 fast ausschließlich auf französischem Boden stattfand und dort lokal der Schlachten, der Gefallenen sowie des Kriegserlebens von Zivilisten gedacht wird. Erfreulicherweise haben Nicolas Bourguinat, Professor für europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts an der Universität Straßburg und sein Doktorand Gilles Vogt diese thematischen Einzelstudien zusammengefasst und stellen damit den beiden bis heute maßgeblichen französischen Gesamtdarstellungen von François Roth und Stéphane Audoin-Rouzeau2 eine aktuelle und moderne Synthese zur Seite.

Das ist auch deshalb zu begrüßen, weil die beiden Autoren – ganz wie die Kollegen aus Deutschland – autobiografischen Quellen, privaten Schriften und Presseerzeugnissen viel Raum geben. Darüber hinaus – und hier unterscheidet sich die französische von den deutschen Neuerscheinungen – hat diese einen innovativen Fokus und erzählt den Krieg 1870/71 als globales Ereignis. Gemeint ist damit der Blick auf die weltweiten politischen, philosophischen und humanitären Resonanzen dieses kriegerischen Aufeinanderprallens von Deutschen und Franzosen. Am Deutsch-Französischen Krieg beteiligten sich nicht nur Tausende Soldaten, Pfleger und Mediziner aus dem Ausland, er bewegte zugleich die Öffentlichkeiten weltweit. Der Krieg hatte Einfluss auf die europäische Landkarte und auf das Mächtegleichgewicht und er beeinflusste die Diskussionen um das Nationenverständnis und das internationale Kriegsrecht. Durch diese Perspektive wird der Band von Bourguinat und Vogt zweifellos zur interessantesten Neuerscheinung der letzten Jahre zum Krieg 1870/71.

Der Blick in das Inhaltsverzeichnis macht deutlich, dass auf den rund 500 Seiten nicht die klassische Militärgeschichte im Mittelpunkt steht, und auch die Pariser Kommune, die bei französischen Darstellungen des Krieges eigentlich unerlässlich dazu gehört, bleibt hier außen vor. Eingerahmt von den zu erwartenden Kapiteln zu Vorgeschichte und Kriegsausbruch bis zur Niederlage von Sedan am Anfang sowie dem Weg aus dem Krieg und den Erinnerungen an ihn am Ende des Bandes stehen im Zentrum der Darstellung das Leben in Kriegs- und Besatzungszeiten, die Beeinflussung der öffentlichen Meinung sowie der weltweite Wiederhall des Krieges.

Sehr ausführlich und ausgewogen ist die Einschätzung der beiden Autoren zur Kriegsschuld, ein Thema das bis in neuere Darstellungen in Frankreich häufig sehr stark auf die Provokationen und Taktiken Bismarcks reduziert wird, unter Vernachlässigung des französischen Anteils daran. Im Gegensatz dazu zeigen sich Bourguinat und Vogt meinungsstark und kritisch in der Diskussion neuerer Forschungsliteratur, etwa im Hinblick auf die Rolle der Öffentlichkeit, die – so eine schon von Napoléon III. vorgebrachte verkürzte Rechtfertigung – die französische Regierung in den Krieg getrieben habe.

Die Öffnung hin zu einer globalen Geschichte bietet immer wieder überraschende Perspektiven. So lassen die beiden Autoren regelmäßig die politische Haltung oder die öffentliche Meinung zur Vorgeschichte und zum Kriegsgeschehen vor allem in der Schweiz, in England, in den USA und in Dänemark einfließen, womit sie direkt an die Forschungsergebnisse der Dissertation von Gilles Vogt anschließen. Besonders stark sind in dieser Hinsicht das Kapitel zum Meinungskrieg in den Medien, das zugleich Frankreich und Deutschland ausgewogen in den Blick nimmt, sowie naturgemäß das Kapitel zu den weltweiten Resonanzen, das u. a. ein Unterkapitel zu Garibaldi und den Kriegsfreiwilligen aus anderen Ländern sowie zur internationalen humanitären Mobilisierung enthält.

So engagierten sich Unterstützungsvereine für französische Kriegsgefangene und die verarmte Bevölkerung etwa in Belgien, in der Schweiz, aber auch in Kanada und in New York. Quäker gründeten in den USA das War Victims Relief Committee sowie einen French Peasant Farmers Seed Fund, so dass Weizensaat für 12 500 Hektar Ackerboden und 400 Kühe aus Spanien nach Orléans gespendet werden konnten. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich wurde die medizinische Hilfe ausländischer Ärzte oder Pfleger für die eigenen Lazarette dankbar angenommen.

Für die Betreuung von verletzten Soldaten sorgten zudem zwölf nationale Hilfsorganisationen im Rahmen des Roten Kreuzes, zu deren Koordinierung in Basel eine internationale Agentur eingerichtet wurde, um nur einige Beispiele zu nennen. Interessant sind ebenso die zeitgenössischen Debatten wie etwa über die Frage, ob mit der Niederlage Frankreichs das deutsche Nationskonzept gesiegt und die »lateinische Rasse« insgesamt eine Niederlage erlitten habe, oder ob im Krieg ein protestantisches und ein katholisches Europa aufeinandergetroffen seien.

Strenggenommen liegt hier allerdings eine globale Geschichte Frankreichs im Deutsch-Französischen Krieg vor, denn die deutsche Geschichte kommt darin zu kurz. So sind die Kapitel über das Kriegsgeschehen bis zur Niederlage bei Sedan wie auch das Kapitel über das Alltagsleben im Krieg in zeitgenössischer Perspektive mit Belagerung, Bombenkrieg, francs-tireurs, Verfolgung vermeintlicher Spione, Besatzung, Alltag im Hinterland etc. genauso fast ausschließlich auf Frankreich bezogen, wie die Abschnitte zum Weg aus dem Krieg, die mit den Wahlen in der noch jungen Republik französische Innenpolitik referieren. Auf den zehn Seiten zur »Heimatfront« etwa wird die Situation in Deutschland nur mit einem Satz erwähnt, obwohl dazu mit der Arbeit von Alexander Seyferth eine ausführliche Studie vorliegt, die in der Bibliografie auch aufgeführt ist3. Aus der deutschen Presse wird fast nur indirekt zitiert über die damals im Journal de Genève erschienenen französischen Übersetzungen von Artikeln. Die in der Bibliografie angegebene deutschsprachige Literatur insbesondere zur Reichsgründung ist veraltet und manche neuere Forschung zum Krieg wurde nicht berücksichtigt.

Trotz dieser Einschränkungen liefert der Band zahlreiche interessante Erkenntnisse und macht deutlich, wie ein globalgeschichtlicher Ansatz auf ein regionales Ereignis fruchtbar angewandt werden kann.

1 Siehe dazu die kürzlich in der Francia-Recensio erschienene Rezension von Christiane Krüger zu den Band von Pierre Allorant, Walter Badier, Jean Garrigues (dir.), 1870, entre mémoires régionales et oubli national. Se souvenir de la guerre franco-prussienne, Rennes (Presses universitaires de Rennes) 2019, https://doi.org/10.11588/frrec.2020.3.75650; die Einträge auf dem Blog »Guerre franco-allemande/Deutsch-Französischer Krieg 1870/71« sowie meinen Kurzüberblick zu den deutschsprachigen Gesamtdarstellungen: https://guerre1870.hypotheses.org/2946/.
2 François Roth, La guerre de 1870, Paris (Fayard) 1990; Stéphane Audoin-Rouzeau, 1870. La France dans la guerre, Paris 1989.
3 Alexander Seyferth, Die Heimatfront 1870/71. Wirtschaft und Gesellschaft im deutsch-französischen Krieg, Paderborn 2007.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Mareike König, Rezension von/compte rendu de: Nicolas Bourguinat, Gilles Vogt, La guerre franco-allemande de 1870. Une histoire globale, Paris (Flammarion) 2020, 528 p. (Champs histoire), ISBN 978-2-0815-1055-5, EUR 15,00., in: Francia-Recensio 2020/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.4.77260