Lassen sich Emotionen mit internationaler Politik verbinden? Kann man sie gar für historische Erkenntnisse methodisch nutzbar machen? Folgt man den Erkenntnissen der Dissertation Frederike Schotters, erschienen in der renommierten Reihe »Studien zur Internationalen Geschichte«, so muss diese Frage mit einem eindeutigen »Ja« beantwortet werden, denn in ihrer Bilanz plädiert die Autorin dezidiert für eine Ergänzung des in der Internationalen Geschichte inzwischen etablierten »Perzeptionsparadigmas« um ein »Emotionsparadigma« (S. 437). Die Frage nach dem Verhältnis von Emotionen und politischem Handeln ist per se nicht neu, Frederike Schotters stützt sich zu Recht auf die hierzu einschlägigen Forschungen von Ute Frevert und nimmt in dieser Studie ein Wechselverhältnis von Emotionen und Wahrnehmungen an, die sich gegenseitig bedingen. Mithilfe dieses emotionshistorischen Zugangs zu außenpolitischem Handeln fragt die Studie nach der Wahrnehmung krisenhafter Situationen in den internationalen Beziehungen der 1980er-Jahre durch die französische Außen- und Sicherheitspolitik unter der Präsidentschaft François Mitterrands sowie nach der Entwicklung von Bewältigungsstrategien im »Spannungsfeld von Chance und Schaden, von Angst und Vertrauen« (S. 2).

Mit diesem Vorgehen erhofft sich Frederike Schotters neue Erkenntnisse über die vermeintliche »Janusköpfigkeit« (S. 2) der französischen Politik in dieser Zeitspanne. Sie versteht die Studie als »innovativen Beitrag« (S. 19) zur Geschichte der internationalen Beziehungen, der auf eine Relativierung der Zäsur 1989/1991 abzielt und stärker als bisher mit Blick auf die Art und Weise der Krisenbewältigung Kontinuitäten über diese vermeintlich harte Zäsur hinweg betont. Die Arbeit gliedert sich nach einer Einleitung, die sowohl die thematischen wie auch methodischen Grundlagen legt, in insgesamt fünf Kapitel, die je mit einer Zwischenbilanz enden.

Die abschließenden Ergebnisse werden am Ende der Darstellung in einer kompakten Abschlussbilanz präsentiert. Als Quellenkorpus dient der Studie eine Mischung aus publizierten Quellen und nicht publiziertem Archivmaterial aus den französischen Archives Nationales (hier im Besonderen die Archives de la présidence de la République) wie auch des Centre des Archives diplomatiques des Quai d’Orsay, wobei vor allem erstere erfreulicherweise einer fundierten Kritik unterzogen werden.

Zur Erforschung von Bewältigungsstrategien in Krisensituationen muss man laut Schotters zunächst die Realitätswahrnehmungen zeitgenössischer Akteure fassbar machen, die wiederum durch bestimmte Prägungen vorstrukturiert sind. Vollkommen zu Recht wird der Fokus von der Einzelperson Mitterrands auf dessen gesamte Regierungsmannschaft, die »équipe Mitterrand« (S. 18, 73), ausgeweitet. Den Kategorien »Angst« und »Vertrauen« kommt in der Studie eine besondere Bedeutung zu, sie werden als »generalisierte Zukunftserwartungen« verstanden (S. 3, 31). Die »Fähigkeit von Akteuren, die Perzeptionen und Ängste ihrer Verhandlungspartner zu erkennen und zu verstehen, um gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen zu können, deren Ängste abzubauen und Vertrauen zu schaffen« (S. 36) avanciert unter diesem Blickwinkel zu einer Kategorie, anhand derer die Qualität politischer Führung messbar gemacht werden kann.

Das erste Kapitel des Hauptteils bildet für die weitere Analyse den Ausgangspunkt, indem es nach Zukunftserwartungen und Konzeptionen der »équipe Mitterrand« bei Amtsantritt fragt und deren Genese kontextualisiert. Um diese analytisch greifbar zu machen, bedient sich Schotters gezielt zweier theoretischer Kategorien Reinhart Kosellecks, »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont« (S. 45). Das Modell der vier Antriebskräfte europäischer Integration von Wilfried Loth findet zum besseren Verständnis von Mitterrands Vorstellungen von Europa ebenfalls Eingang in die Untersuchung. Letztendlich folgte Mitterrands équipe keinem festen politischen Programm, zeichnete sich aber durch bestimmte Grundüberzeugungen von internationaler Politik aus.

Im folgenden Kapitel stehen unter der Prämisse der »Inszenierung eines politischen Kurswechsels« (S. 86) die Auswirkungen des Nato-Doppelbeschlusses für die sicherheitspolitischen Vorstellungen Frankreichs und sein Verhältnis nach West und Ost im Mittelpunkt. Schotters kommt zu dem Ergebnis, dass Mitterrand in seinen Versuchen, einen Kompromiss zwischen den Maximalforderungen beider Seiten zu finden, bewusst eine Mittlerrolle zwischen Moskau und Washington ausfüllte. Nach Westen wurde eine forcierte Vertrauensbildung betrieben und das hierdurch wiederum im Osten erregte Misstrauen billigend in Kauf genommen.

Kapitel drei verknüpft bereits im Titel »Relance européenne und die Rückkehr zur Détente« (S. 166) die europäische Ebene mit der Ebene der Supermächte und arbeitet mehrere Strategien der équipe Mitterrand heraus: Die Inszenierung von verheißungsvollen oder aber auch bedrohlichen Zukunftsszenarien, cf. gegenüber Margaret Thatcher, wird besonders im Zuge der von Frankreich mit vorangetriebenen europäischen Integration angewandt. Weiter beschreibt Schotters den gezielten Einsatz einer »Gefühlspolitik« (S. 247), die Frankreich durch die »Empathie zweiter Ordnung« (ibid.) in der Vertrauensbildung zwischen Ost und West praktizierte – eine Strategie also, in der von Mitterrand und seinem Team als außenstehende Dritte Vertrauen zwischen zwei weiteren Verhandlungspartnern erzeugt werden sollte.

Die damit implizierte Frage nach einem nachhaltigen Strukturwandel in den internationalen Beziehungen stellt die Autorin dann im anschließenden vierten Kapitel: Empathie wird hier nun ausdrücklich als »diplomatische Strategie« (S. 347) beschrieben, die ebenfalls zur Lösung von »eigenen Bedrohungsperzeptionen der Vergangenheit« (ibid.) dienen kann. Der von Schotters attestierte Strukturwandel vollzog sich auf zwei Ebenen: Nach und nach kam es zum Aufbrechen von Bedrohungsperzeptionen zwischen Ost und West, parallel hierzu jedoch vollzog sich auch ein Wandel innerhalb des atlantischen Bündnisses, der in Frankreichs Augen auf die »Beseitigung bestehender Asymmetrien abzielte« (S. 350). Die durch die deutsche Wiedervereinigung zum Ende des Jahrzehnts entstandenen Herausforderungen mit dem gleichzeitigen »Ringen um eine neue Ordnung« (S. 352), das deutlich früher eintrat als von Mitterrand erwartet, sind Gegenstand des letzten Kapitels des Hauptteils der Studie.

Die Fähigkeit zur Anpassung und eine gewisse »strategische Vagheit« charakterisierten das Verhalten der französischen Außenpolitik (S. 425): Die deutsche Wiedervereinigung sah Mitterrand laut Schotters – anders als häufig in der Forschung behauptet1 – weniger als Bedrohung denn als Chance, ohne die ihr immanenten Risiken zu unterschätzen. Jedoch konnte eine endgültig neue Ordnung nicht vollends geschaffen werden, alte Feindbilder wichen nicht immer dem vor allem auf politischer Führungsebene neu etablierten Vertrauen – im Gegenteil, dieses erwies sich als gesellschaftlich und vor allem institutionell schwer realisierbar. Viele Herausforderungen blieben über die »Zeitenwende« hinweg bestehen.

Vier zentrale Strategien der »équipe Mitterrand« benennt Schotters abschließend in ihrer Bilanz, die sehr pointiert nochmals die Ergebnisse der Studie herausstreicht. Angesichts der Zwischenbilanzen, die sich in ihrer Länge nur unwesentlich von der Abschlussbilanz unterscheiden und teilweise etwas stringenter formuliert sein könnten, ist dies umso willkommener. Gleiches gilt für den doch sehr ausführlichen, historiografischen Abriss zur Geschichte der internationalen Beziehungen als Disziplin in Deutschland und Frankreich. Politische Inszenierung diente Mitterrand laut Schotters zur Generierung neuer Handlungsspielräume, Erwartungen und Perzeptionen anderer Akteure wiederum als ihre politische Ressource. Die »Strategie Empathie zweiter Ordnung« (S. 435) wurde gekonnt zur Vertrauensbildung zwischen den Supermächten eingesetzt, Vertrauen wie Angst waren wesentlicher Bestandteil von Mitterrands Gefühlspolitikrepertoire. Emotionen in den internationalen Beziehungen können somit drei unterschiedlichen Kategorien zugeordnet werden: Sie sind Motiv, Ziel und zugleich Ressource politischen Handelns.

Insgesamt eine gut lesbare, solide gearbeitete Studie, die hält, was sie verspricht: Mit Blick auf die von Schotters analysierten Krisenbewältigungsstrategien können die 1980er-Jahre zurecht als eine »Vorgeschichte der Gegenwart« (S. 434) interpretiert werden, denn das Wissen um das Aufbrechen von Bedrohungsperzeptionen verliert auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht an Aktualität.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Yvonne Blomann, Rezension von/compte rendu de: Frederike Schotters, Frankreich und das Ende des Kalten Krieges. Gefühlsstrategien der équipe Mitterrand 1981–1990, Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2019, XII–462 S. (Studien zur Internationalen Geschichte, 44), ISBN 978-3-11-059741-7 (PDF), EUR 59,95., in: Francia-Recensio 2020/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.4.77282