1968 erschien, in zweiter Auflage, »Die amerikanische Herausforderung«, von Jean-Jacques Servan-Schreiber. Darin geht es in ziemlich alarmistischer Tonlage um die wachsende technologische Lücke zwischen den USA und Europa gerade in einigen Hochtechnologiesektoren und die drohende amerikanische Investitionsoffensive. Raabe erwähnt dieses Buch nicht. Franz Josef Strauß, als langjähriger Aufsichtsratsvorsitzender sowohl der Deutschen Airbus GmbH als auch der Airbus Industrie GIE einer der Protagonisten der schmalen, gleichwohl materialreichen und informativen Studie Raabes, dürfte Servan-Schreibers Bestseller hingegen gelesen haben – zumindest hat er ein Vorwort dafür verfasst. Straußʼ Bedeutung als weitblickender und engagierter Förderer des Airbus-Projekts wird übrigens schon dadurch unterstrichen, dass ein Foto von ihm als Pilot einer neuen Maschine das Cover des Buches ziert.

Der Autor, von 2005 bis 2009 Pressesprecher des Bundesverteidigungsministers Franz Josef Jung, stützt sich unter anderem auf ungedruckte Quellen aus dem Bundesarchiv (Bundeskanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium), dem Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg, dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts und dem Helmut Schmidt-Archiv in Hamburg. Unveröffentlichtes Material aus Firmenarchiven oder ausländischen Archiven hat er – aus mehr oder weniger plausiblen Gründen – nicht herangezogen. Der Fokus liegt also eindeutig auf den involvierten deutschen Regierungsstellen. Ziel der Studie ist es zu zeigen, »wie die ersten Diskussionen um das zu bauende Flugzeug begannen, wie sich die interessierten Luftfahrtunternehmen in Westdeutschland zusammenfanden und organisierten, und vor allem, welche Rolle dabei die Bundesregierung spielte und wie schließlich auch europäische Regierungen zusammenarbeiteten, um dieses Projekt zu verwirklichen« (S. 8). Diesem Anspruch wird der Autor durchaus gerecht.

Die Studie ist strikt chronologisch angelegt, mitunter werden Besprechungen und Entscheidungen schlicht aneinandergereiht (z. B. S. 19–23). Dennoch gelingt es Raabe durch die Identifikation übergreifender Fragen etwa nach der integrations- oder der beschäftigungspolitischen Bedeutung des Airbus-Projekts, die chronologische Darstellung immer wieder zu durchbrechen. Außerdem kontrastiert er die Entwicklungen im zivilen Sektor durchgehend mit denen im militärischen, indem er den Fortgang der Kampfflugzeug-Projekte »Alpha-Jet« und »MRCA« – zumindest knapp – parallel erzählt.

Der Airbus, so wird deutlich, stand öfters »auf der Kippe«. Der zeitweilige Rückzug Großbritanniens aus dem Projekt, die steigenden Kosten, die zwischenzeitlich recht düsteren Verkaufsaussichten – die Bundesregierung oder einzelne Minister wie Karl Schiller spielten wiederholt mit dem Gedanken eines deutschen Ausstiegs. Dass es nicht soweit kam, hing mit der Sorge zusammen, technologisch noch weiter in Rückstand zu geraten, sowie mit der Angst vor einem Vertrauensverlust der Bundesrepublik – und mit der europapolitischen Dimension des Airbus-Programms: Einen deutschen Rückzug würden »die in dem Projekt zusammenarbeitenden Staaten« als »eine ›Diskreditierung der europäischen Zusammenarbeit sehen‹« (S. 68), warnte ein regierungsinterner Bericht vom Frühjahr 1972.

Beim Airbus, das macht Raabe deutlich, handelte es sich um ein »politisches Flugzeug«, wie ein britischer Unterhändler einmal sagte (S. 28), d. h., die Kosten waren gewissermaßen zweitrangig, solange die Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Marktführer Boeing in Reichweite blieb. Deshalb zieht Raabe eine durchwachsene Bilanz. Auch zwölf Jahre nach dem Start des Projekts wurde mit dem Airbus »noch kein Geld verdient, im Gegenteil: Er war weiterhin auf die Subventionen der Bundesregierung angewiesen« (S. 160).

Auf der Haben-Seite steht für den Autor die Intensivierung der europäischen Zusammenarbeit mit ihrem Kern, der deutsch-französischen Kooperation. Dass es trotz widriger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen allmählich gelang, den amerikanischen Unternehmen wirtschaftlich-kommerziell und technologisch ernsthaft Konkurrenz zu machen, war in der Tat ein großer Erfolg. Wie es dazu kam, kann man in Raabes gelungener Studie nachlesen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Werner Bührer, Rezension von/compte rendu de: Thomas Raabe, Hochfliegende Ambitionen. Die Bundesregierungen und das Airbus-Projekt (1969–1981), Frankfurt a. M. (Campus Verlag) 2020, 175 S., ISBN 978-3-593-51219-8, EUR 29,95., in: Francia-Recensio 2020/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.4.77278