Ein soziologischer Essay über Helden, schreibt der Autor, Professor für Kultursoziologie an der Universität Freiburg, zu Beginn der Einleitung zu seiner mit leichter Hand verfassten Abhandlung, »bedarf der Rechtfertigung« (S. 9) – um sich zwei Seiten später selbst zu korrigieren, indem er darauf verweist, dass »kaum ein Tag« vergehe, »an dem nicht frische Helden und Heldinnen ausgerufen oder altbewährte wieder hervorgeholt werden« (S. 11). In der Tat, soviel (alltägliches) Heldentum war selten. Und zurzeit liefert die Corona-Krise ständig Nachschub. Ein hochaktuelles Buch also, und ein erfrischend kurzweiliges noch dazu.
Bröckling handelt sein Thema in acht Kapiteln ab. Nach einer knappen Einführung präsentiert er im zweiten, mit fast 60 Seiten umfangreichsten Kapitel einige »heterogene Bausteine« (S. 22) einer Theorie des Heroischen: »Agonalität«, »Exzeptionalität«, »Männlichkeit«, »Opferbereitschaft« und »Tragik« zählen ebenso dazu wie »ästhetische Inszenierung«, »Mythos« oder »Typologien«. Im dritten Kapitel unternimmt er anhand von Denkern und Schriftstellern wie Hegel, Marx, Max Weber und Ernst Jünger einen Streifzug durch die Moderne, beginnend mit den Zeiten, in denen »Helden und ihre Taten unangefochtener waren« (S. 77) als heutzutage, und endend mit der besonders in der Bundesrepublik so ausgeprägten Abkehr von den »Exzessen des Heroismus« (S. 113).
In den folgenden drei Abschnitten widmet sich Bröckling »Konturen des Postheroischen« in den Bereichen Sozialpsychologie, Management und Managementschulen sowie Kriegführung. Den Abschluss bilden Reflexionen über »postheroische Helden«, also über Alltagsheldinnen und -helden, »gewöhnliche Menschen, die Außergewöhnliches leisten« (S. 196), aber auch über »Sporthelden« und die zahlreichen Superhelden der Comics sowie Überlegungen zum »Kaputtdenken« des Heroischen, zugleich eine pointierte Zusammenfassung der Gründe, weshalb Bröckling Heldenfiguren »zutiefst suspekt« sind: »zu viel Pathos, zu viel Männlichkeitsausdünstungen, zu viel moralischer Zeigefinger, zu viel Selbstüberwindung, zu viel Totenkult« (S. 17).
Die bemerkenswerte Langlebigkeit des Heroischen auch in eigentlich unheroischen Zeiten erklärt der Autor damit, dass Heldengeschichten auf »fortdauernde Interessen- und Affektlagen antworten« (S. 225). Dieses Phänomen deutet er als »Ausdruck einer gespaltenen Gesellschaft, die sich Helden und Heldinnen zulegt, wohl wissend, dass ihre Probleme sich, wenn überhaupt, nur postheroisch bewältigen lassen« (S. 224). Dem Wissen um die grundsätzliche Antiquiertheit des Helden steht ein beständiger »Heldenhunger« (S. 13) gegenüber. Komplementär zu den »Abgesängen auf das Heldentum« (S. 119) tauchen neue Heroismen auf, sei es im Sport oder in den Phantasie- und Parallelwelten der Superheldencomics und Computerspiele – eine Sphäre, die Bröckling nicht eigens erwähnt. Heldengeschichten, in denen »Techno-Nerds mit außergewöhnlichen Ideen reüssieren«, gehören mittlerweile aber auch zum »elementaren Mytheninventar der Start-up-Kultur« (S. 149) – man denke nur an solch schillernde Unternehmer wie Elon Musk. »Normal« oder hegemonial sind solche Unternehmerfiguren freilich nicht. Der verbreitete postheroische Führungsstil in Unternehmen ist ein »Heroismus höherer Ordnung: die souveräne Größe, um der Sache willen auf heldenhafte Alleingänge zu verzichten« (S. 153).
Bröcklings beeindruckende und brillante Studie besticht nicht nur durch ihren Reichtum an ideengeschichtlichen Verweisen, sondern auch durch die gelungene Rückbindung an gesellschaftliche Prozesse und Befindlichkeiten. Helden begreift der Autor als »Problemanzeiger«, als ein »Index dessen, was die Gesellschaft den Einzelnen abverlangt«, mit anderen Worten: Helden sind für ihn »eher ein Symptom der Krise als eine Instanz, die sie löst« (S. 17). Es bereitet jedenfalls sehr viel Spaß und ist überdies höchst lehrreich, Bröckling auf seinem Streifzug durch die Welt des Heroischen und der Heldenerzählungen zu begleiten.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Werner Bührer, Rezension von/compte rendu de: Ulrich Bröckling, Postheroische Helden. Ein Zeitbild, Berlin (Suhrkamp) 2020, 276 S., ISBN 978-3-518-58747-8, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2020/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.4.77262